Es gab keinen Teil seiner Amtspflicht, den Mr. Mordaunt so schwierig und so peinlich zu erledigen fand, als den Verkehr mit seinem Gutsherrn, der die Besuche bei ihm stets zu überaus unerquicklichen Stunden gestaltete. Gegen Kirchen und Wohlthätigkeitsanstalten hatte derselbe nun einmal ein entschiedenes Vorurteil; war die Gicht sehr schlimm, so erklärte er ohne weiteres, daß er nicht durch Erzählungen über das Bettlerpack mißhandelt werden wolle. Waren die Schmerzen etwas geringer und die Stimmung menschlicher, so gab er zuletzt einiges Geld her, aber nie, ohne möglichst viel Sarkasmen und verletzende Bemerkungen über den Pfarrer ausgegossen zu haben, der es äußerst schwierig fand, seine christlichen Gesinnungen auch auf den edlen Lord in Anwendung zu bringen. Aus freiem Willen etwas Gutes thun oder einen freundlichen Gedanken für andre hegen, waren Dinge, welche Mr. Mordaunt in all den Jahren an seinem Gebieter nicht kennen gelernt hatte.
Heute war er gekommen, um über einen besonders dringenden Fall zu reden, und er hatte sich noch mehr als sonst mit Furcht und Zittern auf den Weg gemacht. Einmal wußte er, daß der Graf seit mehreren Tagen an einem besonders heftigen Gichtanfall litt und daß das Barometer auf Sturm stand, so daß Gerüchte darüber sogar bis ins Dorf gedrungen waren – Mrs. Dibble, die einen kleinen Laden mit Nähnadeln, Strickgarn, Pfefferminzzeltchen und Klatsch hielt, besaß als Hauptbezugsquelle für letzteren gesuchten Artikel eine Schwester, die als Hausmädchen im Schlosse diente, mit Mr. Thomas auf gutem Fuße stand und einfach »alles« wußte.
»Wie's der Lord jetzt treibt,« hatte Mrs. Dibble erzählt, »das ist nicht mehr zu sagen, und was er für Ausdrücke braucht – Mr. Thomas hat selbst zu meiner Jane gesagt, das halte kein Christenmensch mehr aus, und wenn der Dienst sonst nicht gut wäre, und die Gesellschaft im Unterstocke so nett, hätt' er ihm neulich, nachdem Mylord ihm die heiße Platte mit dem Toast an den Kopf geworfen, rundweg aufgesagt!«
Dies alles war auch ins Pfarrhaus gedrungen, denn der Lord war nun einmal das »schwarze Schaf« in der Gemeinde, von dem man nicht genug Schauergeschichten erzählen und hören konnte.
Und noch ein andres ließ den wackeren Geistlichen gerade heute einen üblen Empfang im Schlosse fürchten. Jedermann wußte, wie wütend der Graf über seines Sohnes amerikanische Heirat gewesen war, jedermann wußte, wie hart er ihn behandelt hatte, und daß der frische, hübsche junge Mann – der einzige seiner Familie, der allgemein beliebt gewesen – arm und unversöhnt im fremden Lande gestorben war. Jedermann wußte ferner, daß er ohne jede Neigung oder Freude der Ankunft jenes Enkels entgegensah und daß er sich in den Kopf gesetzt hatte, einen ungeschlachten, plumpen Lümmel von Amerikaner in ihm zu finden, der seinem Namen Schande machen mußte. Das alles wußte man, obgleich der harte, stolze Mann sein Inneres vor jedem Menschen zu verbergen glaubte! Und während er sich völlig gesichert vor jedem Einblick in sein Leben hielt, hieß es am Dienerschaftstische: »Wenn der Alte an des Kapitäns Jungen denkt, treibt er's noch toller als sonst, weil er eine Hundeangst vor dem Bengel hat. Geschieht ihm aber ganz recht, er ist selber schuld daran, und was kann er von einem Kinde erwarten, das da drüben in dem Amerika unter geringen Leuten aufgezogen ist?«
Dies alles überlegte sich Seine Ehrwürden, als er, im Schatten der herrlichen alten Bäume dahinschritt, und er sagte sich, daß dieser besagte Enkel gestern angekommen und zehn gegen eins der Graf infolge des ersten Eindruckes in einer Berserkerwut sei, und doch mußte es sein!
Dann hatte Thomas ihm die Thür geöffnet, und sein erster Blick war auf das merkwürdigste Bild gefallen: der Graf in seinem Lehnstuhle, den gichtischen Fuß weich unterstützt, und dicht neben ihm, an das gesunde Knie gelehnt, ein kleiner Junge mit heißen Wangen und vor Uebermut blitzenden Augen.
