Название: Gesammelte Werke von Dostojewski
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204205
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»Das war eine Gemeinheit von mir, daß ich das gesagt habe. Meine Mutter muß selbst beinahe betteln gehen … Ich habe gelogen, um nicht aus der Wohnung gejagt und um weiter beköstigt zu werden«, sagte Raskolnikow laut und deutlich.
»Ja, da hast du ganz vernünftig gehandelt. Das Malheur war nur, daß sich da auf einmal ein Herr Tschebarow, Hofrat und Geschäftsmann, einmischte. Ohne ihn hätte Paschenjka gegen dich keine Schritte getan; sie ist ja sehr schüchtern. Na, aber ein Geschäftsmann ist nicht schüchtern, und das erste, was er tat, war natürlich, sie zu fragen, ob Aussicht vorhanden sei, daß der Schuldschein bezahlt würde. Es wurde ihm geantwortet, dazu sei allerdings Aussicht vorhanden; denn es existiere da so eine liebe Mama, die mit ihrer Pension von hundertfünfundzwanzig Rubeln ihrem Rodja schon aus der Klemme helfen werde und wenn sie auch selbst darüber hungern müßte, und dann existiere da auch noch so eine gute Schwester, die sich für ihren Bruder in die Leibeigenschaft begeben würde. Darauf baute er nun seinen Plan… Warum wirst du denn so zapplig? Ich habe jetzt deine intimsten Geheimnisse erfahren, Bruder; das kommt davon, daß du gegen Paschenjka so offenherzig warst, als du noch mit ihr auf verwandtschaftlichem Fuße standest. Ich sage dir das alles jetzt, weil ich es mit dir gut meine… Ja, so geht das: ein ehrlicher, gefühlvoller Mensch redet offenherzig alles heraus, und so ein Geschäftsmann hört es, nutzt es aus und richtet den Betreffenden zugrunde. Sie überließ also diesen Schuldschein, unter der Fiktion, als habe er ihn ihr abgekauft, diesem Tschebarow, und der leitete ungeniert in regulärer Form die Eintreibung ein. Ich hatte, als ich das alles erfuhr, vor, bloß so zur Beruhigung meines Gewissens auch ihm etwas von dem bewußten elektrischen Strome zukommen zu lassen; aber gerade damals bildete sich zwischen mir und Paschenjka ein so schönes, harmonisches Verhältnis heraus, und so sorgte ich denn dafür, daß der weitere Verlauf der Sache gehemmt wurde, und zwar durch Verstopfung der Quelle, indem ich mich dafür verbürgte, daß du zahlen würdest. Ich habe für dich Bürgschaft geleistet, Bruder, hörst du wohl? Wir ließen also Herrn Tschebarow kommen, warfen ihm zehn Rubel in den Rachen, ließen uns den Schuldschein zurückgeben, und so habe ich denn die Ehre, ihn dir zu überreichen; man schenkt jetzt deinem bloßen Worte vollkommenes Vertrauen. Nimm ihn; ich habe ihn ordnungsmäßig eingerissen.«
Rasumichin legte den Schuldschein auf den Tisch; Raskolnikow warf einen Blick darauf und drehte sich, ohne ein Wort zu sagen, nach der Wand zu. Das war selbst Rasumichin zuviel.
»Ich sehe, Bruder«, begann er nach einer kleinen Pause wieder, »daß ich es wieder mal recht ungeschickt gemacht habe. Ich hoffte, dich zu zerstreuen und durch mein Geschwätz aufzuheitern; aber wie es scheint, habe ich dir nur die Galle aufgeregt.«
»Also das bist du gewesen, den ich im Fieber nicht erkannt habe?« fragte Raskolnikow, gleichfalls nach einer kleinen Pause und ohne den Kopf umzudrehen.
»Freilich, und du gerietest sogar deswegen in Wut, namentlich als ich einmal Sametow mit herbrachte.«
»Sametow? Den Sekretär? Wozu?«
Raskolnikow drehte sich schnell um und heftete die Augen fest auf Rasumichin.
