Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Es wird die Mißachtung verringern, die diese schöne Frau gegen mich armen Burschen, der eben der Sägemühle entronnen ist, wahrscheinlich hegt.« Sein Mut wuchs wohl ein wenig, weil er sich erinnerte, daß seit einem halben Jahre bisweilen sonntags von hübschen Mädchen hinter ihm getuschelt ward, er sei ein hübscher Kerl.

      Wie er so mit sich kämpfte, unterwies ihn Frau von Rênal mit ein paar Worten über die Art, wie er sich bei den Kindern einführen solle. Die Gewalt, die er sich antat, machte ihn von neuem leichenblaß. Nur mit Mühe brachte er die Worte heraus: »Gnädige Frau, niemals werde ich Ihre Kinder schlagen. Das schwöre ich bei Gott!«

      Bei diesen Worten wagte er Frau von Rênals Hand zu erfassen und an seine Lippen zu führen.

      Die Geste hatte sie überrascht. Im Nachdenken ward sie betroffen. Es war ein sehr heißer Tag. Deshalb trug sie die Arme bloß, nur von einem Schal bedeckt. Als Julian ihre Hand an seinen Mund zog, war der eine ganz nackt gewesen. Alsbald zürnte sie sich selbst. Es dünkte sie, daß sie viel schneller hätte empört sein müssen.

      In diesem Augenblick trat Herr von Rênal aus seinem Arbeitszimmer. Er hatte die Stimmen gehört. In dem salbungsvollen und väterlichen Ton, den er annahm, wenn er im Amt eine Trauung vollzog, sprach er zu Julian: »Es ist höchst wichtig, daß ich mit Ihnen rede, ehe die Kinder Sie zu sehen bekommen!«

      Damit ließ er Julian in sein Zimmer eintreten. Seine Frau wollte die beiden allein lassen, aber Herr von Rênal hielt sie zurück. Nachdem die Tür geschlossen war, setzte er sich gravitätisch. Sodann begann er: »Der Herr Pfarrer hat mir gesagt, Sie seien ein tüchtiger Mensch. Es wird Sie hier jedermann mit Achtung behandeln, und wenn ich mit Ihnen zufrieden bin, werde ich Ihnen später behilflich sein, damit Sie einen kleinen festen Posten bekommen. Ich will, daß Sie fortan weder mit Ihren Verwandten noch mit Ihren Bekannten verkehren. Das Gehabe dieser Leute ist nichts für meine Kinder. Hier sind zwölf Taler für den ersten Monat! Aber ich verlange Ihr Ehrenwort, daß Ihr Vater keinen Groschen davon bekommt.«

      Der Bürgermeister war auf den alten Sorel schlecht zu sprechen, weil er ihn bei dem Handel doch übertrumpft hatte.

      »Zuvörderst, Herr Sorel… ich habe nämlich den Befehl gegeben, daß Sie hier jedermann mit Herr anzureden hat. Sie werden die Vorteile, in ein vornehmes Hauswesen gekommen zu sein, bald verspüren. Was ich sagen wollte, Herr Sorel: Es schickt sich nicht, daß die Kinder Sie in Hemdsärmeln sehen … Sind die Dienstboten ihm so begegnet?«

      Die letzte Frage richtete er an seine Frau.

      »Nein, mein Lieber«, erwiderte sie versonnen.

      »Um so besser. Hier, ziehen Sie das mal an!« Er reichte dem erstaunten jungen Mann einen Rock von sich. »So! Jetzt geht’s zum Schneider Durand!«

      Als Herr von Rênal mit dem neuen, nunmehr ganz in Schwarz gekleideten Hauslehrer nach einer reichlichen Stunde zurückkam, fand er seine Frau noch immer auf dem nämlichen Flecke sitzen. In Julians Gegenwart fühlte sie sich beruhigt. Während sie ihn musterte, verlor sie jede Angst vor ihm. Julians Gedanken aber weilten nicht bei ihr. Trotz aller seiner Menschen-und Schicksalsverachtung war er in diesem Augenblicke seelisch ein Kind. Es war ihm, als sei in den drei Stunden, seit er voll Hangen und Bangen in der Kirche gesessen, ein jahrelanges Stück Leben vergangen. Da bemerkte er die eisige Miene der Frau von Rênal. Er begriff, daß sie ihm zürnte, weil er ihr die Hand zu küssen gewagt. Aber mit den neuen Kleidern, die so ganz anders waren denn die, die er gewohnt war zu tragen, hatte sich das Gefühl des Stolzes bei ihm eingestellt. Er war über die Maßen erregt, aber gleichzeitig vom Drange beseelt, seine Freude zu verbergen. Dadurch kam etwas Jähes und Halbverrücktes in jede seiner Bewegungen. Frau von Rênal betrachtete ihn voller Erstaunen. Und Herr von Rênal ermahnte ihn: »Würde, Haltung! Das ist die Hauptsache, Herr Sorel! Sonst haben die Kinder keinen Respekt vor Ihnen.«

