Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 173

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Eilmarsch zum Lago Maggiore fort. Alles in allem war er durchaus nicht trübselig. Der Baum war prächtig gediehen, war kräftiger denn je und in den fünf Jahren beinahe doppelt so groß geworden. Der Astbruch war nur ein unbedeutender Unfall. Sachgemäß verschnitten, litt der Baum darunter nicht mehr; im Gegenteil, er war schlanker geworden und konnte sich mehr nach oben auslegen.

      Fabrizzio hatte noch keine Meile zurückgelegt, als sich im Osten von einem weiß schimmernden Lichtstreifen die Zacken des Resegone di Lecco, eines im Lande berühmten Gipfels, scharf abhoben. Die Straße, die er dahinschritt, füllte sich mit Landvolk, aber statt soldatisch zu denken, ließ sich Fabrizzio durch den erhabenen oder rührenden Anblick der Wälder um den Comer See bezaubern. ›Sie sind vielleicht die schönsten auf Erden; ich will nicht sagen, weil sie die meisten blanken Taler einbringen, wie man in der Schweiz sagen würde, sondern weil sie am meisten zur Seele sprechen.‹

      Daß Fabrizzio in seiner Lage, angesichts der Späheraugen der lombardo-venezianischen Gendarmen, solche Reden führte, war wirklich eine Kinderei. Endlich sagte er sich: ›Ich bin eine halbe Stunde von der Grenze entfernt; ich kann Zollbeamten und Gendarmen auf ihrem Morgengang begegnen. Mein guter Rock wird ihren Verdacht erregen; sie werden mich nach meinem Paß fragen, und dieser Paß weist buchstäblich einen Namen auf, der Gefängnis verheißt. Ich wäre also in der angenehmen Zwangslage, einen Mord zu begehen. Wenn die Gendarmen wie gewöhnlich zu zweien umherstreifen, kann ich schlechterdings mit meinem Schuß nicht warten, bis mich einer von beiden am Kragen gepackt hat. Wenn er mich nur im Fallen einen Augenblick packt, sitze ich auf dem Spielberg.

      Fabrizzio durchrieselte ein Schaudern, besonders vor dem Zwang, zuerst schießen zu müssen und vielleicht gar auf einen ehemaligen Soldaten seines Onkels, des Grafen Pietranera. Eilends verbarg er sich in dem hohlen Stamm einer mächtigen Kastanie und setzte gerade neue Zündhütchen auf seine Pistolen, als er jemanden durch den Wald näher kommen hörte, der sehr hübsch eine köstliche Weise von Mercadante sang, der damals in der Lombardei beliebt war.

      ›Das ist ein gutes Zeichen‹, sagte sich Fabrizzio. Das Lied, dem er andächtig lauschte, nahm ihm den leichten Anflug von Zorn, der sich in seine Überlegungen zu mengen begann. Aufmerksam lugte er die Straße hinauf und hinab; er entdeckte niemanden. ›Der Sänger wird auf einem Querweg kommen‹, sagte er sich. Fast im nämlichen Augenblick sah er einen Diener in sehr feschem englischem Reitanzug gemächlich dahinreiten, an der Hand ein schönes Vollblutpferd, das vielleicht ein wenig zu mager war.

      ›Ach, wenn ich jetzt wie Mosca dächte,‹ sagte sich Fabrizzio, ›der mir tausendmal gesagt hat: die Gefahren, in denen ein Mann schwebt, sind immer der Maßstab seiner Rechte gegen den Nächsten, so jagte ich diesem Reitknecht eine Pistolenkugel durch den Kopf. Sitze ich erst auf dem mageren Gaul, dann will ich auf alle Gendarmen der Welt pfeifen. In Parma angelangt, schicke ich dem Mann oder seiner Witwe Geld. – Aber das wäre schauderhaft.‹

      Zehntes Kapitel

      Während Fabrizzio sich diese Moralpredigt hielt, sprang er auf die große Straße, die von der Lombardei nach der Schweiz führt. Der Wald liegt an dieser Stelle fünf bis sechs Fuß höher. ›Wenn mein Mann Angst hat, so galoppiert er von dannen,‹ sagte sich Fabrizzio, ›und ich bin der Dumme und habe das Nachsehen.‹ In diesem Augenblick war er zehn Schritt von dem Reitknecht entfernt, der aufgehört hatte, zu singen; er sah ihm an den Augen an, daß er Furcht hatte. Vielleicht wollte er umkehren. Ohne bestimmten Entschluß sprang Fabrizzio hinzu und griff dem mageren Pferd in die Zugel.

