»Oben in ihrem Zimmer – sie sei gleich hinaufgegangen, ohne auf die Reden des Mädchens zu achten. Ich habe einen unglaublichen Radau oben gemacht, um sie herbeizubringen. Umsonst. Entweder muß sie taub sein oder ...?«
»Dann wird sie freilich nicht viel nützen ... Eine peinliche, eine sehr peinliche Sache, Doktor!«
»Wo haben Sie den geheimnisvollen Freund? Ohne Einspritzung kommen wir doch nicht über die Nacht hinweg ... aber wir können es auch mit dem Freund versuchen. Wir sind nicht in der Lage, uns irgend eine Chance entgehen zu lassen.«
An der Tür stand der lange Thorsteiner.
»Graf Thorstein.«
»Doktor Vogt ...«
»Kann ich Ihre Durchlaucht sprechen?«
»Bitte, kommen Sie!«
Einen Augenblick bleibt der Thorsteiner an der Schlafzimmertüre stehen wie ein Pfahl, und dann – nein, du finsterer Doktor, es geschieht nicht, was du erwartest.
Nein. Der Thorsteiner nimmt sanft die arme Hand und legt sie wieder hin.
»So krank bist du, armes Seelchen?«
Sie hat ihre großen sanften Augen auf ihn gerichtet und versucht ein Lächeln: »Oh, wie froh bin ich, daß du da bist, Harro. Ich danke dir, daß du mir das schöne Werk zu Weihnachten geschenkt hast. – Ich freute mich sehr. Am schönsten ist die würdevolle Gans, die vorderste.«
»Wenn es dir nur Freude gemacht hat. Es dürfte mir besser geraten sein. Du lobst auch die Gänse mehr als die Prinzessin.«
Wie gute alte Freunde reden sie, die sich vor wenigen Tagen getrennt haben, und zwischen denen alles so klar wie möglich ist.
»Und du willst für mich mit meinem Vater reden! Du wirst meinen Brief bekommen, und ich habe es auch alles in meine Decke gestickt. Sie muß neben meinem Stuhle liegen. Sie ist nun freilich nicht ganz fertig geworden. Sie gehört dir, die Decke. Aber leider, ein Weihnachtsgeschenk ist sie nicht. Ich hatte dir nichts diesmal, es hat mir recht weh getan.«
»Und noch viel anderes, Seelchen.«
Der Herr Professor findet, daß er überflüssig ist, und will sich erheben: aber Harro hält ihn fest: »Bitte, bleiben Sie!«
Und die Prinzessin sagt: »Du bist so groß über mir, Harro, – setze dich doch dorthin.«
Dieser Graf ist der vernünftigste Mensch, den der Doktor je in einem Krankenzimmer gesehen hat. Nun setzt er sich hin, nicht zu nahe, nicht zu ferne von dem Bett und versteht da zu sitzen, daß man ganz beruhigt wird, wenn man ihn nur ansieht. Ruhig und nicht lässig, so wie es die Leute tun sollten und es meistens nicht fertig bringen. Und die Prinzessin sieht mit ihren großen sanften Augen nach ihm, als wärme sie sich an seinem Anblick. Sie schweigen beide. Aber es ist kein bedrücktes Schweigen, kein Schweigen, wobei man das Gefühl hätte, als warte eines auf irgend ein Wort, wie es nun fällt, – ein Schweigen, das gutmütige und nervöse Menschen zu den törichtsten Reden zu verführen pflegt. Nein, es ist ein gesättigtes Schweigen, wenn man so sagen kann. Wozu das Zungenwerk? Wir verstehen uns auch so. –
Aber dem Doktor gefallen ihre schöne Ruhe und die Stille und ihre sanften Augen, in denen beinahe ein Lächeln liegt, nicht. Nun darf sie sich noch ganz sanft, nur ein wenig, ausstrecken, ihre Hände etwas heraufziehen –.
Und dieser sichere Mann da wird wohl auch etwas aus seiner beneidenswerten Ruhe kommen. Den Berg hinauf geht es jetzt sehr viel schwerer als hinunter.
Und der Doktor kommt wieder mit seinem Trank und gibt ihn dem Grafen ... er kann sie wohl am ehesten dazu bewegen.
