Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 29

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Man sagte ihm, sie seien in der schönen Wachsfigur eingeschlossen.

      Seine Majestät geruhte, den jungen Mädchen, die ihn in die Kapelle begleitet hatten, das Tragen eines roten Bandes mit der eingestickten Devise:

      Haß dem Unglauben in ewiger Anbetung!

      allergnädigst zu erlauben.

      Der Marquis von La Mole ließ zehntausend Flaschen Wein unter die Bauern verteilen. Die Liberalen benutzten den Anlaß, abends hundertmal schöner zu illuminieren als die Royalisten. Vor seiner Abfahrt stattete der König Herrn von Moirod einen Besuch ab.

      19. Kapitel

      Als sich Julian in dem Zimmer umsah, das der Marquis von La Mole innegehabt hatte, fand er einen viermal gebrochenen Bogen starken Kanzleipapiers, auf dessen erster Seite folgendes zu lesen war:

      An den

      Kammerherrn Seiner Majestät des Königs, Pair von Frankreich,

      Ritter höchster Orden,

      Herrn Marquis von La Mole,

      Exzellenz.

      Es war ein Bittgesuch in ungelenker Köchinnenhandschrift:

      Hochwohlgeborener Herr Marquis!

      Ich habe mein Leben lang religiöse Grundsätze gehabt, ich war in Laon zur Zeit der Belagerung, 1793 schrecklichen Angedenkens, unter den Bomben der Jakobiner. Ich gehe zur Kommunion und jeden Sonntag zur Messe in die Pfarrkirche. Ich habe nie meine Osterpflicht versäumt, selbst nicht im Jahre 1793 schrecklichen Angedenkens. Meine Köchin, nur vor der Revolution hielt ich mir Diener, meine Köchin kocht jeden Freitag Fastenspeisen. Ich erfreue mich in Verrières der allgemeinen und, ich darf wohl sagen, verdienten Achtung. Ich gehe bei Prozessionen unter dem Baldachin, neben Herrn Pfarrer und neben Herrn Bürgermeister. Ich trage an den hoben Festen eine große Kerze auf meine eigenen Kosten. Über alles das liegen amtlich beglaubigte Bescheinigungen in Paris im Königlichen Ministerium des Innern. Eure Exzellenz bitte ich untertänigst um die Lotteriekollektion zu Verrières, die auf die oder jene Weise demnächst frei werden dürfte, da der jetzige Inhaber sehr krank ist und überdies bei den Wahlen schlecht stimmt … usw.

      Eurer Exzellenz alleruntertänigster

      Cholin.

      Auf der freien Hälfte der Bittschrift stand, von Moirod unterzeichnet, folgende Befürwortung:

      Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an das gestern mündlich Vorgebrachte den Gesuchsteller nochmals als guten Untertanen ganz gehorsamst zu empfehlen … usw.

      Nachdenklich sagte sich Julian: »Also, sogar ein Schwachkopf wie dieser Cholin zeigt einem, wie man es machen muß!«

      Noch acht Tage nach der Durchreise des Königs hielt in Verrières eine Tatsache alle Gemüter mehr in Spannung als die unzähligen Lügen, einfältigen Auslegungen und lächerlichen Erörterungen, die der Reihe nach dem Landesherrn, dem Bischof von *******, dem Marquis von La Mole, den zehntausend Flaschen Wein und dem Herunterfall des armen Moirod gewidmet wurden. (Letzterer ließ sich übrigens erst vier Wochen nach seinem Malheur wieder vor der Öffentlichkeit blicken.) Dies war die unerhörte Taktlosigkeit, daß Julian Sorel, der Müllerssohn, in die Ehrenwache hineinbugsiert worden war. Über dieses Thema mußte man die reichen Bunte-Leinwand-Fabrikanten hören, die sich von früh bis abends im Kaffeehaus über die soziale Gleichheit heiser redeten. Da hieß es, die eingebildete Frau Bürgermeister sei die Anstifterin dieser Schandtat. In den schönen Augen und den roten Backen des Herrn Hauslehrers habe man den nötigen Kommentar.

      Kurz nach der Rückkehr nach Vergy bekam Stanislaus-Xaver, der jüngste Knabe, Fieber. Frau von Rênal ward von gräßlichen Gewissensbissen befallen. Zum erstenmal machte sie sich ob ihrer Liebe alle möglichen Vorwürfe. Wie durch ein Wunder gingen ihr plötzlich die Augen auf. Sie erkannte die ganze Größe der Schuld, zu der sie sich hatte verführen lassen. Trotz ihrer tiefen Religiosität war es ihr bisher nicht zum Bewußtsein gekommen, daß sie vor Gott ungeheuerlich gesündigt hatte.

