Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ republikanische Präsidenten und keinen einzigen König mehr haben. Und mit der Monarchie wird die Religion und der Adel schwinden. Schon sehe ich nur noch Abgeordnete mit schmutzigen Privatgelüsten.

      Wenden Sie nicht ein, Frankreich habe im Augenblick keinen bewährten Feldherrn, den jedermann kennt und schätzt! Sagen Sie nicht, zum Schutze von Thron und Altar sei doch die Armee da! Gewiß! Aber warum hat man alle Veteranen entlassen, während jedes preußische und österreichische Regiment ein halbes Hundert Unteroffiziere besitzt, die im Feuer gewesen sind? Und wissen Sie nicht, daß es im Mittelstande Zweihunderttausend junge Leute gibt, die sich nach dem Kriege sehnen …«

      »Genug der unliebsamen Wahrheiten!« rief eine gewichtige Persönlichkeit in süffisantem Tone dazwischen, jedenfalls ein sehr hoher Geistlicher, denn Herr von La Mole lächelte verbindlichst, statt sich über ihn zu ärgern.

      »Genug der unliebsamen Wahrheiten!« fuhr der Marquis fort: »Fassen wir uns kurz, meine Herren! Wenn einem ein Bein abgenommen werden muß, weil es der Brand ergriffen hat, so nützt es nichts, wenn man dem Chirurgen hoch und heilig versichert: Mein Bein ist kerngesund! Gestatten Sie mir den Vergleich, meine Herren! Unser Chirurg ist der edle Herzog von ***!«

      »Endlich ist das große Wort gefallen!« dachte Julian. »Also zum Herzog von *** werde ich heute nacht eilen.«

      53. Kapitel

      Die gewichtige Persönlichkeit ergriff nun das Wort. Man merkte, daß sie gut unterrichtet war.

      Mit maßvoller milder Beredsamkeit, die Julian außerordentlich zusagte, erläuterte er folgende Hauptpunkte:

      »Erstens hat England kein Geld für unsre Sache. Es herrscht Sparsamkeit. Hume ist Mode. Selbst die Heiligen werden uns nichts geben, und Mister Brougham wird sich über uns lustig machen.

      Zweitens ist es unmöglich, ohne englisches Geld von den europäischen Monarchen mehr denn zwei Feldzüge zu erwarten. Und zwei Feldzüge richten gegen die kleinbürgerliche Massen nichts aus.

      Drittens ist es notwendig, eine bewaffnete royalistische Partei in Frankreich zu bilden. Denn ohne eine solche wird sich überhaupt niemand in unser Land wagen.

      Die vierte These, die ich mir erlaube Ihnen ganz besonders hell zu beleuchten, ist die: Man kann in Frankreich unmöglich eine schlagfertige Partei aufstellen ohne die Geistlichkeit. Das sage ich Ihnen rücksichtslos ins Gesicht, denn ich kann es beweisen. Wir müssen dem Klerus große Zugeständnisse machen: einmal, weil er Tag und Nacht auf den Beinen ist, geleitet von genialen Köpfen, die fern unsrer Landesgrenze und fern den politischen Stürmen…«

      »Rom! Rom!« rief der Herr des Hauses.

      »Gewiß, meine Herren: Rom!« fuhr der Kardinal voll Stolz fort. »Was für mehr oder minder geistreiche Witze auch in Ihren Jugendtagen im Schwange gewesen sein mögen: heute, im Jahre 1830, darf man sagen, daß nur noch die Geistlichkeit unter Führung des Vatikans beim kleinen Volke etwas auszurichten imstande ist. Fünfzigtausend Priester wiederholen Tag für Tag auf höheren Befehl die nämlichen Worte, und das Volk, das doch schließlich unsre Soldaten stellt, wird durch die Stimme seiner Priester mächtiger beeinflußt als durch alles andre Gerede…«

      Hier entstand allgemeines Murren. Mit erhobener Stimme fuhr der Prälat fort: »Die Geistlichkeit ist Ihnen geistig überlegen. Was bisher im Hauptpunkte zuwege gebracht worden ist, hinsichtlich einer schlagfertigen Partei, das ist lediglich durch uns geschehen. Hier sprechen Tatsachen. Wer hat denn die vierundzwanzigtausend Gewehre in der Vendée aufgebracht? Aber solange die Geistlichkeit nicht ihr Auskommen hat, kann sie auch nichts Ordentliches leisten.

      Im Grunde ist der Franzose ungläubig und kriegsliebend. Wer dem Lande den Krieg bringt, wird immer populär sein. Denn Kriegführen heißt, um mich volkstümlich auszudrücken, die Jesuiten aushungern. Kriegführen heißt, uns Franzosen, uns Ungeheuern in puncto Stolz, die fremden Mächte vom Leibe halten.«

      Die Rede des Kardinals fand Beifall.

