Название: Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band
Автор: Gerhard Henschel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Контркультура
isbn: 9783455005011
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»Das hast du dir selber ausgesucht«, sagte Gustav, »also beschwer dich nicht.«
Er las in Bild am Sonntag. Sonntags gab’s in Deutschland nur zwei Zeitungen: Bild am Sonntag und Welt am Sonntag, BamS und WamS, und alle beide gehörten dem Verleger Axel Springer.
Im Kellerschrank entdeckte ich ein angegammeltes Pamphlet aus dem Jahr 1947, über die Menschenversuche der Nazis, die sich in ihrer Hybris dazu verstiegen hätten, KZ-Häftlinge zwangsweise in Eiswasser zu baden, um herauszufinden, bei welcher Temperatur ein Mensch erfriere. Als Herren über Leben und Tod hätten sich diese Schergen aufgespielt, und in der sowjetisch besetzten Zone würden gegenwärtig leider ganz ähnliche Verhältnisse herrschen.
Ich schnürte auch wieder einige der Stöße aus Gustavs eingekellerter Spiegel-Sammlung auf, wobei mir eine Fortsetzungsserie über das Leben von Adolf Hitler vor Augen kam. Diese Serie schnitt ich mir aus, mit Omas Handarbeitsschere, und ich war schon fast fertig damit, als Oma beim Kartoffelholen zufällig mitkriegte, was ich da trieb.
»Na, das wird Gustav aber gar nicht recht sein, daß du ihm hier seine geliebten Hefte zerschnibbelst«, sagte sie. »Das leg man alles schön wieder zurück!«
Was ich dann auch tat.
In dem Freundschaftsspiel gegen Wales stand wieder einmal Rudi Kargus im deutschen Tor, und die Waliser mußten sich mit 0:2 geschlagen geben.
Wahrscheinlich dachte Helmut Schön jetzt darüber nach, ob er den alternden Sepp Maier vor der WM ’78 durch Kargus ersetzen sollte, was aber auch wieder traurig gewesen wäre, weil ich die Vorstellung anziehend fand, den WM-Pokal spätestens 1982 gemeinsam mit Maier wieder nach Deutschland zu holen. Ich als Newcomer und Sepp Maier als Veteran, und wir beide in einer Mannschaft, deren Glanzvorstellungen die ganze Welt in Entzücken versetzten: »Ramba-Zamba: Deutschland – Brasilien 7:0! Pelé mit Maulsperre auf Intensivstation – Herzinfarkt?«
So in etwa. Aber ich traute mir auch zu, im Fünfmeterraum mit Rudi Kargus oder Norbert Nigbur zu harmonieren. Oder mit Wolfgang Kleff oder wem auch immer.
Näheres über seinen Fahrradunfall und dessen Folgen mußte man Gustav mühsam aus der Nase ziehen.
»Und was hast du gemacht, wenn du gemußt hast?«
»Dann, mein werter Vetter, habe ich in eine eigens dafür bestimmte Flasche hineingestrullt, und wenn es dicker gekommen ist, hat man mir eine Pfanne untergeschoben, mit langem Stiel und breitem Rand. Im allgemeinen sind dafür die Bezeichnungen ›Schieber‹ oder ›Stechbecken‹ gebräuchlich. Zufrieden?«
Im Wochenblatt studierte Oma immer als erstes die Todesanzeigen, auf der Suche nach den Namen von Bekannten, die das Zeitliche gesegnet haben könnten, völlig unerwartet oder auch nach langer, schwerer Krankheit. Der größte Teil von Omas und Opas Bekanntenkreis lag bereits unter der Erde, und es paßte irgendwie dazu, daß das Jeversche Wochenblatt die älteste Zeitung Deutschlands war. Seit 1791 auf dem Markt, das mußte man sich mal vorstellen.
Gustav erschien mit der neuen Zeit, und die enthielt meinen Beitrag über die Umgangssprache. Wieder 25 Eier! Dieser guten Nachricht des Tages folgte am frühen Abend die schlechte, daß Renate bei der Fahrprüfung in Meppen durchgefallen sei. Angeblich hatte sie das Fahrzeug vor einem Stoppschild nicht bis zum völligen Stillstand abgebremst.
Während in Bonn schon die Koalitionsverhandlungen anfingen, tobte in den USA noch der Wahlkampf. Im Fernsehduell mit Jimmy Carter war dem Präsidenten Gerald Ford dabei ein grober, möglicherweise wahlentscheidender Schnitzer unterlaufen, als er einfach rundweg abgestritten hatte, daß es eine sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa gebe. Selbst Polen und Rumänien, hatte Ford behauptet, seien unabhängige Länder.
