Название: Metamorphosen
Автор: Ovid
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Reclam Taschenbuch
isbn: 9783159608006
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Doch Echions Sohn bleibt verstockt. Er schickt nicht mehr andere, sondern er geht selbst dorthin, wo der Cithaeron, den man zum Ort der Mysterienfeier erkoren hatte, von Gesängen und den hellen Stimmen der Bacchantinnen widerhallte. Wie ein feuriges Pferd schnaubt und Lust bekommt, in die Schlacht zu ziehen, [705] wenn der Kriegstrompeter mit dem klangvollen Erz das Signal gegeben hat, so wurde Pentheus erregt, weil langgezogenes Geheul den Äther erschütterte, und beim Anhören des Geschreis flammte sein Zorn wieder auf. Etwa auf halber Höhe des Berges liegt, rings von Wald umschlossen, ein Feld ohne Bäume, das von allen Seiten sichtbar ist. [710] Hier sieht Pentheus das Heilige mit unheiligen Augen. Als erste erblickt ihn dabei die Mutter. Als erste ist sie, vom Wahnsinn getrieben, auf ihn zugestürzt, als erste hat sie ihren Pentheus mit dem Thyrsus verwundet und gerufen: »Ihr zwei Schwestern, kommt herbei! Den Eber, der in Riesengestalt auf unseren Feldern umherstreift, [715] den Eber muß ich erlegen.« Die ganze Schar wirft sich rasend auf den einen Mann. Alle schließen sich zusammen und folgen dem Ängstlichen. Ja, schon hat er Angst, schon spricht er weniger gewalttätige Worte, schon verurteilt er sich selbst, schon bekennt er, daß er sich versündigt hat. Er war verwundet, doch rief er noch: »Hilf mir, Autonoe, Schwester meiner Mutter! [720] Laß dich in deinem Zorn erweichen durch Actaeons Schatten!« Sie weiß nicht mehr, wer Actaeon ist, und reißt dem Bittenden den rechten Arm ab, den anderen zerfetzt Ino mit heftigem Ruck. Der Unselige hat keine Arme mehr, um sie seiner Mutter entgegenzustrecken, doch zeigt er ihr die verstümmelten Wunden ohne die am Boden liegenden Glieder. [725] »Sieh mich an, Mutter.« Bei dem Anblick heulte Agaue auf, warf den Kopf in den Nacken und ließ das Haar im Winde flattern. Das abgerissene Haupt mit blutigen Fingern umklammernd, ruft sie: »Hurra, meine Gefährtinnen, dieses Werk habe ich siegreich vollbracht.« Schneller reißt kein Wind vom hohen Baume das Laub, das, vom herbstlichen Frost angegriffen, [730] kaum noch an den Zweigen haftet: So rasch wurden die Glieder des Mannes von frevelnden Händen zerrissen.
Mit diesem abschreckenden Beispiel vor Augen besuchen die Frauen vom Ismenus eifrig die neuen Mysterien und opfern Weihrauch an heiligen Altären.
Viertes Buch
Die Minyastöchter (I)
Doch Minyas’ Tochter Alcithoe weigert sich, die Weihen des Gottes anzunehmen; verwegen leugnet sie immer noch, daß Bacchus Iuppiters Sohn ist. Ihre Schwestern teilen ihre gottlose Gesinnung. Der Priester hatte geboten, das Fest zu feiern. [5] Dienerinnen und Herrinnen sollten die Arbeit ruhen lassen, sich die Brust mit Fellen bedecken, die Binden am Haar lösen, Kränze aufs Haupt setzen und belaubte Thyrsusstäbe in die Hand nehmen. Er hatte auch prophezeit, wenn man die Gottheit beleidige, werde ihr Zorn furchtbar sein. Mütter und Schwiegertöchter gehorchen, [10] legen Gewebe, Wollkörbchen und Spinnarbeit unfertig beiseite, opfern Weihrauch und rufen den Gott als Bacchus an, als Bromius, Lyaeus, den Feuererzeugten, zweimal Entstandenen, allein von zwei Müttern Geborenen, dazu Nyseus, Thyoneus mit langem Haar, Lenaeus, Stifter der herzerquickenden Traube, [15] Nyctelius, Vater Eleleus, Iacchus, Euhan und mit den zahlreichen Namen, die du sonst noch bei den griechischen Stämmen trägst, Liber! Hast du doch unerschöpfliche Jugend, bleibst ewig ein Knabe, oben im Himmel bist du als der Schönste angesehen. Stehst du ohne Hörner da, [20] hast du den Kopf eines Mädchens. Du hast den Orient erobert, bis dorthin, wo das Land der fahlhäutigen Inder vom fernen Ganges umströmt wird. Den Pentheus schlachtest du, Verehrungswürdiger, den beiltragenden Lycurgus, die Tempelschänder! Du läßt die Tyrrhener ins Meer springen, [25] du beugst die Hälse des Luchsgespannes, die buntes Zaumzeug schmückt. Dir folgen Bacchantinnen, Satyrn und der trunkene Alte, der seine taumelnden Glieder mit der Gerte im Gleichgewicht hält und unsicher auf dem durchhängenden Eselsrücken sitzt. Wohin man auch geht, erschallt das Geschrei junger Männer, dazu Frauenstimmen und der Schlag flacher Hände auf Pauken, [30] es erklingen hohle Erzbecken und Schalmeien aus Buchsbaum mit langer Bohrung.
