»Lieber Vater.« Ihre dünnen Arme legen sich um seinen Hals. »Ach, vergib, vergib. Ich hatte nicht genug Geduld, ich habe gesündigt an der Liebe. O sag, daß du mir vergibst.«
Der Fürst hält ihren Kopf an seiner Brust und küßt ihre Haare, ihre weiße Stirne.
»Meine Rose, meine weiße Rose. Es ist alles vergeben, nur sollst du gesund und froh werden. Willst du deinen Freund sehen?«
Aber Rosmarie will selbst das nicht mehr. Sie fühlt die lange Qual, die jetzt von ihr weicht, noch einmal: wie dem Reiter übern Bodensee, so ist's ihr. Nein, sie muß still liegen und kann nur die weiße Rose, die ihr der Vater gebracht, an ihre schmale, tränennasse Wange drücken und still sein, ganz still.
»Sie hat sich überfreut,« sagt Harro, als er es hört.
Es ist sonnig heute, und Rosmarie kann auf die Veranda gebracht werden und dort in der Sonne liegen, warm eingebettet. Harro hat sehr kunstvoll einen roten Seidenschal so aufgehängt, daß nur Rosmaries Gesicht beschattet ist und sonst die herrliche Sonne auf sie wirken kann. Sie hat ein weißes wollenes Kleid an, und auf ihr weißes Gesicht fällt ein rosiger Schein von dem sonndurchglühten Tuch. Harro hat im ganzen Hause segensreich gewirkt, den Fürsten in Miß Grangers Zimmer einquartiert, ihm neben der Veranda ein kleines Lesezimmer eingerichtet. Er hat Rosmarie nur auf kurze Augenblicke gesehen, und der Fürst hat sich nicht genug wundern können, wie einfach und ruhig es dabei herging, ganz wie bei alten Freunden, die sich gar nie getrennt haben.
Heute soll nun Harro bei Rosmarie sitzen, und der Fürst will in der kleinen Stube nebenan seine Post erledigen, die immer mehr anschwillt. Aber selbst die wichtigsten Dinge fesseln nicht sein bedrängtes Gemüt. Rosmarie sollte jetzt eine Mutter haben. Eine Mutter, die fühlt und ahnt, wie es um ihr Kind und diesen langen Menschen, diesen sicheren Mann steht, dessen Schatten immer mehr auf ihn zu fallen beginnt. Rosmarie hat ihren Freund vor seinen Augen begrüßt, wie wenn er keine acht Tage von ihr getrennt gewesen wäre. Wie das Seelchen redet sie mit ihm. Sie reden Kunst, sehr viel Kunst. Harro nennt es zwar ›Terpentin reden‹, scheint aber doch darin zu schwelgen. Rosmarie ist unheimlich über alle möglichen Kunstfragen unterrichtet, der Fürst hat nicht leicht so wenig jungmädchenhafte Gespräche gehört. Sind das alles wirklich vor ihm drapierte Blender und reden sie eine andere Sprache, wenn sie allein sind? Eine Mutter würde ja fühlen, würde aus all diesen Luftperspektiven, Stimmungs-, Kirschharzgesprächen sofort den richtigen Ton heraushören. Ist Rosmarie wirklich noch ein Kind und liebt sie den großen Mann eben aus alter Gewohnheit weiter, so wie sie ihn liebt? Der Fürst seufzt und kann dem Memorandum des Domänendirektors keinen Sinn abringen. Und noch andere nicht ganz gelöste Fragen bestürmen sein Herz.
Und er geht mit zögernden Schritten nach der Glastüre, die ihn von dem Vorzimmer trennt, das auf die Veranda führt. Und dann macht er doch geräuschvoll auf. Sie werden es gehört haben, die beiden da draußen, aber wenn er doch ein Wort erhaschen sollte. Die beiden haben es wohl gehört, aber das Zimmer ist erst eingerichtet worden, die fremde Tür sagt ihnen nichts. Sie denken gar nicht daran. Der Fürst ist bei seiner Post ...
Harro sitzt auf einem der grünen Stühle, die in allen Gelenken krachen und deren man sich, wie er sagt, nur auf Kündigung bedienen kann. Er hat sein Skizzenbuch vor sich und zeichnet einen Lazertenkampf, den sein rasches Auge auf dem grünen Dach des Gewächshauses, das unter der Veranda liegt, erspäht hat, und den Rosmarie nicht hat sehen können.
