Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203710

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СКАЧАТЬ Inhaltsverzeichnis

      »Spuren des russischen Rückzugs«, sagte Keltermann und stieß einen morschen Sattel wie einen Fußball vom Boden empor.

      Unauffällig in ihrem Feldgrau zogen die acht dahin. Der Boden, bald Moos, bald Heide oder Nadelwaldgrund und wieder Sumpfwiese, bog sich teppichweich und leise. Nur das ausgedörrte, rostbraune Gezweig, das, durch die Axt oder durch Geschosse vom Stamm geschlagen, allenthalben umherlag, knisterte und knackte unter den benagelten Stiefeln, und wo die Sonne die Karabiner traf, blitzte stechend der Stahl auf.

      »Sechzehn Kilometer vor den äußersten Stellungen.«

      Die kleinen, jämmerlich abgemagerten Russengäule vor einer passierenden Gulaschkanone wurden belacht; nur Leibgeris sprach ernst mit seiner Grabesstimme eine neue Kriegsbeobachtung aus, auf die ihn das Quietschen der Räder brachte: »Auch an Schmiere mangelt's.«

      Sie blickten die vereinzelten Infanteristen, Jäger oder Artilleristen, die ihnen begegneten, unternehmungsstolz und ebenso wissensdurstig an, wie sie selber als Mariner in dieser Gegend betrachtet wurden. Aber jedesmal glitten, wenn solch ein Tschaßki auftauchte, die Karabiner von den Schultern. Denn ob diese acht Männer sich auch auf deutschem – deutsch besetztem Gebiet befanden, so deuchte ihnen doch Vorsicht geboten. Märsche durch unbekanntes Terrain unmittelber hinter der Kampflinie waren ihnen etwas Neuartiges.

      Das Neuartige speiste ihre Phantasie, ihr verwegenes Wohlbehagen und ihre Furcht, obwohl das keiner dem anderen eingestand; äußerlich, in Sprache und Miene, wahrten sie eine gewisse eingeführte Verkehrsform, die schlapp und unehrlich war.

      Als zwei Reiter sich näherten, wie sich ergab: ein Major mit seinem Burschen, lief ihnen Bootsmaat Olyphant entgegen und meldete stramm dem Offizier:

      »Zwei Unteroffiziere und sechs Mann vom Sonderkommando 213 der zwoten Matrosendivision auf dem Wege nach Goflaz.«

      »Marine hier? Was wollt ihr den in Goflaz?«

      »Quartiere suchen.«

      »Und was hat Ihr Kommando vor?«

      »Darüber darf ich nicht reden, Herr Major.«

      Der Offizier machte eine unwillige Geste, fand indessen die Antwort korrekt und trabte dankend weiter.

      Abermals ließen sich Kanonenschläge von weit her vernehmen, dann minutenlang ein Geräusch, wie es ähnlich ein Spaziergänger erzeugt, der seinen Stecken an einem Gartenzaun streifen läßt.

      »Das sin russ'sche Maschinengewähre, unsre deitschen dack'n viel schneller.«

      »Ach, Schnack! Du hast gar keinen Savi von solchen Sachen.«

      »Villeichd mehr als du, griener Regrud. Du bisd ja noch nich mal droggen hinder de Ohren.«

      »Leicht möglich, weil ich mich öfters wasche, während gewisse andere Leute seit – – –«

      »Was du so waschen nennst: in de Lufd geschbuggd und drunder weggesausd –«

      Die Kameraden nahmen durch Gelächter oder hämische Glossen Partei. Inzwischen war auch unter den beiden vorausschreitenden Unteroffizieren Hader ausgebrochen. Obermaat Glomsda behauptete, ihm, als dem Dienstälteren, hätte die Meldung an den Major zugestanden. Berthold Olyphant hingegen berief sich darauf, daß er aktiv sei und daß der Kapitän ihn als Transportführer bestimmt, solches auch nicht widerrufen habe, als noch im letzten Augenblick der Obermaat zu der Gruppe hinzukam. Der unerquickliche Streit grub allerlei kleinlichste Nebensachen und Vorwürfe aus.

