Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 24

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

isbn:

СКАЧАТЬ doch ihre Verwunderung nicht, daß es solch ein nie geahntes Glück überhaupt gab. Von neuem seufzte sie: »Ach, hätte ich Julian vor zehn Jahren kennengelernt, als ich noch wirklich hübsch war!«

      Julian hegte gänzlich andre Gedanken. Im Grund war seine Liebe immer noch Ehrgeiz. Es war ihm ein Genuß, ihm, dem armen, elenden, verachteten Bauernjungen, ein so schönes und vornehmes Weib sein eigen zu nennen. Sein Entzücken angesichts ihrer Körperschönheit, seine Liebesworte und Liebkosungen beruhigten sie schließlich auch über den Altersunterschied. Hätte sie freilich die Lebenserfahrung gehabt, die eine Dreißigjährige in kultivierten Gegenden im allgemeinen besitzt, so hätte ihr über die Dauer einer Liebschaft bangen müssen, die nur lebte, weil sie dem Erkorenen eine Überraschung und ein Paradies der Eigenliebe war.

      Im Augenblicke, wo Julian seine Ehrsucht vergaß, bewunderte er voller Begeisterung an Frau von Rênal alles, sogar ihre Kleider und Hüte. Er wurde es nicht satt, ihr Parfüm einzuatmen. Er öffnete die Spiegeltür ihres Wäscheschrankes und staunte die schönen und eleganten Dinge darin stundenlang an. Seine Freundin stand dicht an ihn geschmiegt neben ihm und schaute ihm zu, wie er alle die Schmucksachen und duftigen Stoffe anstarrte, als sei es die Ausstattung seiner Braut, vor der Hochzeit ausgestellt.

      »So einen Mann hätte ich heiraten sollen!« dachte sie wehmütig. »Welch eine Feuerseele! Mit ihm, das wäre ein wundervolles Leben geworden!«

      Es war das erstemal, daß Julian einen Blick in das schreckliche Arsenal der weiblichen Kriegskunst tun durfte. »Unmöglich«, meinte er bei sich, »gibt es in Paris noch erlesenere Dinge!« In solchen Momenten war sein Glück gegen jeden Einwand gefeit. Die naive Bewunderung und die Sinnlichkeit seiner Geliebten verscheuchten seine grauen Theorien über die Liebe, die ihn zu Beginn seiner Liebschaft zum Rechenkünstler und zur Karikatur gemacht hatten. Es gab Stunden, da er trotz seinem Hange zur Heuchelei holden Genuß darin fand, der Grande-dame, die ihn anbetete, seine Unwissenheit über tausend Kleinigkeiten des mondänen Lebens zu beichten. Er hatte das Gefühl, zu ihrer Vornehmheit emporgehoben zu werden. Sie ihrerseits fand eine süße geistige Wollust darin, dieses junge Genie, dem alle Welt eine glänzende Laufbahn prophezeite, in alle die kleinen Geheimnisse einzuweihen. Sogar der Landrat und selbst Valenod mußten ihn bewundern. Seitdem kamen sie ihr ein wenig gescheiter vor. Nur Frau Derville hütete sich, ähnliche Anerkennungen auszusprechen. Sie war außer sich über das, was sie vermutete und erriet; und als sie einsah, daß ihr guter Rat der Freundin, die buchstäblich den Kopf verloren hatte, nur unangenehm war, da reiste sie eines Tages von Vergy ab. Sie gab keinen Grund an, und Frau von Rênal fragte sie wohlweislich nicht danach. Sie vergoß ein paar Abschiedstränen, und alsbald war sie um so glücklicher. Dank der Abreise ihrer Freundin war sie fortan fast den ganzen Tag allein mit ihrem Geliebten.

      Julian überließ sich um so lieber dem süßen Beieinander, als ihn jedesmal, wenn er sich zu lange mit sich selbst beschäftigte, der fatale Vorschlag seines Freundes Fouqué beunruhigte. In den ersten Tagen dieses neuen Lebens gab es Momente, wo er, der Einsame, der nie geliebt hatte und nie geliebt worden war, ein so inniges Vergnügen darin fand, offenherzig zu sein, daß er nahe daran war, Frau von Rênal einzugestehen, daß bis dahin der Ehrgeiz das Leitmotiv seines Daseins gewesen war. Auch hätte er gern um Rat gefragt über die seltsame Versuchung, in die ihn Fouqués Angebot gebracht hatte, aber ein kleines Intermezzo verbot ihm jede weitere Aufrichtigkeit.

      17. Kapitel

      Eines Abends, beim Sonnenuntergang, saß Julian zusammen mit seiner Freundin hinten im Baumgarten, fern den lästigen Menschen, in Träumerei verloren. »Was so köstlich ist, wird das immerdar dauern?« dachte er bei sich. Eben hatte er über die Schwierigkeit nachgegrübelt, etwas in der Welt zu werden, und über die Sorgenlast geklagt, die den Kindern armer Leute die Knabenjahre jäh beendet und ihnen die ersten Jünglingsjahre verdüstert.