»Aber was hast du denn? Warum regst du dich so auf? Er wollte dich gern kennenlernen; er selbst sprach den Wunsch aus, weil ich so viel mit ihm über dich gesprochen hatte… Von wem hätte ich denn sonst so viel über dich erfahren können? Er ist ein prächtiger Mensch, Bruder, ein ganz famoser Mensch,… in seiner Art selbstverständlich. Wir sind jetzt Freunde und kommen fast alle Tage miteinander zusammen. Ich bin ja in dieses Revier gezogen. Weißt du das noch nicht? Eben erst bin ich mit meinem Umzug fertig geworden. Bei Lawisa bin ich auch schon ein paarmal mit ihm gewesen. Erinnerst du dich an Lawisa, Lawisa Iwanowna?«
»Habe ich phantasiert?«
»Na, und wie! Du wußtest ja gar nichts von dir.«
»Worüber habe ich phantasiert?«
»Eine schnurrige Frage! Worüber du phantasiert hast? Na, worüber man eben im Fieber so phantasiert… Aber jetzt, Bruder, wollen wir keine Zeit mehr vergeuden, sondern ans Werk gehen.«
Er stand vom Stuhle auf und griff nach seiner Mütze.
»Worüber habe ich phantasiert?«
»Er läßt nicht locker! Bist du besorgt wegen eines Geheimnisses? Da kannst du dich beruhigen; von einer Gräfin hast du nichts gesagt. Aber von einer Bulldogge, von Ohrgehängen und Kettchen, von der Krestowskij-Insel, von einem Hausknecht, von dem Revieraufseher Nikodim Fomitsch und seinem Gehilfen Ilja Petrowitsch hast du viel gesprochen. Ferner bekundetest du ein außerordentliches Interesse für deinen werten Strumpf. Du jammertest immer: ›Gebt mir doch meinen Strumpf!‹ Sametow suchte persönlich in allen Ecken deine Strümpfe zusammen und überreichte dir mit seinen höchsteigenen wohlparfümierten, beringten Händen diesen wertlosen Trödel. Da erst beruhigtest du dich und hieltest das schmutzige Zeug einen ganzen Tag lang in der Hand; es war keine Möglichkeit, es dir wegzunehmen. Wahrscheinlich hast du es auch jetzt noch irgendwo unter der Bettdecke liegen. Und dann batest du noch um Hosenfransen, und was hast du dabei für Tränen vergossen! Wir versuchten herauszubringen, was das für Fransen sein sollten; aber es war nicht daraus klug zu werden… Aber nun ans Werk! Hier sind fünfunddreißig Rubel; davon nehme ich zehn mit und werde so in etwa zwei Stunden darüber Rechenschaft ablegen. Inzwischen will ich auch Sossimow benachrichtigen, der übrigens auch ohnedies schon längst hier sein müßte; denn es ist elf durch. Du aber, Nastenjka, sieh nur, während ich weg bin, recht oft hier nach, ob er zu trinken haben will oder sonst etwas wünscht. Und Paschenjka werde ich gleich selbst das Erforderliche sagen. Auf Wiedersehen!« »Paschenjka nennt er sie! Ach, du geriebener Patron du!« rief Nastasja hinter ihm her; dann öffnete sie die Tür und horchte, konnte ihrer Neugier aber doch nicht widerstehen und lief selbst hinunter.
Es war ihr doch gar zu interessant, zu erfahren, was er da mit der Wirtin spräche; und überhaupt lag es auf der Hand, daß sie von Rasumichin ganz entzückt war.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als der Kranke die Bettdecke von sich warf und wie von Sinnen aus dem Bette sprang. Mit brennender, krampfhafter Ungeduld hatte er darauf gewartet, daß die beiden weggingen, um dann sofort, von ihrer Anwesenheit befreit, sich ans Werk zu machen. Aber an was für ein Werk denn? fragte er sich jetzt. Hatte er es denn nun gerade in diesem Augenblicke wieder vergessen?
›0 Gott, sage mir nur dies eine: wissen sie schon alles, oder noch nicht? Aber wenn sie nun wirklich schon alles wissen und sich nur verstellen und ihr Spiel mit mir treiben, während ich daliege, und dann plötzlich hereintreten und erklären, daß ihnen alles schon längst bekannt sei und daß sie nur so getan hätten… Was mußte ich doch jetzt tun? Daß ich es auch gerade jetzt vergessen habe! Eben wußte ich es noch, und nun auf einmal habe ich es vergessen!‹
Er stand mitten im Zimmer und sah sich in qualvoller Ungewißheit um; er ging zur Tür, öffnete sie und horchte hinaus; aber das war nicht das, was er gewollt hatte. Plötzlich, als wenn es ihm nun eingefallen wäre, stürzte er zu der Ecke hin, wo sich in der Tapete die Höhlung befand, besah alles prüfend, steckte die Hand in die Höhlung und suchte darin herum; aber auch das war nicht das Richtige. Er ging zum Ofen, machte ihn auf und stöberte in der Asche umher: die Fransen von der Hose und die Fetzen der herausgerissenen Tasche lagen noch ebenso da, wie er СКАЧАТЬ