      Ein breites Rauschen schlich sich in die Ohren ein. »Die See«, sagte Glomsda, »wir wollen dem Strande folgen, es ist der sicherste und der hellere Weg.«

      In der Tat beugte sich Olyphant doch meist der größeren Erfahrung und der nüchternen Entschlußfertigkeit des Obermaaten.

      Das Gelände ward zunehmend sandiger und damit anstrengender. Wagenräder und abscheulich unsaubere Kleidungsstücke lagen am Wege – auch ein abgenutzter Kinderschuh und (der Tsingtauschorsch griff es auf, alle bestaunten das an sich unscheinbare, ausgezackte Eisenstück) ein Granatsplitter. »Wer das in de Fresse grichd, der gann sich nachher de Visasche mid d'r Debbichsauchmaschine zusammsuchen.«

      Ein Pionier schloß sich ihnen an, der einen Postsack nach einem Unterstand bringen sollte. Sie frugen ihn aus, heiß neugierig, und er gab wichtig Auskunft, mit Erfundenem flickend, wenn seine Kenntnisse aussetzten. »Noch sechs Kilometer bis Goflaz ... dort liegen Dragoner, Artillerie ... fünfzehn Zentimeter und zwanzigeinhalb ... jeden Abend funken die Russen, aber an ein Vorwärtskommen durch den Sumpf ist vorläufig beiderseits nicht zu denken ... Spione erschossen ... Nein, diese Post ist für Pioniere ...«

      »Ein Sack voll Speck und Tränen aus aller Welt«, bemerkte Olyphant, nur um als Teilnehmer an der Unterhaltung zu gelten.

      »Bekomm ju regelmäßig Post?« ... »... Urlaub ... Entlausung ...«

      »Seid ihr alle geimpft?« ... »Wie schdehd's denn mid der Verflägung? Mer gann sich hier wohl geene Schwielen in'n Bauch fressen?«

      Bald wußten sie alles oder stellten doch, von Neuigkeiten gesättigt, das Fragen ein.

      Schier unerträglich drückte der Ranzen, das Koppelzeug mit Spaten und Patronen.

      Da tat sich eine überraschende, weite Helle auf. Vor der tiefstehenden Sonne blendeten und glitzerten die Dünen, deren Flächen vom Wind in starre Wellchen gemustert, streckenweise von Fußspuren sowie verstreutem, vielartigem Gerät und Abfall gestört waren. Auf einem Hügelkamme stand vor feurig ausgestrichenem Gewölk eine anmutige Silhouette. Zwei Lanzenreiter –»Dragonerpatrouille« – neben einer abnormen Kiefer.

      Müde stapften die Maate und Matrosen hügelan, hügelab, bis das Meer, ihr Meer sie mit wildem Spiel aufweckte. Weiße Schaumungeheuer fauchten über das dunkle Gewoge, glitten ein Stück von rechts nach links und versanken jäh, und immer neue kamen und schwanden.

      »Die Landzunge ist noch von den Russen besetzt.«

      Immer noch donnerten die Kanonen.

      »Setzt die Karabiner – zusammen!« Die Tornister fielen herab, überschlugen sich. Es war ein süßes Atmen ohne diese Bürde. Es war eine Wonne, sich nun auf unbemessenem, sauberem Boden lang zu strecken.

      Waschkuhn durchkämmte mit gepreizten Fingern den Rieselsand. »Kik mol, du Krät, dat es enn Collerabakzille; ek glow, dat hebbe de krätsche Russe akratz för uns hengeschmäte.«

      Der Mann mit dem gelben Bande der Rettungsmedaille ereiferte sich: »Blödsinn! Eine Bazille ist so lütt, daß man sie ohne Brille überhaupt nicht sehen kann.«

      »Soll das wahr sin, daß das Ubood im Schußfeld unserer Badderien liechd?«

      »Selbstverständlich, sonst würden es doch die Russen sich zurückholen.« Der Tsingtauschorsch schleuderte einen halben Pferdeschädel nach dem Sachsen. Daraus entstand neuer Zwist. Auch die Unteroffiziere bissen sich noch eine Weile. Dann war wieder Waschkuhns Stimme oben: »Mensch, mog di man nich so breet!«

      »Was willst du denn immer von mir, du schwammiges Aas?«

      »Ik war СКАЧАТЬ