Graues Land. Michael Dissieux
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Название: Graues Land

Автор: Michael Dissieux

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783969441619

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СКАЧАТЬ allerlei unsinnigen Scherzen erfüllt hatten, gehörte der abendliche Tee zum festen Bestandteil unseres Lebens. Als wir das Haus mit seinen niedrigen Räumen und rustikalen Klinkersteinen zu Beginn unserer Ehe gebaut hatten, war es Sarah gewesen, die das dringende Bedürfnis nach einem offenen Kamin im Wohnzimmer äußerte. Und als verliebter, junger Romeo las man seiner Julia natürlich jeden Wunsch von den Lippen ab.

      So hatten wir in all den Jahren fast jeden Abend in kleinen, robusten Korbsesseln vor dem wärmenden Feuer verbracht. Während wir unseren Tee tranken, uns gegenseitig über den Rand der Tasse ansahen und ein Lächeln nicht unterdrücken konnten, hatte das Knistern und Knacken der Holzscheite im Kamin eine ganz eigene, melancholische Symphonie für uns gespielt.

      Wir hatten einfach nur dagesessen, im Hintergrund leise Musik, und über das geredet, was uns der vergangene Tag beschert hatte.

      Die Nähe meiner Sarah zu spüren, ihre ruhige Stimme zu hören und ihr beim Reden zuzusehen, wie sich immer wieder ein Lächeln zwischen ihre Worte stahl und ihre weißen Zähne aufblitzten, war alles, was sich ein glücklicher Mann wünschen konnte.

      Ich steige die Treppe ins Schlafzimmer hinauf. Das Geschirr klappert leise auf dem Tablett, und ich bleibe stehen.

      Wieder einmal trifft mich die allgegenwärtige Stille wie ein Schlag. Fast erscheint es mir, als hätte ich mich in einen tiefschwarzen Mantel gehüllt, der alle Geräusche der Welt von mir fernhält.

      Das Tablett auf einer Hand balancierend, blicke ich mich im Dämmerlicht des Flurs um. Lediglich einige Kerzen stehen auf dem kleinen Schränkchen, auf das wir damals immer achtlos unsere Schlüssel oder Briefe geworfen hatten.

      Mein Schatten gleicht dem eines dürren Riesen an der Wand.

      Als die Stille begonnen hatte, war mir das Haus wie ein düsteres Grab erschienen.

      Dort, wo früher die vertrauten Lampen gebrannt und die ebenso vertrauten Schatten sich in den Ecken gedrängt hatten, versteckten sich nun Horden unsichtbarer Wesen in nachtschwarzen Nischen, deren Mäntel die vereinzelten Kerzen nicht zu durchbrechen vermochten.

      Manchmal bilde ich mir ein, ihre trippelnden Füße in der Dunkelheit zu hören. Dann habe ich das Gefühl, dass sie sich mir zu nähern versuchen, jedoch nie die schützenden Schatten verlassen, so dass ich einen Blick auf ihre abnormen Körper werfen könnte.

      Mir ist bewusst, dass ich mir das alles nur einbilde. Das Alter, in Verbindung mit Dunkelheit und plötzlicher Stille, ist etwas, das ich scheinbar nur schwer ertragen kann.

      Es gelingt mir kaum noch, das beklemmende Gefühl abzulegen, das mich jeden Abend aufs Neue befällt, wenn ich die Kerzen anzünden muss.

      Am Tag ist es nicht sehr viel heller in den Räumen. Das düstere Grau, das durch die Fenster sickert, erscheint mir sogar noch betrüblicher als das Flackern der Kerzen, das mich zumindest teilweise noch an die Abende vor dem Kaminfeuer zurückdenken lässt.

      Das Schlimmste aber ist die Stille.

      Abgesehen vom gelegentlichen Stöhnen des Gebälks und dem tiefen Ächzen des Fundaments im Keller, hat sich ein dichtes Tuch des Schweigens über die Welt gelegt.

      Mit der freien Hand fahre ich über die Augen und spüre eine tiefe Müdigkeit hinter den Lidern. Meine Finger zittern. Ich starre sie einen Moment an, dann balle ich sie zur Faust und blicke die Treppe empor, wo eine einzelne Petroleumlampe auf dem Pfosten des Geländers ein weiches Licht über die obersten Stufen fließen lässt.

