Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ dieser Unwissenheit war es Frau von Rênals höchstes Glück, sich ohne Unterlaß mit Julian zu beschäftigen. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, daß hierbei etwas Tadelhaftes sein könne.

      8. Kapitel

      Frau von Rênals Engelsgüte, eine Frucht ihres Wesens und ihres gegenwärtigen Glückes, wurde nur dann leicht getrübt, wenn sie an ihre Kammerjungfer Elise dachte. Das Mädchen hatte eine Erbschaft gemacht. Sie war zum Pfarrer Chélan gelaufen und hatte ihm anvertraut, daß sie Julian gern heiraten möchte. Dem Geistlichen bereitete dieses Glück seines Lieblings aufrichtige Freude. Um so maßloser war sein Erstaunen, als ihm Julian entschieden erklärte, daß er auf Fräulein Elisens Antrag nicht eingehen könne.

      »Mein Sohn«, redete ihm der Pfarrer stirnrunzelnd zu, »lassen Sie Ihr Herz sprechen! Ist es lediglich Ihr heiliger Beruf, dessentwegen Sie ein mehr denn auskömmliches Vermögen ausschlagen wollen, so wünsche ich Ihnen eine glückliche Laufbahn. Es sind jetzt sechsundfünfzig Jahre, daß ich hier in Verrières bin. Trotzdem hat es ganz den Anschein, als käme meine baldige Absetzung. Das betrübt mich, obgleich ich eine kleine Jahresrente von achthundert Franken habe. Dies alles erzähle ich Ihnen so ausführlich, damit Sie sich keine falsche Vorstellung von dem machen, was Ihrer im Priesterstande harrt. Wenn Sie die Absicht haben, den Machthabern hienieden zu frönen, so ist Ihnen die ewige Verdammnis sicher. Dann machen Sie Ihr Glück, aber auf Kosten der Unglücklichen. Sie müssen kriechen vor dem Landrat, vor dem Bürgermeister, vor jedem, der etwas darstellt, und den Gelüsten aller dieser Leute Vorschub leisten. Man nennt das Lebensklugheit, und in einem weltlichen Stande schließt dies das Seelenheil nicht unbedingt aus. In unserem Berufe heißt es: entweder – oder. Wir müssen uns entscheiden zwischen dem Glück dieser Welt oder jener. Ein Mittelding gibt es nicht. Gehen Sie, mein lieber Freund, überlegen Sie sich’s, und kommen Sie in drei Tagen noch einmal zu mir, mit Ihrer endgültigen Antwort! Zu meinem Schmerze sehe ich in der Tiefe Ihrer Seele eine düstere Glut, die andre Dinge verrät denn das Sichbescheiden und den völligen Verzicht auf irdisches Hab und Gut, wie dies für einen Priester nötig ist. Von Ihren geistigen Fähigkeiten verspreche ich mir viel, aber das muß ich Ihnen als Ihr Seelsorger sagen: Mir bangt um Ihr Seelenheil.«

      Dem guten Pfarrer standen die Tränen in den Augen. Julian war gerührt, aber er schämte sich dieser Rührung. Zum ersten Male in seinem Leben fühlte er, daß ihn jemand liebte. Er weinte aus Glückseligkeit und verbarg sich mit seinen Tränen im Walde oberhalb Verrières. Zu guter Letzt aber fragte er sich: »Was bedeutet mein jetziger Zustand? Ich wäre jede Minute bereit, für diesen braven Mann mein Leben zu lassen, trotzdem er mir eben klargemacht hat, daß ich ein dummer Kerl bin. Er durchschaut mich. Ihn muß ich vor allem täuschen. Die heimliche Glut, von der er gesprochen hat, das ist mein Wunsch und Wille, vorwärtszukommen. Er hält mich des geistlichen Standes für unwürdig, und zwar gerade in dem Augenblicke, wo ich mir einbildete, er sähe wegen meiner Ablehnung eines sicheren Jahreseinkommens von tausend Franken in mir ein Musterbild von Frömmigkeit: den geborenen Priester!«

      Weiterhin sagte er sich: »Fortan werde ich mich immer nur auf die Elemente meines Charakters verlassen, die ich erprobt habe. Hätte ich mir wohl zugetraut, daß ich tränenselig sei? Daß ich einen Menschen lieben könne, der mir beweist, daß ich ein törichter Narr bin?«

      Drei Tage darauf hatte Julian den Vorwand gefunden, der ihm zu seinem Leidwesen nicht sogleich eingefallen war. Er verschanzte sich hinter eine Verleumdung, aber das war ihm gleichgültig. Zögernd und zaudernd gestand er dem Pfarrer, er habe einen Grund, den er ihm nicht näher angeben könne. Er wolle keinen Dritten schädigen. Deshalb hätte er von Anfang an von dem Heiratsplane nichts wissen wollen. Dies hieß auf gut deutsch: er verdächtigte Elisens Wandel.