      »Herr von Nerval«, fügte er hinzu, »Sie müßten aus dem Ministerium scheiden! Ihr Name erregt unnützes Mißfallen.«

      Bei dieser Äußerung sprang alles auf und redete laut durcheinander.

      »Man wird mich noch fortschicken«, dachte Julian, aber selbst der vorsichtige Vorsitzende hatte Sorels Existenz und Anwesenheit offenbar vergessen.

      Aller Augen fielen auf einen Herrn, den Julian mit einem Male wiedererkannte. Es war Herr von Nerval, der Premierminister, den er auf dem Ballfest des Herzogs von Retz gesehen hatte. Erst nach einer reichlichen Viertelstunde trat etwas Ruhe ein. Nunmehr erhob sich Herr von Nerval und sagte mit eigentümlicher Stimme und im Tone eines Apostels: »Ich denke nicht daran, Ihnen zu versichern, mir läge nichts an meinem Posten. Ich weiß sehr wohl, meine Herren, daß mein bloßer Name die Kräfte der Jakobiner verdoppelt, da er viele Gemäßigte in ihre Reihen treibt. Aus diesem Grunde würde ich ja gern zurück treten, aber des Herrn Wege sind nur wenigen sichtbar…« Hierbei sah er den Kardinal scharf an. »Ich habe eine Mission zu erfüllen. Der Himmel hat mir gesagt: Du wirst deinen Kopf aufs Schafott tragen oder die Monarchie in Frankreich von neuem aufrichten und die Kammern wieder zu dem machen, was das Parlament unter Ludwig XV. war. Das, meine Herren, werde ich vollbringen!«

      Damit war er zu Ende und setzte sich wieder. Tiefe Stille trat ein.

      »Ein guter Schauspieler!« dachte Julian. Aber er irrte sich wie gewöhnlich, weil er den Leuten zu viel Geist zutraute. Angeregt durch die Debatte eines so lebhaften Abends und vor allem durch die Offenherzigkeit der Erörterungen, glaubte Herr von Nerval in diesem Augenblick tatsächlich an seine Mission. Er war ein sehr mutiger Mann, aber kein Genie.

      Während der Stille nach dem schönen Worte: »Das werde ich vollbringen!« – schlug es Mitternacht. Im Klang der Standuhr lag etwas Erhabenes, Unheimliches. Julian war bewegt.

      Alsbald fing die Debatte mit vermehrter Heftigkeit und geradezu unglaublicher Harmlosigkeit von neuem an. Bisweilen hatte Julian den Gedanken: »Diese Leute müßten mich eigentlich umbringen! Wie können sie solche Dinge vor einem Plebejer erörtern?«

      Es schlug zwei Uhr, und man redete immer noch. Der Hausherr war längst eingenickt. Der Marquis von La Mole mußte klingeln und den Befehl geben, die Kerzen zu erneuern. Um drei Viertel zwei Uhr war der Minister von Nerval gegangen, nicht ohne sich Julians Gesicht in einem der hohen Spiegel gründlich eingeprägt zu haben. Als er ging, atmeten alle andern sichtlich auf.

      Während neue Kerzen eingesetzt wurden, raunte der Westenmann seinem Nachbarn leise zu: »Weiß der Teufel, was der Mensch Seiner Majestät hinterbringen wird. Er ist imstande, uns lächerlich zu machen und uns Steine in den Weg zu legen.«

      »Das muß man sagen«, meinte der andre. »So unverschämt, so dreist ist nicht gleich wieder einer. Sich hier zu zeigen! Ehe er das Ministerium bekam, da war er hier völlig am Platze. Aber das Portefeuille ändert alles. Als Minister bekommt man ganz andre Interessen. So viel Takt müßte er eigentlich haben.«

      Kaum war der Minister hinaus, da fielen dem napoleonischen General die Augen zu. Er begann von seiner Gesundheit und seinen Verwundungen zu reden, sah nach der Taschenuhr und ging ebenfalls.

      »Ich möchte wetten«, sagte der Westenmann, »er rennt dem Minister nach. Er wird sich entschuldigen, hier gewesen zu sein, und doch so tun, als sei er der Haupthahn.«

      Als die verschlafenen Diener die Kerzen erneuert hatten, forderte der Vorsitzende auf: »Kommen wir endlich zu einem Beschluß, meine Herren! Versuchen wir nicht länger, einander zu überzeugen. Überlegen wir uns den Wortlaut der Note, die in achtundvierzig Stunden unsern СКАЧАТЬ