Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas Suchanek
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Читать онлайн книгу Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek страница 91

СКАЧАТЬ tauchte auf. Johanna rannte die Wendeltreppe empor. Da machte die Schattenfrau einen Schwenk mit ihrem Essenzstab, und Clara fiel über die Brüstung. Johanna rannte zum Geländer. In ihrem Rücken machte die Feindin eine schnelle Bewegung mit den Fingern, Clara fiel nach wie vor, aber ihr Sturz wurde verlangsamt.

      »Sie hat Clara das Leben gerettet«, hauchte Johanna.

      Leonardo nickte. Er hatte ähnlich dreingeschaut wie jetzt die unsterbliche Freundin. Alle möglichen Theorien waren ihm gekommen, bis er bei einer davon hängengeblieben war.

      »Warum hat sie das getan?«

      »Hast du keine Idee?«, fragte er.

      Johanna verschränkte die Arme. Auf die Schreibtischkante gelehnt betrachtete sie das eingefrorene Bild der Schattenfrau, die den Sturz bremste. »Möglicherweise hat sie einen Plan, für den sie Clara noch benötigt.«

      »Das mag sein«, sagte er. »Aber ich habe eine bessere Theorie. Das Weib hat die gesamte Bibliothek eingeäschert und das Archiv versiegelt. Dafür hat sie lange im Voraus geplant. Ich glaube, dass irgendwo in diesen Büchern ein Hinweis auf ihre Identität versteckt war.«

      »Okay.«

      »Zum Beispiel in den Bauverzeichnissen des Castillos«, erklärte er. »Weißt du, ich habe kürzlich in Ingenieursmagie eine Vorlesung zu Dimensionsfalten und dem Erbauen von geschützten Gebäuden gehalten. Darunter auch zu diesem hier. Bei der Recherche ist mir tatsächlich etwas aufgefallen, das ich aber erst nach Eliots Entdeckung der Herkunft des Raumes zuordnen konnte.«

      »Ja?«

      »Ein Vorfahre von Clara, ein Mann aus der Ashwell-Linie, hat am Bau mitgewirkt.«

      Johanna riss die Augen auf. Sie schaute zwischen dem Bild und ihm hin und her. »Du glaubst, dass die Schattenfrau eine Vorfahrin von Clara ist? Eine Ashwell?«

      Er nickte. »Sie vernichtete die Unterlagen, weil sie selbst darin vorkam. Es muss einfach Hinweise geben. Sie war hier auf der Baustelle des Castillos, hat den Raum erschaffen und einen Wechselbalg hineingesteckt. Wir hatten die Aufzeichnungen, die damals zu den Clans der Wechselbälger gemacht wurden. Möglicherweise ist sie auch darin aufgetaucht. Sie konnte die Kreatur kaum durch den Schutz ihrer Sphäre rekrutieren. Die Rettung von Clara gab schließlich den Ausschlag. Sie hat ihre Ur-ur-ur-sonstwas-Enkelin gerettet.«

      Er konnte Johanna ansehen, dass sie skeptisch war. Tatsächlich gab es noch nicht viele Beweise für seine Behauptung. Andererseits war es die erste Spur überhaupt.

      »Gewagt. Aber ich spiele mit. Erkläre mir bitte, wie eine Unsterbliche entstehen konnte, ohne dass wir davon erfahren haben«, verlangte sie. »Wir wurden über jeden neuen informiert, egal, ob er bei uns, im dunklen Rat oder außerhalb der Räte tätig ist.«

      »Soweit wir wissen«, gab Leonardo zu bedenken. »Doch was wissen wir eigentlich?«

      »Guter Punkt.«

      »Letztlich tappen wir sowieso im Dunkeln. Aber es geht nicht so weiter, dass wir sie gewähren lassen«, sagte er kategorisch. »In der Zukunft müssen wir an verschiedenen Fronten gleichzeitig kämpfen. Anders wird es kaum möglich sein. Für mich hat die Aufklärung der Identität dieser Person – und ihres Plans – Priorität.« Ein Schauer rann über seinen Rücken. »Sie kennt mich, Johanna. Als der Wechselbalg für sie als Überträger gedient hat, hat sie mit mir gesprochen. Wer sie auch ist, wir müssen sie vor langer Zeit in einer Art gegen uns aufgebracht haben, die ihren grenzenlosen Hass geboren hat.«