»Zwei heraus!« jauchzte die helle Kinderstimme. »Diesmal hast du kein Glück gehabt, gelt?«
Da wurden beide Spieler plötzlich des Eintretenden ansichtig.
Der Graf blickte auf, zog die Augenbrauen zusammen, wie es seine Art war, und zu Mr. Mordaunts ungemessenem Erstaunen verdüsterte sich seine Miene keineswegs, als er ihn erkannte, ja er sah sogar aus, als ob er ganz vergessen hätte, daß es zu seinen Lebensgewohnheiten gehörte, Furcht und Schrecken um sich zu verbreiten.
»Ach!« sagte er mit seiner rauhen Stimme, reichte ihm aber mit verhältnismäßiger Artigkeit die Hand. »Guten Morgen, Mordaunt. Sie sehen, ich bin auf eine ganz neue Art beschäftigt.«
Die andre Hand legte er auf Cedriks Schulter – möglich daß sich insgeheim etwas wie Stolz in seinem Herzen regte, solch einen Erben vorstellen zu können.
»Dies ist der neue Lord Fauntleroy,« fuhr er fort, »Fauntleroy, dies ist Mordaunt, unser Geistlicher.«
Fauntleroy blickte zu dem steifen, schwarz gekleideten Herrn auf und reichte ihm die kleine Hand.
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir,« sagte er, eingedenk der Redensart, mit welcher Mr. Hobbs hier und da einen neuen, hochgeschätzten Kunden beehrte. Cedrik war überzeugt, daß man einem Geistlichen gegenüber in der Höflichkeit ein übriges thun müsse.
Mr. Mordaunt hielt das Händchen einen Augenblick in der seinen und blickte, unwillkürlich lächelnd, in das blühende Kindergesicht. Er hatte den kleinen Gesellen bereits lieb – wie es ja den meisten Menschen erging. Nicht die Schönheit und Anmut des Knaben sprach zu seinem Herzen, sondern die Einfachheit und Kindlichkeit, die all seine Worte, so wunderlich und komisch dieselben oft waren, liebenswürdig und herzgewinnend machten.
»Und ich freue mich von ganzem Herzen der Ihrigen, Lord Fauntleroy,« erwiderte der Pastor die Anrede. »Sie haben eine lange Reise machen müssen und wir sind alle erfreut, daß Sie dieselbe so glücklich überstanden haben.«
»Die Reise war sehr lang,« versetzte Fauntleroy, »aber Herzlieb, meine Mama, ist mit mir gekommen, und da bin ich natürlich gar nicht einsam gewesen. Man ist ja nie einsam, wenn man seine Mutter bei sich hat, und das Schiff war wunderschön.«
»Setzen Sie sich, Mordaunt,« sagte der Graf.
»Eure Herrlichkeit ist sehr zu beglückwünschen,« sprach der Geistliche mit Wärme, indem er sich einen Stuhl zurechtrückte: der Graf schien jedoch nicht geneigt, seine Gefühle über den Punkt laut werden zu lassen.
»Er sieht seinem Vater ähnlich,« bemerkte er ziemlich kurz angebunden. »Hoffentlich führt er sich einmal verständiger auf. Nun, und was gibt's heute, Mordaunt?« setzte er hinzu. »Wer ist wieder einmal im Elend?«
Das klang lange nicht so schlimm, als Mr. Mordaunt erwartet hatte, und doch begann er erst nach einigem Zögern sein Anliegen vorzutragen.
»Es handelt sich um Higgins – Higgins von der äußeren Farm. Der Mann hat Unglück gehabt. Ich will nicht gerade behaupten, daß er ein sehr guter Wirtschafter ist, allein die Verhältnisse sind derart, daß er zurückkommen mußte. Er selbst war letzten Herbst krank, dann hatten die Kinder das Scharlachfieber und nun liegt die Frau. Es handelt sich um den Pachtzins und Newick droht, ihm sofort zu kündigen, wenn er nicht zahlt. Die Sache steht natürlich sehr schlimm für ihn, und er kam gestern zu mir mit der Bitte, mich bei Ihnen für die Gewährung einer längern Frist zu verwenden.«
»Das alte Lied,« sagte der Graf sichtlich verstimmt.
Fauntleroy stand zwischen dem Großvater und dem Besucher und war ganz Ohr. Er »'tressierte« sich natürlich sofort für Higgins und die Kinder und hätte gar zu gern gewußt, wie viele es ihrer seien, und ob sie sehr krank gewesen.
»Higgins ist ein wohlgesinnter Mann,« bemerkte der Geistliche, bemüht, sein Gesuch zu unterstützen.
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