      Seufzend und mit schwerfälligen Schritten steige ich den Rest der altertümlichen Holzstiege hinauf.

      Das Knarren der mittleren Stufe erscheint mir, wie jeden Abend, als das schönste Geräusch, das man in dieser Welt noch finden kann. Selbst das müde Schaben meiner Füße in ihren Pantoffeln ist eine willkommene Abwechslung zum ewigen Schweigen.

      Alles, was mich an eine normale Welt denken lässt, sauge ich begierig auf.

      Doch es gibt nicht mehr viel, das normal ist. Nicht mehr viel, dass mich aufrecht hält.

      In einem Buch eines amerikanischen Schriftstellers, das ich vor unzähligen Jahren gelesen hatte, hieß es einmal `Die Welt hat sich weitergedreht´.

      Ich muss oft an diesen einen Satz denken, der mich damals schon emotional tief berührt hat.

      Es mag sich verrückt anhören, aber im Stillen habe ich diesen einen Satz zur Schlagzeile der vergangenen Tage erkoren.

      Wenn ich noch meine Zeitung bekommen würde, wäre der Satz von Mister Stephen King wahrscheinlich in fetten Lettern auf die erste Seite gedruckt.

      Darunter das Foto einer schwarzen Welt, unter deren Himmel Aschewolken dahin ziehen, und die still und leer geworden ist.

      Aber ich bekomme keine Zeitung mehr. Der junge Daryll, der mit seinem roten Fahrrad und den wehenden Haaren immer den steinigen Weg durch die Hügel gefahren ist und bei jedem der weit verteilten Häuser seine Zeitung abgeliefert hatte, war seit über einer Woche nicht mehr hier gewesen.

      Ich frage mich, ob der Junge noch lebt. Und sein leuchtend rotes Fahrrad, auf das er so lange gespart hatte; steht es noch in der Garage seiner Eltern? Liegt es irgendwo auf der Straße oder in einem der Gräben, die sich aufgetan haben?

      Den Jungen vermisse ich wirklich. Es tat gut, ein paar Worte mit ihm zu wechseln, wenn er mir die Zeitung selbst an Regentagen durch den Vorgarten bis zur Haustür gebracht hatte. Seine Jugend ließ mich oft vergessen, wie alt ich bin.

      Aber noch mehr vermisse ich meine Zeitung.

      Mit ihr war auch der Strom verschwunden. Und den Generator im Schuppen anzuwerfen, wage ich nicht. Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich nach all den Jahren, in denen er unbenutzt hinter Brettern und Kisten verborgen vor sich hingerostet hatte, nicht einmal daran, dass er noch funktionieren würde.

      Irgendwie haben Sarah und ich nie so weit gedacht. Wir besaßen alles, was wir brauchten, um glücklich zu sein, genossen die Abgeschiedenheit unseres Heimes und die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation, und hätten nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass es einmal anders kommen könnte.

      Dass die Welt sich weiterdreht, wie es Mister King vor vielen Jahren so treffend formuliert hatte.

      Als ich die oberste Stufe erreiche, verharre ich einige Sekunden, um meinen geschundenen Knochen etwas Ruhe zu gönnen. Dann greife ich mit der freien Hand die Petroleumlampe auf dem Geländerpfosten und gehe den Flur entlang zum Schlafzimmer.

      Die Schatten weichen respektvoll vor mir zurück. Das durch einen Glaszylinder gedämpfte Licht der Lampe wirft einen sanften Schein auf die alte Tapete, deren Blumenmuster vor ungefähr vierzig Jahren modern gewesen ist. Es gibt so viel, was mich an Sarah erinnert. An manchen Tagen brennt der Schmerz wie Feuer in meinen Eingeweiden. Dann versuche ich zu vermeiden, dass meine Augen an ihrer Sammlung von Porzellanfiguren hängen bleiben. Oder an den gerahmten Fotos auf dem Kaminsims, die mir voller Hohn die Geschichten einer längst erloschenen Zeit erzählen wollen.

      Als ich die Schlafzimmertür erreiche, bleibe ich stehen und blicke zur dunklen Decke empor. Wie jedes Mal, wenn ich Sarahs Zimmer betrete, schicke ich einige verzweifelte Worte an einen Gott, den es womöglich gar nicht gibt.

      Ich sagte ja bereits, ich war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen. Gott und die Kirche habe ich als etwas akzeptiert, das sich nun mal СКАЧАТЬ