Название: Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band
Автор: Gerhard Henschel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Контркультура
isbn: 9783455005011
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Du hast Ferien? Wie denn das? Etwa schon Herbstferien? Die kriegen wir erst am 29.! Skandal! Und am 27. schreiben wir noch ’ne Deutscharbeit. Es ist zum Weinen.
Unser Kassettenrekorder befindet sich wieder in der Reparatur. Zum dritten Mal (in zwei Monaten). Und immer wegen des gleichen Defekts. Und im Januar läuft die Garantie ab. Au weh. Beim nächsten Mal fragen wir aber, ob wir das Scheißding nicht umtauschen können. Glaub ich allerdings kaum. Auf dem Garantieschein steht irgend so ’ne Klausel.
Ich werde mich bemühen, den Brief hier morgen oder übermorgen oder … äh … also ich werde versuchen, mich zu bemühen, diesen Brief schnellstmöglich abzuschicken.
Schö – es grüßt der DMGS.
Ich konterte mit einem kurzen Schreiben, dem ich das Zeitungsfoto von Dregger und mir beilegte, und nachdem ich den Brief eingeworfen hatte, kamen wir zwei Weiber auf dem Rad entgegen. Irgendwie muß ich wohl ziemlich doof gekuckt haben. Die brachen jedenfalls in Lachen aus, als sie an mir vorbeigefahren waren, und ich verkroch mich in mein Zimmer.
With only solitude to meet me like a friend …
Und von unten bölkte Papa: »Bring sofort das Fahrrad in den Keller!«
Am 3. Oktober hatten auch Kommunalwahlen stattgefunden. Im Meppener Rathaus hatte die CDU zwei Plätze verloren, einen an die SPD und einen an die FDP, aber mit 26 von 37 Plätzen konnte die CDU noch immer nach Gutdünken schalten und walten.
Bei einer Tour durch das Waldgestrüpp zwischen E-Stelle und Nordradde fand ich in einer Blätterkuhle ein teils aufgeweichtes und teils pappig hartes Sexheft. Welche Sau das wohl da hingeworfen hatte?
Weil ich als Nachwuchsjournalist noch immer im Geld schwamm, forderte ich bei Zweitausendeins postalisch eine LP von Joan Baez mit einer Stunde Spielzeit an, für acht Mark neunzig plus Versandkosten. Die Bestellnummer mußte man hinten in den Coupon neben dem Brief von Frau Susemihl eintragen, die die Bestellungen bearbeitete.
Auf dem oberen Flur hätten Volker und ich die alte Carrera-Bahn wieder aufbauen können, dachte ich, aber Volker zeigte mir nur ’n Vogel.
Na schön. Wenn der Idiot so hoch über den Dingen schwebte, hatte er ja wohl auch nichts dagegen, daß ich mir aus seinem Parka an der Flurgarderobe zwei Zigaretten borgte.
Camel. Dafür geh’ ich meilenweit.
Die eine hob ich mir für später auf, und die andere schmökte ich gleich nach dem Essen auf dem Balkon, was kein reines Vergnügen war, aber dafür ein teures, auf Volkers Kosten. Mit etwas Übung würde ich mich vielleicht an diesen schmutzigen Geschmack im Mund gewöhnen und Lungenzüge nehmen, so wie richtige Raucher, die den Qualm durch die Nasenlöcher wieder nach draußen bliesen.
Unten auf dem Radweg fuhr Tanja Gralfs vorbei, und da wäre ich gern in Deckung gegangen, wenn’s eine gegeben hätte. Was sollte ich machen? In mein Zimmer hechten, durchs offene Fenster?
Zum Glück sah Tanja Gralfs nicht zu mir hoch. Sonst hätte sie überall herumerzählen können, daß ich heimlich rauchte.
Den Zigarettenstummel versteckte ich auf Volkers Seite vom Balkon zwischen den vermoderten Birkenblättern in der Regenrinne.
Tanja Gralfs. Womit sich diese Belladonna wohl die Ferienzeit vertrieb? Bestimmt nicht mit dem Studium fader Redensammlungen von Genscher über liberale Außenpolitik im Dienste von Sicherheit und Freiheit, so wie ich, und wahrscheinlich auch nicht mit dem Reinigen eines stinkenden Hamsterkäfigs, so wie Wiebke.
