Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ seiner von Dick belobten Muskeln sehe, und sah dabei so ernsthaft und wichtig drein, daß der Bediente wieder genötigt war, seine volle Aufmerksamkeit dem häßlichen Bilde zuzuwenden.

      »Wohl und gut,« entschied der Graf, »du sollst's versuchen.«

      Cedrik reichte ihm seinen Stock und half ihm beim Aufstehen. Dies war in der Regel des Bedienten Amt, der dabei manch' derben Fluch zu hören kriegte und oft und viel innerlich vor Empörung knirschte. Heute ging die Sache ohne Fluchen ab, obwohl die Gicht manch bösen Reißer that, allein der Graf wollte nun einmal den Versuch machen. Langsam erhob er sich und legte die Hand auf die schmale Schulter, die ihm so mutig als Stütze geboten wurde. Vorsichtig that Lord Fauntleroy einen Schritt vorwärts und sah dabei sorgfältig auf das kranke Bein.

      »Stütze dich nur recht fest auf mich,« sagte er ermutigend. »Ich will ganz langsam gehen.«

      Wenn der Graf seinen Diener zum Führer gehabt hätte, würde er sich allerdings weniger auf seinen Stock und mehr auf jenen gestützt haben, und doch hielt er es bei seinem Experiment auch für nötig, den Enkel sein Gewicht fühlen zu lassen, das in der That nicht leicht war. Nach wenig Schritten war denn auch das kleine Gesicht dunkelrot und sein Herz fing an, heftig zu klopfen, allein er stemmte sich mächtig gegen des Großvaters Hand und erinnerte sich Dicks Ausspruch über seine Muskeln.

      »Hab nur keine Angst und stütze dich fest auf,« keuchte er, »ich kann es ganz gut, wenn – wenn es nicht zu weit ist.«

      Es war eigentlich kein langer Weg zum Speisezimmer, und doch kam es Cedrik wie eine Ewigkeit vor, bis sie den Stuhl am oberen Ende der Tafel erreicht hatten. Die Hand auf seiner Schulter schien mit jedem Schritte wuchtiger zu lasten, sein Köpfchen ward immer heißer und sein Atem kürzer, allein er dachte nicht daran, seinen Dienst aufzugeben; er machte seine Muskeln ganz steif, hielt sich kerzengerade und sprach dem bedenklich hinkenden alten Herrn Trost zu.

      »Thut dir der Fuß so sehr weh, wenn du darauf stehst?« fragte er. »Hast du ihn nie in heißes Wasser mit Senfmehl gesteckt? Das hat Mr. Hobbs gut gethan.«

      Der große Hund schritt gravitätisch nebenher und der Diener folgte. Mehr als einmal flog ein eigentümliches Lächeln über sein Gesicht, wenn er beobachtete, wie die kleine Gestalt all ihre Kraft zusammennahm und ihre Last so gutwillig trug, und auch des Grafen Blick streifte ein paarmal mit seltsamem Ausdrucke das erhitzte Kindergesicht.

      Als sie das Speisezimmer betraten, bemerkte Cedrik, daß auch dies ein sehr großer, imposanter Raum war, und daß der Diener, welcher hinter des Grafen Stuhl stand, die Eintretenden höchst erstaunt anstarrte. Endlich war der Stuhl erreicht; die Hand löste sich von seiner Schulter und der Graf ward bequem installiert.

      Cedrik zog Dicks Taschentuch hervor und trocknete sich die Stirn.

      »Es ist heiß heute abend, nicht?« fragte er. »Wahrscheinlich mußt du ein Feuer haben wegen – wegen deinem Fuß, nur mir kommt's ein wenig heiß vor.«

      Sein angeborener Takt bewahrte ihn davor, irgend etwas auch nur scheinbar zu tadeln.

      »Du hast soeben ein hartes Stück Arbeit gehabt,« bemerkte der Graf.

      »O nein! Das war gar nicht hart, nur heiß ist mir's geworden,« und damit behandelte er seine feuchten Locken energisch mit dem Taschentuche.

