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und erregt Wohlgefallen, wirbt und wird umworben, entzündet Liebesglut und wird zugleich von ihr verzehrt. Wie oft gab er dem trügerischen Quell vergebliche Küsse! Wie oft tauchte er, um den Hals, den er sah, zu erhaschen, die Arme mitten ins Wasser und konnte sich nicht darin ergreifen! [430] Er weiß nicht, was er sieht; doch was er sieht, setzt ihn in Flammen. Und seine Augen reizt dasselbe Trugbild, das sie täuscht. Leichtgläubiger! Was greifst du vergeblich nach dem flüchtigen Bild! Was du erstrebst, ist nirgends; was du liebst, wirst du verlieren, sobald du dich abwendest. Was du siehst, ist nur Schatten, nur Spiegelbild. [435] Es hat kein eigenes Wesen: Mit dir kam es, mit dir bleibt es, mit dir wird es fortgehen – wenn du nur fortgehen könntest! Kein Gedanke an Nahrung, kein Gedanke an Schlaf kann ihn von dort losreißen. Doch im schattigen Grase gelagert, schaut er mit unersättlichem Blick die trügerische Schönheit an [440] und geht an seinen eigenen Augen zugrunde. Dann erhebt er sich etwas, streckt die Arme zu den Wäldern aus, die ringsum stehen, und spricht: »O ihr Wälder! Hat je einer grausamere Liebesqual gelitten? Wißt ihr doch Bescheid und habt ihr doch vielen als willkommener Schlupfwinkel gedient! Könnt ihr euch in eurem langen, so viel hundert Jahre alten Leben [445] an jemanden erinnern, der so hingeschmolzen wäre? Er gefällt mir, und ich sehe ihn; doch was ich sehe und was mir gefällt, kann ich nicht finden; so gewaltig ist der Trug, der den Liebenden gefangen hält! Und, was meinen Schmerz noch vertieft: Kein weites Meer, kein Weg, keine Berge, keine Mauern mit verschlossenen Toren, [450] nur ein wenig Wasser hält uns voneinander fern! Er selbst will umarmt werden! Denn sooft ich dem klaren Wasser einen Kuß geben will, strebt er mir, auf dem Rücken liegend, mit dem Munde entgegen. Man möchte meinen, er lasse sich berühren. Fast ein Nichts ist es, was den Liebenden im Wege steht. Wer du auch sein magst, komm zu mir heraus; was täuschest du mich, einzig schöner Knabe, [455] und wohin gehst du, Ersehnter? Gewiß bieten meine Erscheinung und mein Alter keinen Anlaß, davor zu fliehen, und sogar Nymphen waren in mich verliebt. Du versprichst mir mit freundlichem Gesicht etwas Hoffnungsvolles; strecke ich die Arme nach dir aus, streckst auch du sie mir freiwillig entgegen. Lächle ich, lächelst du mir zu; auch Tränen habe ich oft bei dir beobachtet, [460] während ich weinte. Durch Nicken erwiderst du meine Zeichen, und soweit ich aus der Bewegung deines schönen Mundes schließen kann, antwortest du mir auch mit Worten, die nicht an mein Ohr dringen. – Ich bin es selbst! Ich habe es begriffen, und mein Bild täuscht mich nicht mehr. Liebe zu mir selbst verbrennt mich, ich selbst entzünde die Liebesflammen, die ich erleide. [465] Was tun? Bitten oder mich erbitten lassen? Worum soll ich denn bitten? Was ich begehre, ist bei mir. Der Reichtum hat mich arm gemacht. Könnte ich mich doch von meinem Körper lösen! Ein neuartiger Wunsch bei einem Liebenden: Ich wollte, der Gegenstand meiner Liebe wäre nicht bei mir! Schon nimmt mir der Schmerz die Kräfte, mir bleibt keine lange Frist mehr, [470] und ich erlösche im Lenz meines Lebens. Doch der Tod ist mir keine Last; denn der Tod wird mir die Schmerzen nehmen. Nur wünschte ich, der Geliebte lebte länger! Jetzt werden wir zu zweit als ein Herz und eine Seele sterben.« Sprach’s und kehrte in rasender Leidenschaft zu demselben Spiegelbild zurück, [475] trübte das Wasser mit Tränen, und durch die Bewegung im See wurden die Umrisse unscharf. Als er sah, daß das Bild verschwand, schrie er: »Wohin fliehst du? Bleib und laß mich, du Grausamer, in meiner Liebe nicht allein! Laß mich, was ich schon nicht berühren darf, wenigstens anschauen und so dem unglückseligen Wahn Nahrung geben!« [480] Und trauernd zerriß er das Gewand vom oberen Saum her und schlug sich mit den marmorweißen Händen an die nackte Brust. Von den Schlägen wurde die Brust rosig, wie Äpfel, die teils weiß, teils rot sind, oder wie eine noch unreife Traube, deren Beeren [485] die Farbe wechseln und sich allmählich purpurn färben. Sobald er dies alles in dem wieder klar gewordenen Wasser erblickt hatte, ertrug er es nicht länger. Wie gelbes Wachs an einem schwachen Feuer und wie der morgendliche Rauhreif an der warmen Sonne schmilzt, so schwindet er dahin, von Liebe ausgezehrt, [490] und langsam nagt an ihm ein verborgenes Feuer. Schon hat er nicht mehr die Farbe, die aus Weiß und Rot gemischt ist, keinen Schwung, keine Kraft, nichts mehr von dem, was eben noch das Auge erfreute; auch der Leib besteht nicht mehr, den Echo einst geliebt hatte. Echo wurde bei diesem Anblick von Schmerz ergriffen, obwohl sie ihm grollte [495] und nichts vergessen hatte. Sooft der bejammernswerte Knabe »Wehe!« rief, wiederholte sie mit nachhallender Stimme: »Wehe!« Hatte er sich mit den Händen an Schultern und Arme geschlagen, ließ Echo das Klatschen widerhallen. Während er ins vertraute Wasser blickte, waren seine letzten Worte: [500] »Ach, vergeblich geliebter Knabe!« Ebenso viele Worte hallten vom Walde wider. Und auf sein »Lebe wohl!« gab Echo ein »Lebe wohl!« zurück. Er bettete sein müdes Haupt aufs grüne Gras. Und der Tod schloß die Augen, welche die Schönheit ihres Eigentümers bewunderten. Auch nachdem er in die Unterwelt aufgenommen war, [505] betrachtete er sich im Wasser der Styx. Es klagten um ihn seine Schwestern, die Naiaden, schnitten sich Haarlocken ab und weihten sie ihrem Bruder; es klagten auch die Dryaden. In die Totenklage stimmt Echo ein. Schon bereiteten sie den Scheiterhaufen vor, Fackeln, um sie zu schwingen, und die Totenbahre: Da war der Leib nirgends mehr. An seiner Stelle finden sie eine Blume, [510] in der Mitte safrangelb und umsäumt mit weißen Blütenblättern.