      Der Pfarrer hatte von neuem den Eindruck, in Julian glühe ein weltlicher Drang und ganz und gar nicht das himmlische Feuer eines angehenden Gottesgelehrten. Abermals redete er ihm zu: »Bester Freund, werden Sie lieber ein braver, ehrsamer und tüchtiger Bauersmann als ein Priester ohne inneren Beruf!«

      Julian gab auf diese neuen Vorhalte Antworten, die trefflich klangen. Er kleidete sie in Worte, wie sie wohl einem wahrhaft begeisterten jungen Theologen entströmt wären. Und doch lag in dem Tone, in dem er sie vorbrachte, und in dem unverkennbaren Fanatismus seiner blitzenden Augen etwas, das den Pfarrer stark beunruhigte.

      Man darf Julian nicht vorschnell einen Stümper der Heuchelei heißen. Seine Worte an sich waren durchaus vorsichtige und kluge Lügen. Mehr vermag man in seinem Alter nicht. Was Stimme und Gebärden anbelangt, so muß man bedenken, daß er bisher unter Bauern gelebt hatte. Große Vorbilder waren ihm noch nicht begegnet. Erst durch die Berührung mit den Heuchlern der höheren Gesellschaft sollte er alsbald nicht nur in seinen Worten, sondern auch in seinem ganzen äußeren Wesen ein bewundernswerter Meister werden.

      Frau von Rênal wunderte sich, daß ihre Jungfer über die ihr zugefallene Erbschaft so gar keine Freude äußerte. Sie sah sie nur immer wieder in die Pfarre laufen und von da mit verweinten Augen zurückkommen. Endlich gestand ihr Elise ihre Heiratsgedanken.

      Da überkam Frau von Rênal eine imaginäre Krankheit. Sie hatte Fieber und fand keinen Schlaf. Nur wenn sie die Jungfer oder Julian unmittelbar vor Augen hatte, lebte sie sozusagen. Unablässig dachte sie an die beiden und an das ihnen nahe eheliche Glück. Sie malte sich ihren ärmlichen Haushalt, der mit tausend Franken im Jahre bestritten werden sollte, mit verführerischen Farben aus. Übrigens konnte Julian sehr leicht Advokat in Bray werden, dem zwei Wegstunden von Verrières entfernten Landratssitze. Dann verlor sie ihn wenigstens nicht ganz aus den Augen.

      Sie bildete sich ernstlich ein, den Verstand zu verlieren, und sagte das auch ihrem Manne. Schließlich wurde sie wirklich krank. Des Abends, als die Jungfer sie bediente, merkte sie, daß sie weinte. Frau von Rênal verabscheute Elise und hatte sie eben ungnädig behandelt. Um es wieder gutzumachen, sagte sie ihr jetzt ein paar gütige Worte, worauf das Mädchen erst recht zu weinen anfing. Wenn die gnädige Frau es ihr erlaube, schluchzte sie, so wolle sie all ihr Unglück erzählen.

      »Erzähle!« gebot Frau von Rênal.

      »Ach, gnädige Frau, er will mich nicht! Böse Menschen haben mich wohl bei ihm schlecht gemacht, und er glaubt ihnen.«

      »Wer will dich nicht?« stieß Frau von Rênal hervor.

      »Ach gnädige Frau, doch der Herr Julian! Nicht einmal der Herr Pfarrer hat bei ihm etwas ausrichten können, wo er ihm doch vorgestellt hat, daß man einem anständigen Mädchen keinen Korb geben darf, bloß weil es in Diensten steht. Herrn Julians Vater ist ja auch nur Handwerker. Und wie hat sich Herr Julian sein Brot verdient, ehe er zur gnädigen Frau ins Haus kam?«

      Frau von Rênal hörte nichts mehr. Vor übergroßem Glück vermochte sie kaum noch klar zu denken. Elise mußte ihr mehrmals versichern, daß Julian ihren Antrag entschieden und ein für allemal abgelehnt hatte. Darauf erklärte Frau von Rênal: »Ich will trotz alledem einen letzten Versuch machen und selber einmal mit Julian sprechen.«

      Am nächsten Tag, nach dem Frühstück, vertrat Frau von Rênal die Sache ihrer Nebenbuhlerin. Eine Stunde lang hörte sie zu ihrer Wonne, daß Julian Elisens Hand und Habe beharrlich zurückwies.

      Nach und nach schwand auch seine Wortkargheit, und schließlich hatten seine Einwände auf ihre klugen Vorstellungen wirklich Sinn und Verstand. Dem Glücksrausche, der ihre Seele nach so vielen Tagen der Verzweiflung überflutete, war Frau von Rênal nicht gewachsen. Nunmehr ward sie tatsächlich sehr krank. Als es ihr wieder besser ging und sie behaglich in ihrem Zimmer saß, blieb sie am liebsten allein. Sie staunte über sich selbst.

      »Liebe ich Julian?« fragte sie sich.

      Diese Entdeckung, die ihr zu jedem andern Zeitpunkte Gewissensbisse bereitet und sie erschüttert hätte, kam ihr jetzt nur wie ein merkwürdiges Spiel vor, dessen unbeteiligte Zuschauerin sie СКАЧАТЬ