Und dieser Schafskopf amtierte als Präsident der Vereinigten Staaten!
»Falls du dir von dem demokratischen Erdnußfarmer Jimmy Carter größere intellektuelle Leistungen erhoffen solltest, kann ich dir nur empfehlen, dich erst einmal selbst mit den politischen Gegebenheiten in anderer Herren Länder vertraut zu machen«, sagte Gustav. »Könntest du mir beispielsweise aus dem Stegreif einen Vortrag über die geopolitische Situation in Ozeanien halten?«
»Nein, aber ich will ja auch nicht Präsident von Amerika werden.«
»Das könntest du auch gar nicht als Deutscher. Aber wenn du glaubst, daß du dich in der Welt besser auskennst als der Präsident der Vereinigten Staaten, mußt du dir schon gefallen lassen, daß man sich im Gespräch mit dir ein Bild von deiner eigenen Weltläufigkeit verschaffen will! Wie heißt beispielsweise der Bürgermeister von Meppen?«
Was hatte denn wohl der Bürgermeister von Meppen mit den Patzern des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu tun?
Aufreizend behäbig stopfte Gustav seine Pfeife, und er bat mich um die Erlaubnis, mein Schweigen dahingehend interpretieren zu dürfen, daß mir der Name des Meppener Bürgermeisters mitnichten geläufig sei.
»Na und?« sagte ich.
Zu weiteren Auskünften war Gustav erst bereit, als er seinen Stinkadori nach allen Regeln der Kunst in Betrieb gesetzt hatte, und dann mußte ich mich darüber belehren lassen, daß es nicht angängig sei, sich als Vierzehnjähriger ein Urteil in weltpolitischen Fragen herauszunehmen, wenn man noch nicht einmal auf der niedersten kommunalpolitischen Ebene der eigenen Heimatregion Äpfel von Birnen unterscheiden könne. »Wenn du mir allerdings bei deiner nächsten Fernreise nach Friesland den Namen deines Bürgermeisters verrätst, dann bin ich gern dazu bereit, mit dir auch einmal über die Salt-II-Verhandlungen und die Hegemonie der Sowjetunion zu disputieren …«
Und ich fand die Weltpolitik trotzdem interessanter als die Hegemonie der emsländischen CDU.
Eine noch viel herbere Niederlage als die auf dem Bökelberg mit 3:1 abgefertigten Fortunen aus Düsseldorf mußte am Samstag Bayern München hinnehmen – 0:7 gegen Schalke! Und das zuhause, im Olympiastadion! Viermal hatte allein Klaus Fischer zugeschlagen. Vier Tore gegen Sepp Maier, in einem einzigen Spiel: Das war rekordverdächtig. In dieser Form bildeten die Bayern jedenfalls keine Gefahr für Gladbachs Titelambitionen.
In dem Walt-Disney-Taschenbuch, das ich mir für die Rückfahrt gekauft hatte, flog Donald Duck unter dem Decknamen Phantomias als Superheld durch die Gegend. Ich dachte zuerst, das gibt’s doch nicht. Wer will denn den als Superhelden in Aktion sehen? Der soll sich mit Ahörnchen und Behörnchen in die Wolle kriegen oder seinen Neffen ihre Taler aus dem Sparschwein stehlen, um Daisy zum Dinner einladen zu können, aber doch nicht am Himmel herumdüsen, unter Vernachlässigung aller Gesetze der Schwerkraft! Das war ungefähr so sinnvoll, wie wenn Stan und Ollie die Rollen mit Terence Hill und Bud Spencer getauscht hätten.
Als ausgebuffter Profi hätte Walt Disney das eigentlich wissen müssen.
»Dein Freund aus Vallendar hat dir geschrieben«, sagte Mama, als sie mich in Meppen vom Bahnhof abholte, aber nach dem Brief mußte ich dann fast ’ne halbe Stunde lang suchen, bis er sich in den Geröllschichten auf dem Klavier anfand.
Hallo, hallo …
Dein Vorwurf ist berechtigt. Ich bin längst dran mit Schreiben. Aber Schreiben erinnert mich zu sehr an HAUSAUFGABEN (welch schreckliches Wort), und deshalb hab ich’s gelassen.
Viel los ist ohnehin nicht. Es regnet. СКАЧАТЬ