Название: Gesammelte Werke von Nikolai Gogol
Автор: Nikolai Gogol
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027211272
isbn:
Endlich gelangten sie an eine kleine eiserne Tür.
»Gott sei gelobt, da sind wir«, sagte die Tatarin mit schwacher Stimme und hob die Hand, anzuklopfen, hatte aber die Kraft nicht mehr dazu.
Andri pochte statt ihrer heftig an das Pförtchen. Das weckte einen hohlen, schnell wieder ersterbenden Klang, wie wenn drüben weite Hallen mit hohen Wölbungen lägen, von denen der Ton verschlungen würde. Alsbald hörte man Schlüssel rasseln, und Schritte schienen eine Treppe herunterzukommen. Endlich öffnete sich die Tür; vor ihnen stand auf schmaler Treppe ein Mönch, ein Schlüsselbund und einen Leuchter in den Händen. Andri stutzte unwillkürlich beim Anblick eines jener katholischen Mönche, die den Kosaken ein Gegenstand des Hasses und der Verachtung waren und von ihnen noch unmenschlicher behandelt wurden als selbst die Juden. Auch der Mönch fuhr zurück, da er den Kosaken erblickte, aber ein geflüstertes Wort der Tatarin beruhigte ihn. Er leuchtete den beiden, verschloß die Tür hinter ihnen und geleitete sie die Treppe hinauf. Sie fanden sich unter den hohen Bogen der Klosterkirche. Vor einem der Altäre, auf dem schlanke Leuchter mit brennenden Kerzen standen, kniete ein Priester und betete leise. Rechts und links von ihm knieten zwei Ministranten in veilchenfarbnem Ornat mit weißen, spitzenbesetzten Chorhemden darüber und schwangen Rauchfässer in den Händen. Der Priester erflehte ein Wunder: Gott möge die Stadt erretten, den sinkenden Mut stärken, Geduld im Leiden senden, den Versucher von hinnen treiben, der die Leute zum Murren aufstachle und ihre Seelen mit kleinmütigem, kläglichem Jammer über des Tages Not erfülle. Ein paar Frauen, die Gespenstern glichen, knieten in der Nähe, sie lehnten sich dabei an die Stühle und Bänke aus dunkelm Holz und stützten ihre kraftlosen Häupter gegen deren Lehnen; auch ein paar Männer knieten mit trüben Mienen da und ließen sich die Säulen und Pilaster, die den Chor trugen, als Halt dienen. Das bunte Fenster über dem Altar erstrahlte plötzlich von rosigem Morgenlicht, warf blaue, gelbe, rote, grüne Lichtflecke auf den Boden; und in der finstern Kirche wurde es hell. Der Altar in der tiefen Nische war auf einmal in Glanz getaucht; der Weihrauch hing als regenbogenfarbne Wolke über den Häuptern der Gemeinde. Andri starrte aus seinem dunkeln Winkel staunend in das Wunder des Lichts. Da erfüllte auf einmal das feierliche Dröhnen der Orgel den Raum; tiefer und tiefer wurde der Ton, er wuchs gewaltig zu schwerem Donnergrollen an, und plötzlich glitt er leicht in Sphärenharmonien hinüber, jauchzte silbern gleich hellen Mädchenstimmen durch das Gewölbe, schwoll wieder zu tiefem Brüllen und Donnern an und brach dann plötzlich ab. Lange noch bebte die Luft im Nachhall, lange noch lauschte Andri offnen Mundes der erhabnen Offenbarung dieser Klänge nach.
Da fühlte er sich am Rock gezogen. »Wir müssen gehn!« sprach die Tatarin.