      »Das glaube ich mittlerweile auch. Nun ja, es ist kaum zu übersehen. Allerdings ist es unmöglich, die Jahrhunderte danach zu analysieren. Wir wissen ja nicht, wer sie in ihrem ersten Leben war. An Feinden mangelt es uns wohl kaum.«

      »Nein, das nicht.« Leonardo strich gedankenverloren über die neue Ledermanschette, die das Permit enthielt. Es war unbeschädigt, hatte der Schattenfrau nur dazu gedient, den Zauber um das Archiv zu legen. »Wie auch immer: Ich eröffne die Jagd auf sie. Wer sie auch ist, wo sie auch ist, wir werden sie finden.« Er stand auf. »Und die erste Spur führt zu den Ashwells.«

      25. Die ganze Wahrheit

      Jen stand auf einem der Balkone des Castillos. Die Winterluft schnitt ihr eisig ins Gesicht, doch genau das tat ihr gut. In wenigen Minuten würde die Sonne aufgehen. Ein Anblick, den sie ab und an genoss.

      Schritte erklangen.

      Verärgert fuhr sie herum. »Du?«

      »Hey, ein ›Alex, es ist total schön, dich zu sehen‹ hätte mir besser gefallen. Hier.« Er reichte ihr eine Bierflasche.

      »Was ist das?«

      »Wonach sieht es denn aus?«

      Jen lachte auf. »Vergiss es. Das trinke ich nicht.«

      Er legte den Kopf zur Seite und sah sie mit großen Augen an. »Ich hab die Flasche extra für dich hier heraufgeschleppt.«

      Sie schnaubte, griff schließlich aber zu. Er schaute sie weiter an. »Und, wie schmeckt’s?«

      Genervt nahm Jen einen Schluck. »Zufrieden? Oh. Was ist das?«

      »Cosmopolitan«, erklärte er. »Chloe hat erzählt, dass das dein Lieblingsdrink ist. Also habe ich einen gemixt, in einen gasförmigen Zustand transformiert und in einer Bierflasche dann wieder verflüssigt.«

      Sie war nicht stolz darauf, doch sie starrte Alex mit offenem Mund an. »Da… Danke. Das ist echt lieb von dir. Ha! Du wolltest mich ärgern.«

      »Stimmt«, gab er schelmisch grinsend zu. »Ein bisschen. Wegen Vorurteilen und so. Aber ich wollte auch, dass du deine Auszeit genießt.«

      »Das ist nett von dir. Woher wusstest du, wo ich bin?«

      Er deutete nach oben. »Ich habe vorgestern schweben gelernt und gestern den Sonnenaufgang vom Dach aus betrachtet. Es klappt schon recht gut, na ja, meistens. Leider hat mich Leonardo gesehen. Er hat gesagt, wenn er mich noch einmal dort sieht, schießt er mich mit einem Kraftschlag vom Dach und Theresa darf mich zusammenflicken. Und das soll ich gefälligst auch allen anderen ›Welpen‹ sagen.«

      Jen kicherte. »Ja, er macht seinen Standpunkt gerne deutlich. Lass es lieber nicht drauf ankommen.«

      »Keine Angst. Aber da habe ich dich auf jeden Fall gesehen. Also dachte ich, du bist heute vielleicht wieder hier.«

      Sie nickte nur.

      Gemeinsam standen sie auf dem Balkon und schwiegen. Es war jene Art des Schweigens, das sich zwischen zwei vertrauten Menschen entwickelte. Verblüfft stellte Jen fest, dass sie seine Gegenwart tatsächlich als angenehm empfand. Natürlich wollte sie ihn noch immer alle fünf Minuten durchschütteln, regelmäßig von der Balustrade werfen oder zu Stein transformieren, aber er hatte seine Momente. Und dass sie ihm vertrauen konnte, hatte er unter Einsatz seines eigenen Lebens bewiesen.

      In der Ferne lugten die ersten Sonnenstrahlen über die Baumwipfel, tauchten das Geäst in rotgoldene Farben. Die Luft war angereichert mit der Frische eines Wintermorgens und der Wind flaute ab. Die Stille vervollkommnete den Augenblick.

      Jen СКАЧАТЬ