      »Ach!« rief er aus, »Napoleon war der Jugend Frankreichs wirklich ein Gottgesandter! Wer wird ihn ersetzen? Was sollen ohne ihn die Unglücklichen machen, selbst die reicher sind als ich, deren Geld gerade langt, um sich eine gute Schulbildung zu gestatten, die aber nicht genug besitzen, um sich mit zwanzig Jahren einen mannhaften Platz zu erkaufen und von dort aus Karriere zu machen? Was man auch beginnen mag, die verhängnisvolle Erinnerung an den Kaiser läßt einen nimmermehr glücklich werden.«

      Er seufzte tief auf. Da sah er, daß Frau von Rênal plötzlich eine betroffene, kühle, spöttische Miene zog. Julians Gesinnung dünkte sie lakaienhaft. Im Reichtum erzogen, vergaß sie immer wieder, daß der Geliebte nicht auch reich war. Sie liebte ihn tausendmal mehr als ihr Leben, aber einen richtigen Begriff vom Geld hatte sie nicht. Diesen Umstand ahnte Julian nicht. Aber ihr Mienenwechsel rief ihn in die Wirklichkeit zurück, und er besaß Geistesgegenwart genug, das Gesagte zu widerrufen und der Aristokratin, die so dicht neben ihm auf der Rasenbank saß, vorzumachen, daß er damit lediglich Dinge wiederholt habe, die er auf seinem Ausflug ins Gebirge bei seinem Freund, dem Holzhändler, gehört hätte. Fouqué sei ein ruchloser Räsoneur.

      »Mein Gott, verkehren Sie doch nicht mehr mit solchen Leuten!« meinte sie, noch ein wenig im Tone der kühlen Zurückhaltung, die ihre vorherige Herzlichkeit so plötzlich verscheucht hatte.

      Frau von Rênals Stirnrunzeln, oder vielmehr sein Ärger über seine Unvorsichtigkeit, war der erste Schlag gegen Julians Traumwelt. »Luise ist lieb und gut«, sagte er sich. »Sie ist stark verliebt in mich. Aber sie ist im feindlichen Lager erzogen. Diese Aristokraten müssen ja Angst haben vor jedem herzhaften Mann, der eine gute Bildung, aber nicht genug Geld hat, Karriere zu machen. Was würde aus all den Adligen, wenn uns Plebejern die Möglichkeit gegeben wäre, mit gleichen Waffen auf den Kampf platz zu treten? Ich zum Beispiel, wenn ich Bürgermeister von Verrières wäre, ich, ein Idealist und ein redlicher Mensch (letzteres ist ja Rênal im Grunde auch!) … ich wollte diese Spitzbuben bald an die Luft gesetzt haben, diesen Vikar, diesen Valenod und wie sie alle heißen! Die Gerechtigkeit sollte in Verrières triumphieren! Die geistigen Fähigkeiten dieser Leute würden mir keine Hindernisse bereiten. Das Pulver haben sie alle miteinander nicht erfunden!«

      Julians Glück war an diesem Tage nahe daran, beständig zu werden. Er brauchte nur offen und natürlich zu sein. Er hätte den Mut haben müssen, eine Schlacht zu liefern und dies auf der Stelle. Frau von Rênal war über Julians Rede zunächst betroffen, weil sie durch Mitglieder ihrer Gesellschaftsklasse oft hatte behaupten hören, das Emporkommen eines zweiten Robespierre wäre sehr wohl möglich, da so viele junge Leute aus den niederen Ständen viel zu viel Bildung hätten.

      Frau von Rênals Verhalten blieb kühl. Julian kam es sogar außerordentlich kühl vor. In Wirklichkeit gesellte sich zu ihrem Abscheu vor Julians rebellischen Worten der Kummer, ihm ungewollt etwas Häßliches gesagt zu haben. Dieses Unbehagen spiegelte sich in ihrem Gesicht, das so voll Sonne und Unschuld war, wenn sie sich glücklich und dem Alltag fern wähnte.

      Julian wagte sich nicht mehr recht in das weite Land seiner Träumereien. Nüchterner und nicht mehr so verliebt, hielt er es für besser, die Geliebte fortan nicht in ihrem Zimmer zu besuchen. Es sei vorsichtiger, wenn sie zu ihm käme. Wenn von den Dienstboten jemand sie nachts durch den Gang laufen sähe, so hätte sie ein Dutzend Möglichkeiten, sich herauszureden.

      Allerdings hatte diese Änderung ihre Schattenseiten. Julian hatte sich von Fouqué Bücher geliehen, die er sich als angehender Theologe unmöglich beim Buchhändler besorgen konnte. Er wagte sie nur des Nachts in die Hände zu nehmen. Deshalb wäre er manchmal froh gewesen, wenn ihn die Geliebte nicht mit ihrem Besuch gestört hätte; das heißt: vor der Episode im Obstgarten war er in Erwartung der Liebesstunde gar nicht fähig gewesen zu lesen.

      Er verdankte Frau von Rênal ein neues, gründlicheres Verständnis der Bücher. Er hatte den Mut gefunden, sie nach tausend Kleinigkeiten zu fragen, die nicht zu wissen den Horizont eines jungen Mannes, der nicht zur Gesellschaft gehört, arg beschränken, mag er noch so viel sogenannten gesunden Menschenverstand haben.

      Diese Erziehung СКАЧАТЬ