Harro steht sofort auf. »Fräulein, helfen Sie, schieben Sie den Arm unter das Kissen. – Seelchen, das sollst du nehmen.«
»Ach, Harro – nein – du weißt nicht ... ach, könnt Ihr mich nicht lassen? Muß ich denn durch die Glut und die Hitze und die Pfeile nach Jerusalem –«
»Sie müssen, Prinzessin! Sie werden doch nicht jetzt schon den Kampf aufgeben ...« flüstert der Professor.
»Muß ich, Harro?«
»Du wirst wohl müssen ... ich ... nein ... ich zwinge dich nicht. Wenn du nicht willst, so stell ich das Glas fort, und wir lassen dich in Ruhe. Und ich bleibe noch bei dir, wenn du es wünschest. Vielleicht kannst du ein wenig schlafen ...«
»O wie gerne ... aber ich darf nicht. Sieh ... die Augen –«
»Es ist niemand da, quäl dich doch jetzt nicht damit.« »Ich muß, ich muß – Harro gib mir das Glas. Ich danke dir, daß du es mir erlassen hättest. So gut wie du ist niemand. Und nun mußt du gehen. Und Herr Geheimrat auch. Bitte. Ich danke sehr, sehr. Lebwohl.«
Ja, sie müssen gehen. Der Doktor zuckt die Achseln und begleitet sie hinaus. Ja, es kann die Nacht so hingehen.
»Ich wohne im Hotel Angst, Herr Doktor, und bin dort zu erreichen, wenn man mich in der Nacht noch wünschen sollte.«
»Wenn ich Leute hätte in diesem verwunschenen Hause,« ruft der Doktor ärgerlich. »Es muß ein Diener da sein, aber er sei auf einem englischen Dienerball.«
»Beruhigen Sie sich, Herr Doktor, ich werde ihn schon an den Löffeln nehmen, wenn nicht leiblich, so durchs Telephon, in einer halben Stunde haben Sie ihn,« sagt der Thorsteiner.
Wie sie hinausgehen, sieht Harro neben dem Stuhl der Prinzessin eine zusammengelegte Arbeit liegen. Das ist wohl die Decke. Er öffnet die Rolle ein wenig ... Dann schlägt er sie sorgfältig zusammen und nimmt sie mit.
Und nun gehen sie zusammen, zuerst in Harros Hotel, denn in seiner Pension wird der Herr Professor nichts mehr zu essen bekommen. Und Harro bittet sehr, der Geheimrat möchte ihm doch die Ehre erweisen, sein Gast zu sein. Dann gehen sie mit einer Zigarre in den Rauchsalon, wo zwischen hohen Palmengruppen bequeme Korbstühle stehen. Nur wenige Menschen sind da. Ein runder Platz am tiefen Fenster, von wo aus man ein ungewisses Blinken vom Meere her sieht, ist noch leer. Harro raucht eigentlich nur zum Schein, auch der Herr Geheimrat hat sich eine sehr blonde Zigarre angesteckt. Die Unruhe bemeistert sich so leichter.
»Warum die Prinzessin uns plötzlich fort haben wollte?« beginnt der Professor.
»Das kann ich mir denken, sie leidet. Ich sah es an ihren Händen.« Er seufzt. »So dasitzen – ich wäre lieber geblieben, nun ich doch einmal da war.« »Herr Graf, wie kam es, daß Sie nun so plötzlich dastanden, da man Sie herbeiwünscht? Haben Sie das immer so an sich?«
»Nein, leider nicht. Und können Sie mir einen Anhalt geben, was ich nun mit dem Fürsten bereden soll?«
»Die Prinzessin hofft Hilfe bei Ihnen zu finden. Ich kann Ihnen nichts Genaueres sagen. Irgendwelche Umstände müssen zusammen gekommen sein, daß der Fürst seiner Tochter eine schlimme Tat zuschreiben zu müssen glaubt. Sie sagt: Ich habe meine Ehre verloren, ich muß meinem Vater als grausam, feig und heimtückisch gelten.«
»Unmöglich, ganz unmöglich, das kann der Fürst nicht glauben.«
»Die Prinzessin sagt, er hat gute Gründe.«
»Was СКАЧАТЬ