Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 79

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ setzte er bitter hinzu. »Ich bin unwürdig, über jene höhere Weltanschauung zu räsonieren. Mein Leben ist nichts als eine Kette von Heucheleien, weil ich keine tausend Franken Rente habe, um wenigstens mein täglich Brot gesichert zu sehen.«

      »Wovon träumen Sie?« fragte ihn Mathilde, die eiligst zurückkam,

      Julian war müde seiner Selbstverachtung. Stolz und offen äußerte er seine Gedanken. Allerdings ward er purpurrot, als er vor der so reichen jungen Dame von seiner Armut sprach. Aber gerade durch diesen stolzen Ton wollte er hervorheben, daß er um nichts bat. Niemals war er Mathilden so schön erschienen wie in diesem Ausdruck von Feingefühl und Freimut, der ihm oft fehlte.

      Etwa vier Wochen später ging Julian im Park des Hauses La Mole nachdenklich auf und ab, aber seine Züge trugen nicht mehr den Ausdruck der Verbitterung und hochmütigen Resignation, den das beständige Gefühl seiner Niedrigkeit ihm aufgeprägt hatte. Eben hatte er Fräulein von La Mole, die sich angeblich beim Laufen mit ihrem Bruder den Fuß verstaucht hatte, bis an die Tür des Salons zurückbegleitet.

      »Sie hat sich auf eine recht sonderbare Art auf meinen Arm gestützt«, dachte Julian. »Bin ich ein Narr? Oder sollte es wahr sein, daß sie Geschmack an mir findet? Sie hört mir mit so sanfter Miene zu, selbst wenn ich ihr alle Leiden meines Hochmutes bekenne, Sie, die gegen alle Welt so stolz ist! Man würde im Salon sehr erstaunt sein, wenn man einmal diesen Gesichtsausdruck an ihr sähe. Ganz gewiß, diese sanfte und gütige Miene hat sie sonst vor niemandem.«

      Julian hütete sich, die seltsame Freundschaft zu überschätzen. Er verglich sie mit dem bewaffneten Frieden. Jedesmal, wenn man sich wieder traf, fragte man sich sozusagen, ehe man den nahezu vertraulichen Ton des vorhergehenden Abends wieder anschlug: »Sind wir heute Freunde oder Feinde?« Julian war überzeugt, daß er ein für allemal verlor, wenn er sich von diesem stolzen Mädchen nur ein einziges Mal ungestraft beleidigen ließ. »Aber wenn ich früher oder später doch mit ihr brechen muß«, sagte er sich, »ist es da nicht besser, ich tue es gleich? Jetzt wahre ich meinen berechtigten Stolz ihr gegenüber, während ich mich später gegen ihre Verachtung zu wehren habe, die sich sofort zeigen wird, sobald ich im geringsten auf das verzichte, was ich meiner persönlichen Würde schulde.«

      Mehrmals versuchte Mathilde an Tagen, wo sie schlecht gelaunt war, vor ihm den Ton der Grande-dame anzuschlagen. Sie machte diese Versuche auf die findigste Weise, aber Julian ließ sie brüsk von sich abgleiten.

      Eines Tages unterbrach er sie heftig: »Hat das gnädige Fräulein irgendwelchen Auftrag für den Sekretär Ihres Herrn Vaters?« fragte er sie. »Er muß ihre Befehle anhören und sie ganz gehorsamst ausführen. Im übrigen aber hat er kein Wort an sie zu richten. Er wird nicht bezahlt, um ihr seine Gedanken mitzuteilen.«

      Die merkwürdigen kleinen Zwischenfälle und die sonderbaren Zweifel, die Julian beschlichen, hielten die Langeweile von ihm fern, die er ehedem in diesem prunkvollen Saale regelmäßig empfunden hatte, weil man sich dort vor allem und jedem fürchtete und weil es daselbst nicht schicklich war, über irgend etwas zu scherzen.

      »Es wäre spaßhaft, wenn sie mich liebte! Aber mag sie mich lieben oder nicht«, setzte Julian hinzu, »ich habe zur Vertrauten eine geistreiche junge Dame, vor der ich das ganze Haus zittern sehe und allen andern voran den Marquis von Croisenois, einen so höflichen, milden, wackeren jungen Mann. Er besitzt sämtliche Vorteile der Geburt und des Reichtums, von denen ein einziger mein Herz hoch erfreuen würde. Er ist wahnsinnig verliebt in Mathilde. Er soll sie heiraten. Wieviel Briefe hat mich Herr von La Mole nicht an die Notare schreiben lassen, um den Ehevertrag zustande zu bringen! Und ich inferiorer Federfuchser, ich triumphiere zwei Stunden später hier im Garten über diesen liebenswürdigen jungen Herrn? Denn alles in allem sind ihre Gunstbeweise auffällig und unleugbar. Vielleicht haßt sie Croisenois als ihren künftigen Gatten. Hochmütig genug ist sie dazu. Und die Aufmerksamkeiten, die sie mir erweist, empfange ich als vertrauter Untergebener!