Pentheus (I)
Das Ereignis wurde bekannt, und schon hatte es dem Seher überall in Achaeas Städten den verdienten Ruhm eingetragen, und der Wahrsager hatte einen sehr großen Namen. Doch als einziger von allen verschmäht ihn Echions Sohn Pentheus, der Verächter der Götter. [515] Er verspottet die prophetischen Worte des Alten und macht ihm seine Blindheit, den schmerzlichen Verlust seines Augenlichtes, zum Vorwurf. Jener aber schüttelt die grauen Schläfen und versetzt: »Wie glücklich wärest du, wenn auch dir dieses Augenlicht genommen würde, so daß du die Mysterien des Bacchus nicht sehen könntest! Denn der Tag wird kommen – und ich ahne, daß er nicht fern ist –, [520] an dem ein neuer Gott, Bacchus, Semeles Sohn, hier erscheinen wird. Wenn du ihn nicht für würdig hältst, von dir durch Tempel geehrt zu werden, wirst du, zerfleischt und verstreut, an tausend Stellen den Wald mit deinem Blut besudeln und auch deine Mutter und die Schwestern deiner Mutter. Ja, es wird geschehen; denn du wirst der Gottheit nicht die Ehre geben. [525] Beklagen wirst du noch, daß ich trotz meiner Blindheit nur allzu viel gesehen habe.« Während er solches spricht, jagt ihn Echions Sohn hinaus.
Auf die Worte folgt die Erfüllung; und was der Seher verkündet hat, spielt sich ab. Bacchus ist da, und die Felder brausen vor festlichem Frohlocken, ein Schwarm stürmt daher; unter die Männer mischen sich Mütter und Schwiegertöchter, [530] und Hoch und Niedrig eilt zu den neuartigen Mysterien. »Welch ein Wahn hat euern Sinn betört, ihr Schlangengeborenen, du Volk des Mars!« ruft Pentheus. »Kann denn Erz, das an Erz schlägt, so viel ausrichten, ein Blasinstrument mit gekrümmtem Horn und magischer Betrug? Männer, die kein Kriegsschwert, [535] keine Feldtrompete erschrecken konnte und kein Heer mit gezückten Waffen, sollen von Frauenstimmen, weinseligem Wahnsinn, zuchtlosen Horden und hohlen Tamburinen besiegt werden? Soll ich mich mehr über euch wundern, ihr Alten? Nach langer Seefahrt habt ihr hier ein neues Tyros, hier eine Flüchtlingsheimat gegründet; [540] und jetzt laßt ihr euch kampflos erobern? Oder mehr über euch, ihr jungen Männer, die ihr besser zum Krieg taugt und meinem Lebensalter näher steht? Euch ziemte es, Waffen zu tragen, keine Thyrsusstäbe, einen Helm, keinen Kranz aufzusetzen. Denkt bitte daran, woher ihr stammt, und erfüllt euch mit dem Mut der Schlange, die allein war und doch viele getötet hat. [545] Sie ist für die Quelle und den See gefallen; ihr aber, siegt um eurer Ehre willen! Sie hat Tapferen den Tod gegeben; verjagt ihr jetzt die Weichlinge und wahrt den ererbten Ruhm! Hat schon das Schicksal Theben keinen langen Bestand vergönnt – o wären es dann doch wenigstens Geschütze und Männer, [550] die unsere Mauern zerstörten! O klirrten doch Klingen und knisterten Brände! Dann wären wir unglücklich, aber ohne Tadel, man müßte unser Los beklagen, nicht verheimlichen, und wir brauchten uns unserer Tränen nicht zu schämen. Nun aber wird Theben von einem waffenlosen Knaben erobert werden, den kein Krieg, keine Speere, keine Rosse erfreuen, [555] sondern nur Haar, das von Myrrhe trieft, weichliche Kränze, Purpur und Gold, das in bunte Gewänder eingewoben ist. Ihn werde ich – haltet ihr euch nur zurück! – auf der Stelle zwingen zu gestehen, daß er sich seinen Vater selbst zugelegt und seine Mysterien erlogen hat. Soll etwa Acrisius Mut genug haben, einen falschen Gott zu verachten [560] und vor seiner Ankunft die Tore von Argos zu verschließen – den Pentheus aber und mit ihm ganz Theben soll ein Hergelaufener einschüchtern? Geht
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