Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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СКАЧАТЬ klein­städ­ti­schen Um­welt und der Bil­dungs­schicht, aus der sie stamm­te, hät­te sie ge­wiss ein Glück nach ih­rem Her­zen fin­den kön­nen. Aber bei mei­nem Bru­der, für des­sen Per­sön­lich­keit ihr der Maß­stab fehl­te und des­sen Glücks­um­stän­de sie über­schätzt hat­te, war sie aus ih­rer Sphä­re ge­tre­ten, ohne in der sei­ni­gen, nach der sie kein Ver­lan­gen trug, hei­misch zu wer­den, und das nahe Zu­sam­men­sein mit ei­ner Fa­mi­lie wie der uns­ri­gen brach­te sie in eine Stel­lung, der sie in­ner­lich nicht ge­wach­sen war. Dass dann gleich zu An­fang ih­rer Ehe der böse Geist ih­rer Mut­ter kom­men muss­te, ihr die Fä­den zu ver­wi­ckeln, das war für die­se Na­tur zu viel. Ein lie­ben­des Herz hät­te sich frei­lich zu­recht­ge­fun­den, aber sie lieb­te nicht, sie konn­te gar nicht lie­ben, denn ihr gan­zes We­sen wohn­te im Ne­ga­ti­ven. Ich habe mich spä­ter oft ge­fragt, ob es denn gar nicht mög­lich ge­we­sen wäre, aus der un­glück­li­chen Haus­ge­nos­sen­schaft et­was Bes­se­res her­aus­zu­ho­len; aber das war auch dem großen Her­zen mei­ner Mut­ter, die ihr ja gar nicht im Wege stand, nicht ge­lun­gen.

      Erst in der To­des­krank­heit mei­nes Bru­ders er­wach­te in der Frau das Men­schen­tum, dass sie ihn sorg­sam und treu­lich pfleg­te und auch die An­ge­hö­ri­gen nicht ab­wehr­te, die er um sich ver­sam­melt woll­te; die wärms­te Aner­ken­nung lohn­te ihr da­für. Aber nach sei­nem Hin­gang fiel sie in ihre alte Art zu­rück; man sah sich nicht mehr, ich ver­nahm nur durch Drit­te noch ge­le­gent­lich von ihr und ver­lor sie schließ­lich ganz aus den Au­gen. Da war es er­schüt­ternd zu hö­ren, wie sie am spä­ten Ende noch eine tra­gi­sche Höhe er­stieg, in­dem sie, alt und mür­be ge­wor­den und nun selbst in Bit­ter­nis­se ge­ra­ten, sich ent­schloss, ihr miss­glück­tes Le­ben frei­wil­lig zu en­di­gen. Die­se all­zu her­be Süh­ne wirft ein mil­dern­des Licht auf al­les Ver­gan­ge­ne, das ja nicht ihr ge­woll­tes Werk, nur die Aus­wir­kung ih­res bö­sen Gestir­nes war. Ger­ne möch­te man sich vor­stel­len dür­fen, der nie ver­stan­de­ne Le­bens­ge­nos­se sei ihr drü­ben – in dem Drü­ben, an das er von sei­ner Na­tur­wis­sen­schaft aus nicht glau­ben konn­te –, er­bar­mend ent­ge­gen­ge­kom­men und habe die rat­lo­se See­le an einen Ort des Frie­dens ge­führt.

      Von ei­ner sol­chen Ein­sicht konn­te frei­lich wäh­rend der Ver­damm­nis ei­nes Zu­sam­men­woh­nens, wo schließ­lich die ei­ge­ne See­le Ge­fahr lief, sich mit­zu­ver­gif­ten, kei­ne Rede sein. Schon das Wis­sen um all die Vor­gän­ge – Frau­en­au­gen müs­sen ja se­hen, ob sie wol­len oder nicht – war ent­wür­di­gend. In die­ses In­fer­no folg­te mir auch der un­sicht­ba­re Ge­fähr­te nicht mehr. Der große Leid­ver­wand­ler kann wohl Not und Tod in Schön­heit wan­deln, aber die Auss­trö­mun­gen ei­ner kran­ken See­le nicht. Es blieb nichts üb­rig als zu­sam­men­zu­pa­cken und zu wei­chen.