      Aber nein! Entweder bin ich ein Narr oder sie macht mir den Hof. Je kälter und ehrerbietiger ich mich gegen sie zeige, um so mehr bemüht sie sich um mich. Es könnte ja Spiel sein? Aber ich sehe ihre Augen aufleuchten, wenn ich unerwartet erscheine. Sind die Pariserinnen so ausgezeichnete Komödiantinnen? Doch was liegt daran? Mich umgaukelt eine Illusion. Genießen wir sie! Mein Gott, wie schön ist Mathilde! Wie gefallen mir ihre großen blauen Augen, wenn ich sie dicht vor mir schaue, und sie auf mir ruhen, wie sie dies oft tun! Was für ein Unterschied zwischen diesem Frühling und dem des vergangenen Jahres, als ich unter dreihundert boshaften und schmutzigen Heuchlern lebte und mich in meinem Unglück nur durch Charakterstärke aufrechterhielt. Ich war beinahe ebenso boshaft wie diese Gesellen.«

      In den Tagen des Mißtrauens dachte Julian: »Dies junge Mädchen macht sich über mich lustig. Sie ist mit ihrem Bruder im Bunde, mich zum besten zu haben. Und doch scheint sie Norberts Mangel an Energie arg zu verachten. Er ist ein anständiger Kerl; das ist aber auch alles! hat sie mir einmal gesagt. Er habe nicht einen von der Mode unabhängigen Gedanken. Ich bin dann immer gezwungen, ihn zu verteidigen. Sie ist ein junges Mädchen von neunzehn Jahren. Kann man in diesem Alter jeden Augenblick eine bestimmte Rolle erheucheln?

      »Andrerseits, wenn Fräulein von La Mole ihre großen blauen Augen mit einem gewissen eigentümlichen Ausdruck auf mich richtet, geht Graf Norbert immer weg. Das macht mich argwöhnisch. Müßte er nicht entrüstet sein, daß seine Schwester einen Domestiken des Hauses auszeichnet? So habe ich nämlich den Herzog von Chaulnes von mir sprechen hören.« Bei dieser Erinnerung verdrängte der Zorn jedes andre Gefühl. »Ist das Vorliebe für altertümliche Ausdrücke bei diesem idiotischen Herzog?«

      »Jawohl, sie ist hübsch«, fuhr Julian mit Tigerblicken fort. »Ich werde sie besitzen. Dann mache ich mich aus dem Staube, und wehe dem, der mich in meiner Flucht aufhalten will.«

      Dieser Gedanke ward allmählich zur fixen Idee in ihm. Er vermochte an nichts weiter zu denken. Die Tage vergingen ihm wie Stunden. Jeden Augenblick, wenn er sich mit etwas Ernsthaftem zu beschäftigen suchte, irrten seine Gedanken ab. Nach einer Viertelstunde kam er wieder zu sich, mit klopfendem Herzen, wirrem Kopf, brütend über dem einzigen Gedanken: »Liebt sie mich?«

      41. Kapitel

      Wenn Julian, statt von Mathildens Schönheit zu schwärmen und sich über ihren Hochmut zu ereifern, der in ihrer Rasse wurzelte und den sie um seinetwillen vergaß, seine Zeit dazu verwendet hätte, die Vorgänge im Salon zu beobachten, so hätte er erkannt, wodurch sie ihre Umgebung so beherrschte. Wenn jemand dem Fräulein von La Mole mißfiel, so verstand sie den Betreffenden durch ein genau abgemessenes, feingewähltes, den guten Ton wahrendes und im rechten Moment abgeschnelltes Witzwort derart zu treffen, daß die geschlagene Wunde größer und tiefer wurde, je mehr man darüber nachdachte. So war Mathilde nach und nach der Schrecken eitler Leute geworden. Da ihr vieles, was die übrige Familie hoch und heilig hielt, durchaus gleichgültig war, so erschien sie den Ihrigen immer kalt. Aristokratische Salons gewähren einem die Freude, hinterher von ihnen sprechen zu können. Aber das ist auch alles. Urbanität an sich ist dem, der sie nicht von Jugend auf kennt, nur in den ersten Tagen etwas Besonderes. Auch Julian machte diese Erfahrung. Nachdem sein erstes Entzücken, seine erste Verwunderung vorüber war, sagte er sich: »Urbanität ist nichts als die überlegene Unfähigkeit, sich über die schlechten Manieren andrer zu ärgern.« Mathilde langweilte sich oft: vielleicht hätte sie sich überall gelangweilt. So war es eine Zerstreuung für sie und ein wahres Vergnügen, sich epigrammatisch zu äußern.

      Vielleicht hatte sie dem Marquis von Croisenois, dem Grafen Caylus und zwei, drei andern hochadligen jungen Herren nur Hoffnungen gemacht, um ein paar ergötzlichere Opfer zu haben als bloß immer ihre großen Eltern, den Akademiker und die sechs oder sieben untergeordneten Persönlichkeiten, die ihr den Hof machten. Sie waren ihr allesamt nichts als neue Zielscheiben für spöttische Bemerkungen.

      Gegen die Sitte ihrer Zeit pflegte sie von ihren Verehrern Briefe zu СКАЧАТЬ