»Steh uns versöhnt und gnädig bei«, beten die Frauen vom Ismenus. Sie vollziehen die heiligen Handlungen wie befohlen. Nur die Töchter des Minyas stören das Fest, indem sie im Hause zur Unzeit das Werk der Minerva verrichten: Sie ziehen Wolle oder drehen Fäden mit dem Daumen [35] oder verharren am Webstuhl und treiben die Mägde zur Arbeit an.
Pyramus und Thisbe
Eine von ihnen spinnt mit flinkem Daumen einen Faden und spricht: »Während andere faulenzen und erlogene Mysterien besuchen, hält uns Pallas, die bessere Göttin, fest; so wollen wir uns die nützliche Handarbeit mit mancherlei Reden versüßen [40] und im Wechsel, um uns die Zeit nicht lang werden zu lassen, unseren unbeschäftigten Ohren etwas berichten.« Die Schwestern stimmen ihren Worten zu und fordern sie auf, den Anfang zu machen. Sie überlegt, was sie aus ihrem reichen Schatz hervorholen soll – sie wußte nämlich sehr viele Geschichten –, und schwankt noch: Soll sie von dir, babylonische Dercetis, erzählen, [45] von der Palaestinas Bewohner glauben, sie sei verwandelt worden, habe ein Schuppenkleid erhalten und im Teich Wellen geschlagen? Oder soll sie lieber davon berichten, wie Dercetis’ Tochter Flügel bekam und ihre letzten Lebensjahre auf hohen Türmen zubrachte? Oder wie die Naiade durch Gesang und allzu zauberkräftige Kräuter [50] junge Männer in stumme Fische verwandelte, bis ihr dasselbe widerfuhr? Oder wie der Baum, der einst weiße Früchte trug, jetzt schwarze trägt, da er mit Blut bespritzt wurde? Dafür entscheidet sie sich, weil diese Geschichte unbekannt ist. Und sie begann folgendermaßen, während die Wolle gehorsam zum Faden wurde:
[55] »Pyramus und Thisbe, er der schönste der jungen Männer, sie herrlicher als alle Mädchen im Orient, bewohnten benachbarte Häuser in der hochgebauten Stadt, die Semiramis mit Mauern aus Lehmziegeln umgeben haben soll. Nachbarschaft machte sie miteinander bekannt und erlaubte ihnen die ersten Schritte der Annäherung. [60] Mit der Zeit wuchs die Liebe; sie hätten auch Hochzeit gefeiert, aber die Väter verboten es. Eines aber konnten sie nicht verbieten: Beide waren gleichermaßen in Liebe entbrannt, die ihnen den Verstand raubte. Keinen Mitwisser gibt es; sie sprechen durch Winke und Zeichen, und je mehr die Liebe versteckt wird, desto heißer schwelt ihre Glut. [65] Ein feiner Riß durchzog die gemeinsame Wand beider Häuser. Den hatte sie einst bekommen, als sie gebaut wurde. Diesen Fehler, den viele hundert Jahre lang niemand bemerkt hatte, saht ihr zuerst, ihr Liebenden – was merkt Liebe nicht? –, und machtet ihn zum Weg für eure Stimme. [70] Ungestört wanderten durch jene Ritze murmelnd geflüsterte Koseworte ständig hin und her. Kaum hatte sich hier Thisbe, dort Pyramus aufgestellt und der eine den Hauch vom Munde des anderen zu erhaschen versucht, sagten sie oft: ›Neidische Wand, was stehst du den Liebenden im Wege? Wie wenig würde es dir ausmachen zu erlauben, daß wir uns mit dem ganzen Körper vereinigen [75] oder, wenn dies zuviel verlangt ist, wenigstens so weit offenzustehen, daß wir uns küssen könnten! Doch sind wir nicht undankbar; wir bekennen: Dir verdanken wir es, daß die Worte den Weg zum Ohr des Geliebten finden.‹
Solches redeten sie vergeblich, jeder auf seiner Seite, sagten sich am Abend Lebwohl, [80] und jeder gab seiner Seite der Wand Küsse, die nicht hinübergelangten. Das nächste Morgenrot hatte die Sterne vertrieben, und Sonnenstrahlen hatten den Tau auf den Gräsern getrocknet. Sie trafen sich am gewohnten Platz. Lange klagen sie kaum hörbar murmelnd und fassen dann einen Beschluß: Sie wollen versuchen, [85] in stiller Nacht die Wächter zu überlisten, zur Haustür hinauszugehen und danach auch die Häuser der Stadt hinter sich zu lassen. Um nicht auf ihrer Wanderung im freien Feld umherirren zu müssen, wollten sie einander am Grab des Ninus treffen und sich im Schatten eines Baumes verstecken. Dort stand nämlich ein Baum, überreich an schneeweißen Früchten, [90] ein hoher Maulbeerbaum, dicht neben einer kühlen Quelle. Die Abmachung ist getroffen. Das Tagesgestirn, das ihnen allzu langsam fortzugehen СКАЧАТЬ