      »Herr Bürgermeister«, entgegnete Julian, »der neue Anzug beengt mich noch. Als armer Bauernsohn habe ich nur immer Westen getragen. Wenn die Herrschaften gestatten, ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück.«

      Als der Ankömmling verschwunden war, fragte Herr von Rênal seine Frau: »Na, was sagst du zu unsrer neuen Erwerbung?«

      Ohne daß sie es wollte und ohne daß sie sich über das Wie und Warum klar ward, machte Frau von Rênal eine Bewegung, die ihren Mann über ihre wirklichen Empfindungen täuschen sollte.

      »Ich bin durchaus nicht so entzückt wie du von diesem Bauernjungen. Dein Entgegenkommen wird ihn so dreist machen, daß du ihn schon nach ein paar Wochen wieder wegschicken mußt.«

      »So schicken wir ihn eben wieder weg! Die Sache hat uns dann hundert und so und so viel Franken gekostet, aber Verrières hat die Kinder des Herrn von Rênal in Begleitung eines Erziehers gesehen. Besagter Zweck wäre nicht erreicht, wenn ich Julian in seinem Bauernkittel gelassen hätte. Und wenn ich ihn wieder wegschicke, so geht er selbstverständlich ohne den kompletten, schwarzen Anzug, den ich eben für ihn bei Durand bestellt habe. Ihm verbleibt nur das Fertiggekaufte, das ich ihn gleich habe anziehen lassen.«

      Die Stunde, die Julian in seinem Zimmer verbrachte, verging Frau von Rênal wie ein Augenblick. Die Kinder hatten die Ankunft des Hauslehrers erfahren und bestürmten ihre Mutter mit allerlei Fragen. Endlich erschien Julian. Er war wie umgewandelt. Er sah nicht nur würdevoll aus; er war es durch und durch.

      Er ward den Kindern vorgestellt, und der Ton, in dem er sie begrüßte, versetzte sogar Herrn von Rênal in Verwunderung.

      »Meine jungen Herren«, schloß Julian seine Ansprache, »ich bin hier, euch das Latein zu lehren. Ihr wißt, was es heißt, ein Kapitel auswendig zu lernen. Hier habe ich die Heilige Schrift…« Dabei zeigte er ihnen seine schwarz eingebundene Miniaturausgabe der lateinischen Bibel. »Es ist die Geschichte unsers Heilands Jesu Christi, also der Teil, den man das Neue Testament nennt. Ich werde euch oft Kapitel daraus auswendig lernen lassen. Heute will ich selber einmal eins aufsagen.«

      Adolf, der älteste Junge, hatte das Buch entgegengenommen.

      »Schlage es aufs Geratewohl auf!« fuhr Julian fort. »Und sage mir das Anfangswort irgendeines Absatzes auf! Ich werde die Heilige Schrift, die unser aller Richtschnur ist, auswendig hersagen, bis ihr mir Halt sagt.«

      Adolf schlug das Buch auf und las ein Stück vor. Julian sagte die ganze Seite her, mit einer Leichtigkeit, als spräche er Französisch. Herr von Rênal warf seiner Frau einen Blick des Triumphes zu. Die Knaben merkten das Staunen ihrer Eltern und machten große Augen. Ein Diener kam an die Türe des Salons. Julian fuhr fort, Lateinisch zu sprechen. Der Dienstbote blieb eine Weile starr stehen und verschwand dann. Alsbald erschienen die Kammerjungfer der Frau von Rênal und die Köchin an der Tür. Inzwischen hatte Adolf bereits die achte Stelle aufgeschlagen. Julian sagte eine wie die andre glatt auf.

      »Ach, du lieber Herrgott!« sagte die Köchin ganz laut, eine brave, sehr fromme Person. »So ein hübscher junger Priester!«

      Dem Bürgermeister ging es an seine Eitelkeit. Statt den Hauslehrer weiterhin zu prüfen, suchte er in seinem Gedächtnis eifrigst nach lateinischen Brocken. Daraufhin zitierte er einen Vers aus Horaz.

      Julians Latein beschränkte sich auf die Bibel. Er zog die Stirn hoch und erklärte: »Der fromme Beruf, dem ich mich geweiht habe, verbietet mir das Studium profaner Autoren.«

      Herr von Rênal kramte noch eine stattliche Anzahl angeblicher Horazverse aus und erläuterte seinen Kindern, wer Horaz war. Aber sie schenkten seiner Rede keine Aufmerksamkeit. Sie starrten und staunten Julian an.

      Da die Dienstboten noch immer an der Tür lauschten, hielt es Julian für angebracht, die Probe zu verlängern.

      »Stanislaus-Xaver«, СКАЧАТЬ