Ja, – er ist erst vorgestern zu der Prinzessin geholt worden. Hat sie sehr elend gefunden, namentlich recht schwachen Puls. Auch sehr schlecht ernährt. Ein organisches Leiden hat er nicht entdecken können. Die große Schwäche des Herzens –
»Meine Tochter ist sehr schnell gewachsen, sie ist ein ziemliches größer als ich. Daher das schwache Herz. Die italienische Kost hat ihr nicht zugesagt. Ich war dagegen, daß meine Schwester eine italienische Köchin engagiert hat.
Und Sie hoffen, Herr Doktor, daß wir bald wieder über den Berg kommen?«
Ja, der Herr Doktor hofft. »Wohl nicht so ganz schnell. Auch ist der Schwächezustand eine tägliche Gefahr.« Doktor Vogt findet in sich ein schlummerndes Talent zum Hofarzt.
»Nun, wird meine Tochter mich erwarten? Wollen Sie die Güte haben, nachzusehen ...«
Aber auch dem Fürsten gibt es einen Herzstoß, wie er sein Kind sieht. Und doch ist ein schwaches Rot auf den Wangen, und wie schön sind die Augen in ihrem feuchten Glanze.
Der Fürst schiebt seinen Arm unter ihren goldenen Kopf und hebt sie sanft empor.
»Vater, liebster Vater, verzeihe, ach verzeih!«
Er zuckt zusammen. Ach, er hatte alles vergessen.
»Du wußtest nicht, was du tatest.«
»Vergib, Vater, o vergib, ich habe gekämpft, oh, bitter habe ich gekämpft.«
Er legt sie auf ihre Kissen zurück und gewöhnt sein armes Herz an ihren Anblick. Sie hat gelitten!
»Harro ist hier, Vater.«
»Harro hier?«
»Ich habe ihn gebeten. Er will mit dir reden –«
»Hast du ihn empfangen, Rosmarie? Das kannst du unmöglich getan haben. So allein und krank wie du bist –«
»Er wollte nicht kommen, aber als ich beinahe gestorben wäre, holten sie ihn. Sie wußten ja, daß er mein Freund sei. Und so ganz allein, Vater ...«
»Liebe Rosmarie ...«
»Nicht ›taktlos‹ sagen, Vater. Du sollst den Doktor fragen, ob ich so nahe am Abgrund war oder nicht. Und Herr Geheimrat Schwarzen, das ist fast eben so gut, wie wenn es der Herr Stiftsprediger wäre, – war auch dabei.« »Und Miß Granger.«
»Sie ist so sonderbar geworden. Ich hätte es dich wissen lassen müssen. Sie sagen nun, sie hätte eine schlimme Krankheit.«
»Lieber Himmel, warum erfahre ich das jetzt erst?«
»Es war zuerst nicht so schlimm. Und dann war ich so bitter. Ich dachte, das gehört ja auch zu meiner Verbannung, daß ich mit Menschen leben muß, die nichts, gar nichts von mir wissen.«
»Reden wir jetzt nicht mehr davon. Rosmarie, du hast dich gegrämt. Deine armen Hände ... Nein, schweigen wir davon. Schweigen wir immer davon, Rosmarie.«
»Vater, wenn es sein muß. Ja. Schweigen.
Aber ich flehe dich an! Höre zuerst einmal Harro! Und dann schweigen, Vater. O Vater, ich will auch darunter dein liebes Kind sein.«
Einundzwanzigstes Kapitel.
Das schwarze Band
Der Fürst hat sich in dem engen kleinen Zimmer etwas manövermäßig, wie er sagt, einquartiert, und seine schönen Zimmer im Hotel Angst bewohnt sein Kammerdiener.
Er geht in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab und kennt jede Dielenritze und die Silhouetten sämtlicher Löwen. Er wagt kaum bis zum Strande vorzudringen, so ängstigt ihn der Gedanke, Rosmarie könnte eine der schweren Ohnmachten bekommen. –
Wenn er dabei ist, – nein, das tut sie ihm nicht an. Daß aber ihr Befinden nicht besser wird, das kann ihm kein Mensch verschleiern. Der Doktor ist auch von seinem kurzen, viel versprechenden Anlauf als Hofarzt zurückgesunken und kann durchaus keine Besserung finden. Wenn der Fürst auch hundertmal am Tage danach fragt.