Sie durchschritten die Kirche, ohne daß einer der Beter den Kopf nach ihnen gewendet hätte, und traten auf den Markt hinaus. Der Himmel leuchtete in dem Rot, das den Sonnenaufgang verkündet. Der rechteckige Platz war völlig menschenleer; die hölzernen Stände in seiner Mitte erzählten davon, daß hier vielleicht noch vor einer Woche Lebensmittelmarkt gehalten worden war. Statt eines Pflasters deckte den Boden eingetrockneter Schmutz. Umgeben war der Platz von kleinen, einstöckigen Häusern mit Wänden aus Stein und Lehm, durch die sich kreuz und quer die nackten Fachwerkbalken zogen, eine Bauart, die damals allgemein im Schwange war, und die man noch heute manchenorts in Litauen und Polen antrifft. Sie hatten alle unverhältnismäßig hohe Dächer mit einer Menge von Luken und Mansardenfenstern. Auf der einen Seite, neben der Kirche, erhob sich über die übrigen ein Bau von völlig andrer Art, wohl das Rathaus oder ein Regierungsgebäude. Das Haus hatte zwei Stockwerke und war gekrönt von einer Warte mit zwei offnen Lauben übereinander, deren obre einem Wächter als Ausguck diente. In das Dach war ein großes Zifferblatt eingelassen. Der Platz erschien wie ausgestorben, doch glaubte Andri ein leises Stöhnen zu vernehmen. Er schaute sich um und erblickte drüben auf der andern Seite eine Gruppe von zwei, drei Menschen, die reglos am Boden lagen. Er kniff die Augen zusammen, zu erkennen, ob diese Leute schliefen oder tot wären, da stolperte sein Fuß über etwas Weiches. Es war der Leichnam einer Frau – soviel er sehen konnte, einer Jüdin. Sie schien noch jung zu sein, wenngleich man ihrem verzerrten, ausgemergelten Gesicht nicht viel davon anmerken konnte. Sie trug ein Kopftuch aus roter Seide, um das eine doppelte Perlenschnur geschlungen war; darunter hervor ringelten sich ein paar krausgelockte Haarsträhnen auf den abgemagerten Hals hinab, dessen Adern stark angeschwollen waren. Neben ihr lag ein Säugling, der mit zitternden Händchen ihre schlaffe Brust betastete und zornig daran zerrte, weil sie ihm keine Milch zu geben hatte. Er konnte nicht mehr weinen noch schreien, das leise Heben und Senken seiner Brust aber bezeugte, daß er noch lebte und erst im Begriff war, den letzten Seufzer auszuhauchen. Sie bogen in eine Straße ein, da kam ihnen ein Tobsüchtiger entgegen. Als der Andris kostbare Last erblickte, stürzte er sich wie ein Tiger auf ihn und klammerte sich mit dem Rufe: »Brot!« an seinen Arm. Aber seine Kraft war kleiner als die rasende Gier; Andri versetzte ihm einen Stoß – er taumelte zu Boden. Von Mitleid ergriffen, warf ihm der Kosak ein Brot hin; der andre stürzte sich darauf, schlug seine Zähne hinein und begann heißhungrig zu schlingen. Der Nahrung lange schon entwöhnt, mußte er das mit dem Leben büßen – er gab unter furchtbaren Krämpfen gleich nach den ersten Bissen den Geist auf. Bei jedem Schritt fast, den die beiden machten, erregte der Anblick unglücklicher Opfer des Hungers ihr Entsetzen. Es war, als trieben ihre Leiden die Leute aus dem Hause, als glaubten sie, draußen auf der Straße könne schon die Luft ihnen Kraft und Nahrung spenden. Vor dem Tor eines Hauses kauerte eine alte Frau, man konnte nicht unterscheiden, ob sie schlafe, ob sie tot oder ob sie nur geistesabwesend sei: jedenfalls hörte und sah sie nichts; das Kinn auf die Brust gesenkt, kauerte sie schon lange reglos am gleichen Fleck. Vom Sims eines andern Hauses hing, die Schlinge um den Hals, ein langgestreckter dürrer Leichnam nieder – der arme Teufel hatte die Qualen des Hungers nicht bis zum Ende ertragen und sie durch Selbstmord abgekürzt.
Diese schauerlichen Spuren des Hungers entrissen Andri die Frage: »Haben sie denn wirklich gar nichts gefunden, ihr Leben zu fristen? In der letzten Not kann man nichts machen, da muß der Mensch essen, wovor er sich sonst ekelt; da muß auch das Viehzeug gut dafür sein, das einem sonst das Gesetz verbietet, da kann einem alles als Speise dienen.«
»Sie haben alles aufgegessen«, sprach die Tatarin, »du findest nicht Pferd, nicht Hund, nicht einmal eine Maus mehr in der ganzen Stadt. Wir haben hier drinnen nie Vorräte gehabt – es kam alles aus den Dörfern herein.«
»Aber wenn ihr einen so scheußlichen Tod sterben müßt – wozu wollt ihr die Stadt da noch halten?«
»Ja, es kann schon sein, daß der Marschall kapituliert hätte, aber gestern abend hat uns der Oberst, der bei Budschaki steht, einen Falken mit einem Brief geschickt: Wir sollen uns nicht ergeben; er will uns mit seinem Regiment entsetzen und wartet nur noch auf einen andern Obersten, der zu ihm stoßen soll. Jetzt hofft man, daß sie jede Stunde kommen. – Aber da ist schon unser Haus.«
Andri hatte längst von weitem diesen Bau bemerkt, der den andern so wenig glich und wohl von einem welschen Meister entworfen war. Zwei Stockwerke hoch reckten sich die Mauern, die aus zierlichen, schmalen Ziegeln gefügt waren. Die Fenster des Erdgeschosses hatten weit vorspringende Umrahmungen aus Granit; um den Oberstock zog sich eine Galerie aus dichtgestellten kleinen Bogenfenstern, auf deren Gittern СКАЧАТЬ