      Einstmals, im Herz-Jesu-Kloster, hatte sie Gott inbrünstig geliebt. Jetzt empfand sie im gleichen Maße Furcht vor ihm. Die Kämpfe, die in ihrer Seele entbrannten, waren um so schrecklicher, als sie vor Angst der Vernunft kein Gehör schenkte. Julian sah, daß er die arme Frau nicht beruhigte, sondern nur quälte, wenn er ihr vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes zuredete. Seine Worte klangen ihr wie Einflüsterungen der Hölle.

      Da Julian den kleinen Stanislaus in sein Herz geschlossen hatte, so sprach er selber schließlich in einem fort von der Krankheit, die mehr und mehr einen ernsten Charakter annahm. Die fortwährende Gewissenspein brachte die Mutter um jedweden Schlaf. Sie wurde schweigsam und grüblerisch. Hätte sie den Mund aufgetan, so wäre es nur gewesen, um sich vor Gott und den Menschen anzuklagen.

      »Ich beschwöre dich«, bat Julian, sobald sie allein waren, »sprich zu niemandem! Laß mich den einzigen Vertrauten deines Leids sein! Wenn du mich noch liebhast, dann rede nicht! Geständnisse machen unsern Stanislaus nicht fieberfrei.«

      Sein Zuspruch hatte keine Wirkung. Allerdings wußte Julian nicht, daß sich Frau von Rênal in den Kopf gesetzt hatte, der eifersüchtige Herrgott fordere in seinem Zorne, daß sie entweder den Geliebten hasse oder ihren Sohn durch den Tod verliere. Julian hassen, das war ihr unmöglich. Und deshalb war sie so namenlos unglücklich.

      »Geh von mir! Fliehe!« flüsterte sie ihm einmal zu. »Im Namen Gottes, verlaß mein Haus! Deine Gegenwart mordet mein Kind!« Und dumpf setzte sie hinzu: »Der Allmächtige straft mich. Und mit Recht. Ich bete seine Gerechtigkeit an. Meine Sünde ist zu schändlich. Nicht einmal Reue empfand ich. Ein Beweis, daß ich bereits von Gott verlassen war. Nun muß ich doppelt büßen.«

      Julian war tiefgerührt. Er vermochte in ihren Selbstvorwürfen weder Heuchelei noch Übertreibung zu erkennen. »Sie ist des Glaubens«, sagte er sich, »ihren Sohn zu morden, wenn sie mich liebt. Und doch liebt mich die Unglückselige mehr als ihren eigenen Sohn. Ich darf nicht zweifeln: die Reue tötet sie. Wahrlich, das ist Gefühlsgröße! Wunderbar, daß ich armer, ungeschliffener, dummer, mitunter roher Bauernjunge eine solche Liebe zu erwecken fähig war!«

      Eines Nachts stand es mit dem Kinde besonders schlimm. Gegen zwei Uhr kam Herr von Rênal, um nach ihm zu sehen. Der Knabe lag in hohem Fieber, sah scharlachrot aus und erkannte den Vater nicht. Da warf sich Frau von Rênal ihrem Manne plötzlich zu Füßen. Julian, der mit bei dem Kinde wachte, sah sofort, daß sie alles gestehen wollte: zu ihrem ewigen Verderben. Zum Glück mißfiel dem Hausherrn dies seltsame Gebaren.

      »Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!« sagte er und schickte sich an zu gehen.

      »Ach, höre mich doch an!« rief sie, noch immer auf den Knien.

      »Du sollst alles wahrheitsgetreu erfahren. Ich bin die Mörderin deines Sohnes! Ich, die ich ihm das Leben gegeben, ich nehme es ihm. Das ist die Strafe des Himmels. Vor Gott bin ich Mörderin. Ich muß mich selber verderben und demütigen. Vielleicht macht diese Sühne den lieben Gott gnädig …«

      Hätte Herr von Rênal genug Einbildungskraft besessen, so hätte er den Sinn dieser Worte verstanden.

      »Überspannter Blödsinn!« brummte er und wehrte seine Frau ab, die seine Knie zu umarmen suchte. »Überspannter Blödsinn! Genug! Julian, lassen Sie bei Tagesanbruch den Doktor holen!«

      Damit entfernte er sich, um sich wieder zu Bett zu legen. Julian versuchte Frau von Rênal aufzurichten. Halb von Sinnen, fiel sie von neuem auf die Knie und stieß СКАЧАТЬ