Название: Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik
Автор: Andreas Suchanek
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Das Erbe der Macht
isbn: 9783958343696
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Einfallsreich bist du auf jeden Fall, Alexander Kent.
Im Chaos nach den Ereignissen um die Infiltration und ihrem Abenteuer im verlorenen Castillo war das Team nur selten zusammengekommen. Zu viel ging gerade vor. Dabei hatte Alex viel Zeit hier verbracht, doch auch immer wieder seine Mum und seinen Bruder in London besucht.
Jen wiederum hatte fast täglich einen Streifzug durch die Menschenmengen gemacht. Mal hier, mal dort, in verschiedenen Metropolen auf der Welt. Überhaupt hatte jeder die Ereignisse auf seine Art verarbeitet.
Einzig Max und Kevin war das nicht vergönnt. Max lag noch immer im Heilschlaf. Theresa wollte sichergehen, dass neben den körperlichen Wunden auch die Aura heilen konnte. Es würde also noch einige Tage dauern, bis der Freund endlich die Augen aufschlug.
»Danke«, sagte Jen.
Alex nickte nur.
»Und beim nächsten Mal nimm gefälligst ein passendes Glas.«
Er grinste. »Aber natürlich, eure hochwohlgeborene Arroganz.«
Sie beschränkte sich auf ein Kräuseln der Lippen. »Bis später.«
Sie betrat das Castillo. Ein wenig bereute sie es, ihm nichts gesagt zu haben. Doch was nun folgte gehörte nur ihr. Die anderen schliefen noch, nur ein paar Ordnungsmagier patrouillierten in den Gängen, die Suche nach weiteren Geheimkammern lief nach wie vor.
Jen stieg nach oben ins Turmzimmer. Sie war alleine. Ihre Schritte trugen sie wie von selbst zu dem Wandtresor, in dem der Foliant lagerte. Nostradamus hatte ihr das notwendige Wissen gegeben, auf den Inhalt zuzugreifen. Sie musste es nur noch anwenden. Sie legte das schwere, ledergebundene Buch auf den Tisch.
»Also gut, Jen, du schaffst das.«
Sie wollte endlich die Wahrheit. Die ganze Wahrheit. Keine Lügen mehr oder ständige Fragen, die zu nichts führten als zu weiteren Fragen. Was hatte Joshua damals gesehen? Was bedeuteten die Prophezeiungen? Und was plante die Schattenfrau? Wenn ihre Vermutung stimmte, lagen die Antworten zwischen diesen Seiten verborgen.
Chloe, Kevin, Chris, Max und Alex waren ihre Freunde, doch das hier war ihr Erbe. Bereits bei der ersten Manifestation war sie angreifbar gewesen, hatte von ihrer Umgebung nichts mehr bemerkt. Heute sollte es anders sein. Dieser Augenblick gehörte ihr und ihr alleine.
»Zeig mir, was du bisher verborgen hast.«
Jen legte die Hand auf den geöffneten Folianten. Die Worte bewegten sich, flossen über die Seiten und krochen auf ihre Haut.
Und die Wahrheit offenbarte sich.
Ende des 3. Teils
IV
Feuerblut
Prolog
Die Wahrheit offenbarte sich.
Tausend Ameisen und mehr krochen über ihren Körper, den Nacken hinauf, das Rückgrat entlang, überzogen Arme und Beine. Nein, es waren keine Tiere. Mit schwarzer Tinte geschriebene Buchstaben durchdrangen Haut und Poren, als habe ein irrer Tätowierer seinen Wahn an Jen ausgelebt.
Sie taumelte. Der Foliant blieb aufgeschlagen auf dem Tisch des Turmzimmers zurück, während sie nur mühevoll ihre Balance halten konnte. Das Mondlicht fiel durch die Fenster in den Raum, verströmte einen sphärischen Glanz. Ein Schimmer silbernen Lichts bedeckte Regale, Couch, Stühle und die von ihren Freunden liegengelassenen Kleinigkeiten.
Deine Augen bestanden aus purem Quecksilber, erinnerte sie sich an das, was Alex nach dem Zwischenfall in der unterirdischen Zitadelle des Sehenden Auges erzählt hatte.
Sie war damals unvorbereitet gewesen. Doch heute nicht. Hitze schoss durch Jens Adern, ihr Körper wurde federleicht, erhob sich in die Luft. Sie schwebte genau im Zentrum, zwischen den Wänden, der Decke und dem Boden. Silberner Rauch drang aus ihrem Mund, eine uralte Stimme formte Worte mit ihren Lippen.
Dreimal dreht sich der Schlüssel,
Verrat, Feuer, Tod.
Im Licht des Avakat-Sterns,
die Erde getränkt in Blut.
Die Zeit ist es,
verbirgt vor euch, was euch lieb ist.
Ein Riss, ein Netz, ein Bruch.
Was einst war, wird wieder sein.
Was nun ist, wird nie mehr sein.
Feuerblut, Silberregen, Ascheatem.
Aus Licht wird Schatten,
Schatten erstarkt.
Getrennt durch gestern, heute, morgen,
wird Licht zu Dunkelheit.
Ein Krieg am Anfang, am Ende, immerdar.
Zwei Seiten im ewigen Streit.
Schnee und Asche, Asche und Schnee.
Ein Zyklus für die Ewigkeit.
Die Schwere kehrte zurück. Jen sank zu Boden. Der Rauch verwehte. Obgleich sie ihm niemals begegnet war, so wusste sie doch, dass es Joshuas Stimme gewesen war. Er hatte durch sie gesprochen. Der letzte Seher, der gestorben war, als der Wall entstand, hatte die Zukunft gesehen und sie mit seiner Erbin über ein Jahrhundert später geteilt.
Wie ferngesteuert schritt Jen zurück zu dem Folianten. Ihr Blick wurde wieder klar, das Silber verschwand. Erneut legte sie eine Hand auf die brüchigen Seiten des Werkes. Die Buchstaben krochen auf das Papier, setzten sich neu zusammen und bildeten lesbare Sätze.
Doch es war nicht die Prophezeiung, die dort geschrieben stand. Stirnrunzelnd beugte sie sich über die gelbstichigen Seiten. Gedankenverloren zeichnete Jen ein magisches Symbol in die Luft und murmelte: »Fiat Lux.«
Drei Kugeln erschienen. Geboren aus ihrer Essenz schwebten sie über dem Folianten und vertrieben mit ihrem warmen Licht die Schatten.
Jens Blick glitt die Zeilen entlang, nahm die Informationen auf, die – endlich – offenbart wurden. Natürlich begriff sie sofort, dass das Werk nur einen Bruchteil des Wissens freigab, das in ihm niedergeschrieben stand. Da war mehr. Sie konnte es spüren. Etwas von Joshua haftete an den Seiten, dem Leder des Einbands, den uralten Worten. Der Foliant entschied selbst, welche Informationen er wann preisgab.
Mochten die Prophezeiungen auch einstweilen ein Rätsel bleiben, so war der Text vor ihr doch in glasklaren Sätzen verfasst. Sie erreichte das Ende. Während die Tinte erneut einen Reigen tanzte und die Schrift unleserlich wurde, begriff Jen endlich, was die Schattenfrau plante.