Название: Rubinrot
Автор: Керстин Гир
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Учебная литература
isbn: 9783401800141
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»Sie haben also auch eine Charlotte zu Hause?«
»Das männliche Gegenstück dazu. Er heißt Gideon, soviel ich weiß.«
»Und der wartet auch darauf, dass ihm schwindelig wird?«
»Er hat es schon hinter sich. Er ist zwei Jahre älter als Charlotte.«
»Das heißt, er springt seit zwei Jahren munter in der Zeit herum?«
»Das ist anzunehmen.«
Ich versuchte, die neuen Informationen mit dem wenigen, was ich bereits wusste, zusammenzubringen. Weil Großtante Maddy heute so ungeheuer auskunftsfreudig war, gönnte ich mir aber nur ein paar Sekunden dafür. »Und was ist ein Chroni-, Chrono.. .?«
»Chronograf!« Großtante Maddy verdrehte die blauen Kulleraugen. »Das ist eine Art Apparat, mit dem man die Gen-Träger – und nur die! – in eine bestimmte Zeit schicken kann. Hat irgendwas mit Blut zu tun.«
»Eine Zeitmaschine?« Betankt mit Blut? Lieber Himmel!
Großtante Maddy zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, wie das Ding funktioniert. Du vergisst, dass ich auch nur weiß, was ich zufällig mitbekomme, während ich hier sitze und so tue, als könnte ich kein Wässerchen trüben. Das ist alles sehr geheim.«
»Ja. Und sehr kompliziert«, sagte ich. »Woher weiß man denn überhaupt, dass Charlotte dieses Gen hat? Und warum hat sie es und nicht zum Beispiel. .. ähm .. . du?«
»Ich kann es nicht haben, gottlob«, antwortete sie. »Wir Montroses waren zwar schon immer komische Vögel, aber das Gen kam erst durch deine Großmutter in unsere Familie. Weil mein Bruder sie ja unbedingt heiraten musste.« Tante Maddy grinste. Sie war die Schwester meines verstorbenen Großvaters Lucas.
Weil sie selbst keinen Mann hatte, war sie schon in jungen Jahren zu ihm gezogen und hatte ihm den Haushalt geführt. »Nach der Hochzeit von Lucas und Lady Arista hörte ich das erste Mal von diesem Gen. Die letzte Gen-Trägerin in Charlottes Erblinie war eine Dame namens Margret Tilney und die wiederum war die Großmutter deiner Großmutter Arista.«
»Und Charlotte erbte das Gen von dieser Margret?«
»Oh nein, dazwischen erbte es Lucy. Das arme Mädchen.« »Was für eine Lucy?«
»Deine Cousine Lucy, Harrys älteste Tochter.«
»Oh! Die Lucy.« Mein Onkel Harry, der aus Gloucestershire, war deutlich älter als Glenda und meine Mum. Seine drei Kinder waren schon längst erwachsen. David, der Jüngste, war achtundzwanzig und Pilot bei British Airways. Was leider nicht bedeutete, dass wir billiger an Flugtickets kamen. Und Janet, die Mittlere, hatte selber schon Kinder, zwei kleine Nervensägen namens Poppy und Daisy. Lucy, die Älteste, hatte ich nie kennengelernt. Viel wusste ich auch nicht über sie. Die Familie pflegte Lucy totzuschweigen. Sie war nämlich so etwas wie das schwarze Schaf der Montroses. Mit siebzehn war sie von zu Hause abgehauen und hatte seitdem nie wieder etwas von sich hören lassen.
»Lucy ist also eine Gen-Trägerin?«
»Oh ja«, sagte Großtante Maddy. »Hier war die Hölle los, als sie verschwand. Deine Großmutter hatte beinahe einen Herzinfarkt. Es war ein fürchterlicher Skandal.« Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre goldenen Löckchen völlig durcheinandergerieten.
»Das kann ich mir denken.« Ich stellte mir vor, was wohl passieren würde, wenn Charlotte einfach ihre Koffer packen und abhauen würde.