Tante Gertrud wurde 50, und ich mußte mir ein paar Zeilen abringen, aber was sollte ich der schreiben, außer Glückwünschen und der Bitte, auch Onkel Edgar und Bodo und Bodos Meerschweinchen schöne Grüße auszurichten?
Von Mama und Papa kriegte Oma Schlosser zum 77. Geburtstag als Lesestoff »Das Inselbuch vom Alter« zugeschickt. Als ob eine Frau in Omas Alter nicht auch mal an etwas anderes als nur immer und ewig an ihr Altsein hätte denken dürfen. Und was sollte dann als nächstes kommen? »Das Inselbuch vom Friedhof«?
Ich, auf meine alten Tage, würde lieber Comics lesen. Die tollsten Geschichten von Donald Duck, als Reprint, im Schuber, von Zweitausendeins: Mit was anderem würden mir meine Kinder und Enkelkinder, wenn ich dann welche hätte, überhaupt nicht erst zu kommen brauchen.
Als Opa würde ich mir auch den Spaß erlauben, sämtliche Briefe von Michael Gerlach wiederzulesen. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 68 Jahren hatte ich noch einige tausend Briefseiten von Michael zu erwarten. Oder wenigstens einige hundert, wenn dessen Briefe in Zukunft nicht länger ausfallen sollten als der jüngste:
Heißassa.
So, jetzt bin ich aber wieder dran mit Schreiben. Wird mir allerdings schwerfallen, bei dem, was hier so los ist.
Auf dem Zeitungsfoto habe ich ja erst mal nur einen weiblichen Autogrammjäger gesehen. Doch dann entpuppte er sich als Mitglied des GMS, dessen Angehörige alle – von wenigen Ausnahmen abgesehen – männlichen Geschlechts sind. Wenn auch nur – wie dieses Exemplar auf dem Foto – andeutungsweise.
In der Schule (worüber soll ich sonst schreiben) passe ich absolut nicht mehr auf. Ich vertrödele die Zeit damit, Bücher zu malen und irgend ’nen blödsinnigen Titel vorne draufzuschreiben: HOW TO KILL TEACHERS. Oder: GMS – HORT DER IRREN. Oder: TAUSEND BESCHISSENE OSTFRIESENWITZE. Jedes Blatt und jedes Schulbuch ist inzwischen voll davon. Meine Nachbarn fangen auch schon damit an. Alles, alles voller Bücher! Es ist wie ’n Fieber.
Aber was soll man auch machen. Nichts zu tun, nichts los, alles Scheiße. Mein Zimmer hab ich zig-mal umgeräumt vor Langeweile. Und obwohl ich so viel Zeit hab, mach ich keine Hausaufgaben. Alles ist träge und faul. Sogar das Wetter – alles grau in grau und voller Wolken. Ab und an ein Düsenjäger, Böllerschüsse – spinn ich eigentlich? Erzähle dauernd, hier sei nichts los, und dann hat’s im Reha gebrannt, zumindest zum Schein. Das war wohl irgend ’ne Notstandsübung. Jedenfalls überall Martinshörner, Geheule, Gehupe, Gelache – kurz, wie auf ’m Volksfest. Bloß ’ne Übung. Und ich dachte schon daran, wieder Trebitsche zu jagen, Brandstifter und so. Ach, eben alles Scheiße.
Es grüßt den doofen GMS der einzigartige, unnachahmliche, doch durchaus nachahmenswerte DMGS!
P.S. Den Nobelpreis für Literatur 1976 erhielt Prof. Erwin Erbswurst für sein Werk: MEPPEN – DAS GLANZLOSE DASEIN EINER STADT MITSAMT IHRER VERSOFFENEN BEVÖLKERUNG.
Frecher ging’s ja wohl nicht mehr. Meinem Antwortschreiben, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ, legte ich den Durchschlag eines Protestbriefs ans Stockholmer Nobelpreiskomitee bei, und im Postscriptum flehte ich Michael darum an, mich in seine Gebete einzuschließen, denn in Niedersachsen gingen die Herbstferien zuende, und in Rheinland-Pfalz hatten sie noch nicht mal angefangen.
In der Schlacht gegen Groß Hesepe streifte der Ball meinen rechten Unterarm, und der Elfer war drin. Dieses Ferienerlebnis hatte sich der liebe Gott noch aufgespart СКАЧАТЬ