Название: Die Salbenmacherin
Автор: Silvia Stolzenburg
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839247242
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Eine Zeit lang starrte sie auf die Stelle, an der Laurenz bis vor wenigen Augenblicken gestanden hatte, dann fasste sie einen Entschluss. Es würde heute geschehen! Sie musste die Gunst der Stunde nutzen! Wenn sie jetzt nicht tat, was sie sich vorgenommen hatte, würde ihr der Mann, den sie mit jeder Faser ihres Körpers begehrte, durchs Netz schlüpfen. Und das durfte sie nicht zulassen! Nicht jetzt, wo er deutlich gemacht hatte, dass er das Gleiche für sie empfand wie sie für ihn. Mit unsicheren Händen nahm sie den Käfig vom Boden auf und griff nach dem Korb. In der Arzneiküche angekommen, stellte sie alles achtlos auf einen der Tische und kramte in ihrer Tasche. Wenn sie nicht in der Badestube erschien, würde ihre Yiayia nach ihr suchen. Sie musste also nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, damit alles so vor sich ging, wie sie es sich ausgemalt hatte. Sie steckte sich einige Fingerspitzen geraspeltes Süßholz in den Mund und kaute darauf herum. Dann kletterte sie auf einen Schemel und lugte durch das winzige Fenster, von dem aus man den Hof überblicken konnte. Sie musste nicht lange warten. Das Süßholz war kaum zu Brei zerkaut, da erschien die alte Frau auf der Schwelle der Badestube. Hastig spuckte Olivera den Brei aus und schürzte die Lippen, damit der durch das Kauen schaumig gewordene Speichel vor ihren Mund trat. Im Anschluss daran sprang sie zu Boden, schlang die Arme um ihren Oberkörper und atmete so schnell sie konnte ein und aus. Immer wieder und immer wieder, bis ihr schließlich schwarz vor Augen wurde. In dem Moment, in dem sie sich behutsam zu Boden sinken lassen wollte, schwanden ihr jedoch die Sinne. Die Beine knickten wie Strohhalme unter ihr weg und sie fiel nach hinten. Ihr Kopf schlug mit einem dumpfen Geräusch auf der Tischkante auf. Benommen registrierte sie einen stechenden Schmerz und ein klebriges Gefühl an ihrem Hinterkopf. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Kapitel 7
Konstantinopel, Juli 1408
Lange Zeit, nachdem die Tür der Arzneiküche hinter Olivera ins Schloss gefallen war, sah Laurenz sie in Gedanken immer noch vor sich stehen. Sah das Leuchten in ihren dunklen Augen, die Röte auf ihren Wangen und hörte ihre klingende Stimme. Wenn er einatmete, vermeinte er den Duft zu riechen, den sie verströmte. Die Wirkung, die sie auf ihn hatte, verunsicherte ihn. Das Verlangen, sie zu berühren und ihre köstlichen Lippen zu küssen, war so überwältigend, dass es wehtat. Sie brachte ganz eindeutig das Gleichgewicht seiner Körpersäfte durcheinander! Und sie war nicht nur schön, sondern auch klug. Ihr Latein war beinahe besser als seines – hatte er doch nur einige wenige Jahre auf der Tübinger Pfarrschule zugebracht. Was würde er dafür geben herauszufinden, ob sie auch in anderer Hinsicht eine so gute Schülerin war! Er stöhnte leise und rückte zum wiederholten Mal seine Männlichkeit zurecht. Als ob du noch nie eine Frau gesehen hättest!, schalt er sich. Er lenkte seine Gedanken auf etwas anderes und schnitt eine Grimasse, da der Versuch von keinem besonderen Erfolg gekrönt war. Warum hatte er ihr nur diesen Vogel kaufen müssen? Für einen halben Schilling hätte er sich besser die Dienste einer Dirne, eines Dutzend Dirnen, geleistet! Er biss die Zähne aufeinander und beschloss, sich mit einem erneuten Besuch des Marktes abzulenken. Einige der Dinge, die er dort gesehen hatte, ließen sich bestimmt in Tübingen für teures Geld weiterverkaufen. Schließlich wollten sich die Gemahlinnen der reichen Oberstädter genauso herausputzen wie die Damen aus Stuttgart – der Hauptstadt der Grafschaft Württemberg. Warum sollte er die Gelegenheit nicht beim Schopfe packen?
Er schob die Hände in die Taschen seiner Schecke und kehrte lustlos zurück in den Hof, den er beinahe fluchtartig verlassen hatte. Er würde im Stall nach dem Rechten sehen und einem der Burschen befehlen, seinen Rappen zu satteln. Seine Zehen schmerzten. Ganz offensichtlich war er es nicht mehr gewöhnt, zu Fuß zu gehen. Dieses Mal würde er hoch zu Ross durch die Menge traben, anstatt sich den Weg mit den Ellenbogen freizukämpfen. Vielleicht würde ihm dann auch die Hitze etwas weniger zusetzen. In Oliveras Begleitung war ihm die sengende Sonne nicht ganz so unangenehm erschienen. Aber jetzt, allein im Hof, kam es ihm vor, als briete er in einem Ofen. Er wollte gerade eines der Stalltore öffnen, als ihn ein Ruf innehalten ließ. »Laurenz!« Die Stimme seines Gastgebers klang aufgeregt.