Und wie kann es Rosmarie auch besser gehen? Sie wartet ja. Sie wartet jeden Morgen bis zum Abend. Und das Warten, wenn die Stunden ohnedies so schmerzbeladen schleichen, ist eine Qual.
Und schwer genug ist es gewesen, ihrem Vater das Versprechen abzuringen, daß er mit Harro reden will; so wagt sie es nicht, ihn durch Erinnern daran zu betrüben.
Miß Granger muß auch besorgt werden. In eine Heilanstalt, wo sie von ihrem schweren Leiden, das sie in ihrem durch lange Heimatlosigkeit und Dienstbarkeit zermürbten Leben überfallen hat, geheilt werden kann. Wohl zuerst nur ein wenig Vergessenheit, – bis die Last immer schwerer wird und keine morgendlichen Reu- und Bußtränen den abendlichen Taumel verhindern können. Und Rosmarie hat auch ein leises Schuldgefühl gegen Miß Granger in ihrem feinen Herzen. Sie hätte die Arme nicht so ohne Hilfe hinuntergleiten lassen sollen. Sie erreicht auch, daß für sie gesorgt wird und daß man ihr all die Dinge läßt, die sie in Angst vor dem immer näher heranschreitenden Unheil von Rosmarie erbeutet hat. –
Wenn der Fürst unruhige und ängstliche Tage verbringt, so geht es Harro nicht besser. Er hat sich in Rosmaries Kunstwerk hineingesehen, bis ihm von all den Dornen das Herz geblutet hat. Und immer ferner steht die Hoffnung am Horizont, daß er irgend etwas wird bessern können. Als Rosmaries Brief zurückkam, hat ihn nur die Geschichte jener Gewitternacht überrascht. Das andere haben ihm die Rosen auf dem weißen Grunde alles erzählt. Und aus dem Brief schlägt ihm ein so felsenfestes Vertrauen entgegen und immer dies selbe Gefühl für seine Kunst, die sie in all ihrer Not nicht vergißt.
Und sie hat ja fast Unmögliches von ihm gefordert. Harro wendet die Sache in hundert imaginären Gesprächen mit dem Fürsten hin und her, bis ihm der Kopf davon brennt und eine müde Trostlosigkeit sich seiner bemächtigt.
An die Ereignisse jener Nacht nur zu rühren verbietet ihm sein Zartgefühl. Es wäre da ja auch manches zu sagen. Zum Beispiel, warum Rosmarie nicht Fräulein Bergmann holte. Aber damit befindet er sich zwischen zwei Ehegatten als Mitwisser ihrer tiefsten Geheimnisse. Wenn er jetzt doch so weit wäre, daß der Fürst ihn mit gewohnter Liebenswürdigkeit nach seiner Gemahlin fragen könnte.
»Danke, Durchlaucht. Und er wog sieben Pfund und gedeiht ganz prächtig.« Warum hat er seine Zeit nicht besser angewendet, solange sein Herz noch ihm gehörte? Freilich, Rosmarie hätte er dann nicht wiedersehen dürfen. Aber doch ihr beistehen!
Er richtet sich im Hotel Angst stets auf sofortige Abreise ein. Packt jeden Morgen seine Sachen sorgfältig zusammen, – dann erst wird ihm leichter. So kann er jeden Augenblick abfahren, es gehen ja immer Züge. Schon in San Remo ist er sicher. Bei all dem lernt er die Tapete und jedes Ornament seiner Zimmerdecke auswendig. Und wiegende Palmenkronen und fernes Meeresblinken verbindet sich unlöslich mit dem Gefühl ängstlichen Harrens und Grübelns in seiner Seele.
Nur abends trägt er seine Unruhe zu dem Herrn Geheimrat und dem verdrossenen Doktor hin. Die wissen ja alles von der Villa СКАЧАТЬ