      Lord Fauntleroys Platz am Tische war seinem Großvater gegenüber, ein breiter Armstuhl nahm auch hier die schmale Gestalt auf. Alles, was er bis jetzt gesehen hatte, die hohen weiten Räume, die kolossalen Möbel, die stattlichen hochgewachsenen Diener, der ungeheure Hund und der Großvater selbst, alles war dazu angethan, ihm die eigne Kleinheit vor Augen zu bringen. Dies beunruhigte Cedrik jedoch keineswegs; für sehr groß oder sehr wichtig hatte er sich nie gehalten, und er war mit Freuden bereit, sich auch Verhältnissen anzupassen, die etwas Ueberwältigendes für ihn zu haben schienen. Freilich hatte er kaum je so winzig ausgesehen, als in dem weiten Lehnstuhle an der feierlichen Tafel.

      Trotzdem er so einsam lebte, hielt der Graf seinen Haushalt auf großem Fuße, und das Diner war ein wichtiges Moment in seinem Leben und natürlich auch in dem des Koches, für den die Tage, an welchen Seine Herrlichkeit keinen Appetit hatte, schwere Prüfungen brachten. Heute jedoch schien der Appetit besser als sonst, und die Kritik über die »Entrees« und die Bereitung der Saucen war nicht so gründlich, weil er häufig über den Tisch hinüber nach seinem Enkel blicken mußte. Er selbst sprach wenig, erhielt aber sein kleines Gegenüber gut im Zuge und fand es zu seinem eignen Erstaunen ganz unterhaltend, ihm zuzuhören. Dabei freute er sich im stillen darüber, wie fest er sich auf den kleinen Kerl gestützt hatte, um dessen Mut und Ausdauer zu prüfen, und wie vortrefflich dieser die Probe bestanden.

      »Du hast deine Grafenkrone nicht immer auf?« fragte Lord Fauntleroy bescheiden.

      »Nein,« erwiderte der Graf mit seinem merkwürdig grimmigen Lächeln, »sie steht mir nicht besonders.«

      »Mr. Hobbs hat zuerst gemeint, du werdest sie immer tragen, dann sagte er aber auch, du werdest sie hier und da ablegen, wenn du den Hut aufsetzest zum Beispiel.«

      »Ja, ja,« sagte der Graf, »gelegentlich lege ich sie ab.«

      Einer der Diener mußte sich plötzlich abwenden, um hinter der vorgehaltenen Hand ein eigentümliches Husten hervorzustoßen.

      Cedrik hatte seine Mahlzeit zuerst beendet, lehnte sich in seinem Stuhle zurück und sah sich im Zimmer um.

      »Du mußt sehr stolz sein auf dein Haus,« bemerkte er, »es ist so schön und der Park, der ist so herrlich.« Dann hielt er einen Augenblick inne und sah merkwürdig bedeutungsvoll zum Grafen hinüber. »Ist das Haus nicht sehr groß für nur zwei Menschen, die drin leben?«

      »Groß genug jedenfalls,« versetzte der Graf. »Ist dir's zu groß?«

      Seine kleine Herrlichkeit zögerte einen Augenblick.

      »Ich dachte nur so, daß, wenn zwei Leute drin wohnten, die nicht gut zusammen passen, dann könnte man sich recht einsam vorkommen.«

      »Glaubst du, daß wir gut zusammen passen werden?«

      »O ja, gewiß. Mr. Hobbs und ich, wir sind sehr gute Freunde gewesen. Er war der beste Freund, den ich hatte, außer Herzlieb.«

      Der Graf zog die buschigen Augenbrauen ein wenig in die Höhe.

      »Wer ist das, Herzlieb?«

      »Meine Mama,« sagte Lord Fauntleroy mit seltsam leisem, ruhigem Tone.

      Die Tafel war aufgehoben und man begab sich wieder in die Bibliothek. Diesmal führte der Diener den Grafen auf der einen Seite, die andre Hand aber stützte derselbe wieder auf des Enkels Schulter, nur nicht so wuchtig wie zuvor. Nachdem der Diener sich zurückgezogen hatte, lagerte sich Cedrik auf dem Teppiche vor dem Kamine neben Dougal, streichelte den Hund und blickte schweigend auf das Feuer.

      Der Graf beobachtete ihn scharf. Es war ein Ausdruck von Sehnsucht und tiefem Nachsinnen in des Kindes Augen, und ein paarmal seufzte er leise.

      »Fauntleroy,« begann der alte Herr schließlich, »woran denkst du?«

      »An Herzlieb,« erwiderte er, »und – und es wird besser sein, wenn ich ein wenig aufstehe und im Zimmer herumgehe.«

      Er erhob sich, steckte die Hände in die Taschen und fing an, auf und ab zu gehen. Seine Augen leuchteten verdächtig, und er hatte СКАЧАТЬ