      »Mein Freund,« sagte er zu dem Reitknecht, »ich bin kein gewöhnlicher Spitzbube, denn ich will dir zunächst mal zwanzig Franken geben, aber ich muß notgedrungen dein Handpferd entleihen. Ich bin des Todes, wenn ich mich nicht auf und davon mache. Die vier Brüder Riva sind mir auf den Fersen, die großen Nimrode, die dir zweifellos bekannt sind. Sie haben mich im Schlafzimmer ihrer Schwester erwischt; ich bin durchs Fenster entronnen und nun hier. Mit ihren Hunden und Flinten folgen sie mir durch den Wald nach. In der großen, hohlen Kastanie da habe ich mich versteckt gehalten. Einen von ihnen habe ich über die Straße laufen sehen. Die Hunde müssen meine Spur finden. Ich werde dein Handpferd nehmen und eine Meile über Como hinausgaloppieren. In Mailand werde ich mich dem Statthalter zu Füßen werfen. Dein Pferd werde ich in der Post abgeben nebst zwei Napoleons für dich, wenn du einwilligst. Muckst du dich auch nur, so knalle ich dich mit den Pistolen hier nieder, und hetzt du mir die Gendarmen nach, wenn ich weg bin, dann wird mein Vetter, der wackere Graf Alari, Kaiserlicher Stallmeister, sichs angelegen sein lassen, dir die Knochen klein zu schlagen!«

      Fabrizzio erfand diese Geschichte, während er sie mit der friedlichsten Miene vortrug.

      »Übrigens«, sagte er lachend, »ist mein Name gar kein Geheimnis. Ich bin der Marchesino Ascanio del Dongo. Mein Schloß liegt gar nicht weit von hier, in Grianta… Zum Donnerwetter,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »laß den Gaul los!«

      Der verblüffte Reitknecht brachte kein Wort heraus. Fabrizzio nahm seine Pistole in die linke Hand, ergriff den Handzügel, den der andere fahren ließ, schwang sich in den Sattel und ritt in kurzem Galopp davon. Als er dreihundert Galoppsprünge gemacht hatte, fiel ihm ein, daß er die versprochenen zwanzig Franken zu geben vergessen hatte. Er hielt. Es war immer noch niemand auf der Straße außer dem Reitknecht, der ihm nachgaloppiert kam. Er machte ihm mit dem Taschentuch ein Zeichen, vorwärts zu reiten; und als er ihn bis auf fünfzig Schritt herangelassen hatte, warf er eine Handvoll Geld auf die Straße und ritt weiter. Aus der Ferne sah er, daß der Reitknecht die Geldstücke auflas. ›Das ist wirklich ein gescheiter Kerl,‹ sagte sich Fabrizzio lachend, ›kein Freund unnützer Worte!‹

      Er ritt scharf nach Süden zu, machte bei einem einsamen Hause Rast und nahm ein paar Stunden später seinen Weg wieder auf. Um zwei Uhr morgens war er am Ufer des Lago Maggiore. Sehr bald bemerkte er seine Barke, die auf dem Wasser lag und auf das verabredete Zeichen heranruderte. Er sah keinen Landmann, dem er hätte das Pferd übergeben können; so ließ er das edle Tier frei laufen. Drei Stunden darauf war er in Belgirate. Dort, im Freundesland, gönnte er sich Ruhe. Er war voller Freude; alles war vorzüglich abgelaufen.

      Darf die wahre Ursache seiner Freude berichtet werden? Sein Baum war herrlich gediehen und seine Seele wieder aufgefrischt durch die tiefe Rührung, die er in den Armen des Abbaten Blanio gefunden hatte.

      ›Glaubt er wirklich‹, fragte er sich, ›an alle die Weissagungen, die er mir gemacht hat? Oder wollte er nur, weil mein Bruder mich in den Ruf eines Jakobiners, eines Menschen ohne Treu und Glauben gebracht hat, der zu allem fähig ist, mich davon abbringen, im Falle der Versuchung irgendeinem Esel, der mir einen schlechten Streich spielt, den Schädel einzuschlagen?‹

      Zwei Tage darauf war Fabrizzio in Parma. Er belustigte die Duchezza und den Grafen höchlichst mit seinem wie immer sehr ausführlichen Bericht über die ganze Geschichte seiner Reise.

      Bei seiner Ankunft hatte Fabrizzio bemerkt, daß der Pförtner und die gesamte Dienerschaft des Palazzo Sanseverina die Abzeichen der tiefsten Trauer trugen.

      »Welcher Verlust hat uns betroffen?« fragte er die Duchezza.

      »Der treffliche Mann, der als mein Gatte galt, ist kürzlich in Baden-Baden verstorben. Er hat mir diesen Palast vermacht; das war selbstverständlich. Aber als Zeichen seiner guten Freundschaft hat er ein Vermächtnis von dreihunderttausend Franken hinzugefügt. Das bringt mich in arge Verlegenheit. Zugunsten seiner Nichte, der Marchesa Raversi, darauf verzichten will ich nicht. Die spielt mir tagtäglich die nichtswürdigsten Streiche. Du als Kunstfreund wirst mir irgendeinen guten Bildhauer auftreiben: ich will dem Duca für die dreimalhunderttausend Franken ein Grabmal errichten.«

      Der Graf begann Anekdoten von der Raversi zu erzählen.

      »Vergeblich habe ich mich bemüht,« sagte die Duchezza, »sie durch Wohltaten klein zu kriegen. Die Neffen des Duca habe ich samt und sonders СКАЧАТЬ