»Nein, nein, das kannst du nicht. Du weißt ja nicht, unter welch dramatischen Umständen sie verschwand und wie das alles mit diesem Jungen zusammenhing. . . Gwendolyn! Nimm den Finger aus dem Mund! Das ist eine grässliche Angewohnheit!«
»Entschuldigung.« Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich angefangen hatte, an meinem Fingernagel zu knabbern. »Das ist nur die Aufregung. Es gibt da so viel, das ich nicht verstehe.. .«
»Das geht mir genauso«, versicherte Großtante Maddy. »Und ich hör mir den Kram schon an, seit ich fünfzehn bin. Dafür besitze ich so etwas wie eine natürliche Begabung für Mysterien. Alle Montroses lieben Geheimnisse. Das war schon immer so. Nur deshalb hat mein unglückseliger Bruder deine Großmutter überhaupt geheiratet, wenn du mich fragst. Ihr liebreizender Charme kann es auf keinen Fall gewesen sein, denn sie hatte keinen.« Sie tauchte ihre Hand in die Bonbondose und seufzte, als sie ins Leere griff. »Ach herrje, ich fürchte, ich bin süchtig nach diesen Dingern.«
»Ich laufe schnell zu Selfridges und hole dir neue«, sagte ich.
»Du bist und bleibst mein liebstes Engelchen. Gib mir einen Kuss und zieh dir einen Mantel an, es regnet. Und kau niemals mehr an deinen Fingernägeln, hörst du?«
Da mein Mantel noch im Spind in der Schule hing, zog ich Mums geblümten Regenmantel an und zog die Kapuze über den Kopf, als ich vor die Haustür trat. Der Mann im Hauseingang von Nummer 18 zündete sich gerade eine Zigarette an. Einer plötzlichen Eingebung folgend winkte ich ihm zu, während ich die Treppen hinuntersprang.
Er winkte nicht zurück. Natürlich nicht.
»Blödmann.« Ich lief los, Richtung Oxford Street. Es regnete
fürchterlich. Ich hätte besser nicht nur den Regenmantel, sondern auch Gummistiefel angezogen. Mein Lieblings-Magnolienbaum an der Ecke ließ traurig seine Blüten hängen. Bevor ich ihn erreicht hatte, war ich schon dreimal in eine Pfütze getreten. Als ich gerade eine vierte umgehen wollte, riss es mich vollkommen ohne Vorwarnung von den Beinen. Mein Magen fuhr Achterbahn und die Straße verschwamm vor meinen Augen zu einem grauen Fluss.
Ex hoc momento pendet aeternitas.
(An diesem Augenblick hängt die Ewigkeit.)
Inschrift einer Sonnenuhr, Middle Temple, London
3.
Als ich wieder klar sehen konnte, bog ein Oldtimer um die Ecke und ich kniete auf dem Bürgersteig und zitterte vor Schreck.
Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Straße. Sie sah anders aus als sonst. Alles war in der letzten Sekunde anders geworden.
Der Regen hatte aufgehört, dafür wehte ein eisiger Wind und es war viel dunkler als vorhin, fast Nacht. Der Magnolienbaum trug weder Blüten noch Blätter. Ich war nicht mal sicher, ob es überhaupt noch ein Magnolienbaum war.
Die Spitzen des Zauns, der ihn umgab, waren golden bemalt. Ich hätte schwören können, dass sie gestern noch schwarz gewesen waren.
Wieder bog ein Oldtimer um die Ecke. Ein seltsames Gefährt mit hohen Rädern und hellen Speichen. Ich blickte den Bürgersteig entlang – die Pfützen waren verschwunden. Und die Verkehrsschilder. Dafür war das Pflaster krumm und buckelig und die Straßenlaternen sahen anders aus, ihr gelbliches Licht drang kaum weiter als bis zum nächsten Hauseingang.
Tief in meinem Inneren schwante mir Übles, aber ich war noch nicht so weit, diesen Gedanken zuzulassen.
Also zwang ich mich erst einmal durchzuatmen. Dann schaute СКАЧАТЬ