Der Fürst hört das leise klingende Lachen seiner Tochter über der Skizze, wie sie sich freut an der Stellung der beiden erbosten Miniaturdrachen. Also Kunst und wieder Kunst, denkt der Fürst und ergreift das Memorandum mit bedrücktem Gemüt.
Da plötzlich klingt der seltsam eindringliche Ton von Rosmaries Stimme an sein Ohr.
»Ja, bist du morgen noch da, Harro?«
»Oh, morgen noch gewiß. Ja, morgen noch.«
»Ich möchte es zuvor wissen, du darfst nicht nur verschwinden, denn ich sehe dich nun viele Jahre nicht mehr. Wenn ich bei den Eltern leben und der Mama in allem zu Willen sein soll ... Und eins mußt du mir versprechen: Du mußt mir immer zu Weihnachten etwas schenken. An Weihnachten sah ich dich zuerst. Du weißt, ein abgerissenes Blatt aus deinem Skizzenbuch, das beglückt mich schon sehr. An Weihnachten muß man sich auf etwas freuen können.«
»Ja, an Weihnachten,« sagt Harro, und seine Stimme klingt seltsam umschleiert. »Ja, da kamst du zu mir.«
»Und vorher. Als du die Prinzessin schnitztest, in dem Zimmer, wo das goldene Geschlinge an der Decke war.«
»Das weißt du, o das weißt du auch!«
Serenissimus hat seine Zeitung fallen lassen, ihn haben sie wohl vergessen, – oder soll er es hören?
»Ich war oft dort und sah dir zu, warum hobest du deine Augen nicht?«
»Ich bin blöde und dickfellig und du bist ... aber wie ist's möglich? Bist du denn nicht in das Gehäuse von Fleisch und Bein eingeschlossen wie ich und die andern? Wer hat dich das gelehrt?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht meine große Sehnsucht, die Einsamkeit. Und du wirst es nur nie versucht haben.«
»Wie ist es denn möglich ...«
»Es ist ganz einfach. Sieh, wenn ich liege, strecke ich mich aus, so lang ich kann, ich schiebe meine Hände unter mein Haar, so – siehst du, und nun fange ich an, mit meinem Geist zurückzugehen in mein Kinderland. Da bist du doch auch dabei. Ich darf an nichts anderes denken, ich muß stark wollen, ich darf nur wenig gegessen haben, ich muß ganz still sein. –
Und nun nehme ich einen Tag, eine Stunde, wie ich sie im Gedächtnis trage, auf die stelle ich mich ein. Dann liegt mir ein Druck auf der Brust, der wird stärker und stärker, dann ein Rauschen, als flöge ich durch Luftmeere. – Harro, hast du mich gesehen, vor einem Jahre?«
»Du hobest die Schale. Ich habe mir einzubilden gesucht, ich sei eingeschlafen und habe geträumt.«
»Da gelang es mir zum erstenmal. Und ich war bei dir in der Ruine ... aber es bedrängte mich so stark, daß ich ohnmächtig wurde. Und dann suchte ich dich, als ich hier in der Einsamkeit und in der Schmach war, und fand dich nicht. Nie fand ich dich, nicht in der Ruine, nicht in den Wäldern, wo wir so oft zusammen waren. Da war ich sehr traurig. Und endlich fand ich dich doch in der Stube, wo das goldene Geschlinge an der Decke war.«
»Ja, es hatte einer mit mehr oder weniger Glück Leonardo da Vincis goldenes Schnurornament nachzuahmen versucht.«
»Es war ein weiter Weg gewesen, schrecklich die vielen dunkeln Ströme, über die man so schwer hinüber kommt. Immer sind sie schwarz und groß und in wildem totenstillem Ziehen, und an ihren Ufern erschauert die Seele, die so zart ist. Aber man muß doch. Und dann fand ich dich. Aber es war wie bei der Königstochter vom gläsernen Berg, du schliefest.« »Und ich war so roh und schlief weiter. Nein, ich weiß, ich träumte von dir ...«
»Und einmal sah ich dich, wie du an den Gänsen schnitztest ... und wie ich wiederkam in die Stube, da war sie leer ... und ich mußte wieder suchen gehen ... Aber ich fand dich nicht.
Und dann konnte ich auch nicht mehr dich suchen gehen, denn ich war krank und litt, und der Leib hielt seine Seele in eisernen Klammern fest.
Aber am Weihnachtsabend, da ließen plötzlich die Leiden von mir, ich lag unter der Braunecker Tanne und war allein und es war auch früher als sonst. Da dachte ich, nun suche ich dich СКАЧАТЬ