»Laurenz!«, rief dieser erneut und fuchtelte wild in der Luft herum. »Kommt! Das müsst Ihr Euch ansehen!«
Selbst aus der Ferne konnte Laurenz den Eifer auf den Zügen des Mannes erkennen. Was war denn nun schon wieder? Hatte der Goldschmied endlich seine lang ersehnten Elefantenzähne erhalten? Befremdet registrierte er, dass diese Aussicht ihn nicht mit der Genugtuung erfüllte, die er erwartet hätte. Vielmehr schlich sich leises Bedauern ein, als er sich vorstellte, dass sein Aufenthalt in Konstantinopel früher als erwartet zu Ende gehen könnte. Es war wirklich wie verhext! Zuerst hatte er nicht schnell genug von hier fortkommen können. Und jetzt … Er brach den Gedankengang ab und folgte den Schatten der Gebäude, bis er Philippos erreichte.
»Was muss ich mir ansehen?«, fragte er. Sein Ton war schroffer, als er beabsichtigt hatte.
Sein Gegenüber schien seine Unhöflichkeit jedoch nicht einmal zu bemerken. »Andreas hat die ersten Behältnisse geliefert«, sagte er heiser und bestätigte somit Laurenz’ Vermutung. Er zupfte den jungen Mann am Ärmel. »Ihr müsst sie Euch selbst ansehen.«
Mit diesen Worten zog er Laurenz auf das Gebäude zu, in dem sich Laden und Kontor befanden. Dort – in einer Kammer neben der Treppe – warteten drei große Holzkisten auf sie. Der Deckel der vordersten war geöffnet und auf einem Tisch stand eine Reihe von Gegenständen. Bei deren Anblick stockte Laurenz der Atem. Allerdings waren es nicht das vergoldete Türmchen, die aufwendig ziselierten Kästen oder die mit Juwelen besetzten Phiolen, die sein Herz einen Schlag aussetzen ließen; sondern die zwölf fein säuberlich aufgereihten goldenen Köpfe. Er schluckte vernehmlich.
»Sind sie nicht wundervoll?«, schwärmte Philippos. Offenbar deutete er die Erschütterung seines jungen Gastes falsch. »Andreas ist ein wahrer Meister!«
Eine eisige Hand schien nach Laurenz zu greifen. Plötzlich kam ihm der Raum furchtbar kalt vor und er fröstelte.
»Seht, hier«, sagte der Kaufmann. Er hob einen der Köpfe auf und zeigte auf ein großes Loch direkt unter dem Ansatz des goldenen Haares. »Hier wird das Glas eingesetzt.« Er drehte den Gegenstand um und redete weiter auf Laurenz ein.
Doch dieser hörte kaum mehr, was sein Gegenüber sagte. Ohne Vorwarnung sah er sich in Gedanken auf den Kirchplatz hinter der Tübinger Jakobuskirche versetzt. Als befände er sich tatsächlich dort – Tausende von Meilen entfernt – vernahm er das Geräusch von Hacken und Schaufeln. Vor seinem inneren Auge wurde er Zeuge, wie Männer ohne erkennbare Gesichter Tote aus ihren Gräbern zerrten und diese achtlos auf einen Karren warfen. Die Kälte breitete sich in ihm aus. Er hatte gewusst, was geschehen würde – wofür sein Auftraggeber die Behältnisse benötigte. Gleichwohl war es ihm gelungen, den wahren Grund für sein Hiersein zu verdrängen – selbst als er das Glas des Phiolarius in den Händen gehalten hatte. Immerhin würde er auch einen ganzen Wagen voller seltener Gewürze mit nach Hause bringen – nicht nur diese furchtbaren Dinge! Er trat, plötzlich angeekelt, einen Schritt zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Ein Stöhnen fand den Weg über seine Lippen. Für diese grauenhafte Sünde würde er bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. Seine Fantasie gaukelte ihm Bilder vor, die ihn noch mehr schaudern ließen: Nackte Leiber, in einem reißenden Blutstrom kochend, von Kentauren gepeinigt und immer wieder in die Fluten zurückgestoßen; Lästerer, gefangen im Sand, auf die beständig Feuerflocken niederprasselten; Verstümmelte, die kopfüber in Felslöchern steckten, während ihre Fußsohlen lichterloh brannten; und schließlich Schreiende, deren Münder sich mit Pech füllten, wenn sie in einem Graben versanken und für immer verschwanden.
Eine Hand legte sich auf seinen Arm.
»Was СКАЧАТЬ