      Von jetzt ab war ich für eine lan­ge Rei­he von Jah­ren Vo­gel auf dem Zweig. Ohne fes­ten Wohn­sitz, mit nichts Ei­ge­nem als mei­nem Kof­fer, be­weg­te sich mein Le­ben durch un­zäh­li­ge Pen­sio­nen oder Miet­zim­mer im­mer im Kreis, bald nä­her bald fer­ner, um das in der Via del­le Por­te nuo­ve ver­blie­be­ne müt­ter­li­che Zen­tral­ge­stirn. Da sie von Ed­gar nicht las­sen woll­te, aber zu wel­ken mein­te, wenn sie mich nicht hat­te, blieb mir kei­ne an­de­re Wahl. Mich an all die Orte zu er­in­nern, wo ich nach­ein­an­der in Flo­renz ge­wohnt habe, ist mir nicht mehr mög­lich; an kei­nem war mei­nes Blei­bens. Bald war es ein Kla­vier im Hau­se, bald ein dröh­nen­der Neu­bau in der Stra­ße, bald der Weg­zug der Ver­mie­ter selbst, was mich von hin­nen trieb. Nie­mand konn­te die­ses ir­ren­de Le­ben be­grei­fen, das im­mer auf dem Sprun­ge war. Durch Freun­des­zu­spruch hat­te ich mich schon bei­na­he dazu be­we­gen las­sen, eine klei­ne Woh­nung vor der Stadt für Mama und mich zu mie­ten, wo sie statt von ihm zu mir zu wan­dern es um­ge­kehrt hal­ten soll­te. Aber ich fühl­te selbst mit Ban­gen den Miss­griff, den ich im Be­griff war zu be­ge­hen; da riet mir zum Glück der im­mer klar­bli­cken­de Freund Hil­de­brand drin­gend von dem Vor­ha­ben ab, weil ja dem Tem­pe­ra­ment mei­ner Mut­ter, das ge­wohnt sei, sich auf vie­le Men­schen zu ver­tei­len, durch die­se Lö­sung gar nicht ge­dient wäre und ich mit ihr al­lein kei­ne Samm­lung zur Ar­beit fän­de. Ich war ihm dank­bar für die­ses Wort, das nur aus­sprach, was ich sel­ber wuss­te, denn er sprach da­mit mein Ge­wis­sen frei, und auch mei­ne Mut­ter war es zu­frie­den, wenn ich nur nicht ganz von ihr gin­ge. Wenn sie die Macht über die Kin­der hat­te und ih­ren Spi­ri­tus­ko­cher, um sich zu ver­sor­gen, dazu die Mög­lich­keit, so oft die Sehn­sucht sie trieb, mich zu se­hen, so woll­te sie wei­ter nichts vom Le­ben. Da flog dann plötz­lich ein­mal die Türe auf und sie wie ein ver­stürm­ter klei­ner Vo­gel an mei­nen Hals. Wer konn­te ihr böse sein, wenn sie auch gleich Hut und Um­hang auf die Blät­ter mei­nes Schreib­tischs warf? Sie leg­te im­mer erst ein Bün­del Schmer­zen bei mir ab. Da­nach aber trat das Über­per­sön­li­che in sein Recht; sie er­zähl­te mir von ir­gend­ei­ner na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ent­de­ckung, von der sie aus Ed­gars me­di­zi­ni­schen Zeit­schrif­ten wuss­te, oder den Auss­pruch ei­nes grie­chi­schen Den­kers, der ihr eben in die Hän­de ge­kom­men war. Denn sie hör­te nie auf, sich mit der Fra­ge nach dem Un­wiss­ba­ren zu be­schäf­ti­gen; so­gar in ih­rem hand­großen Haus­hal­tungs­büch­lein – sie führ­te wahr­haf­tig sol­che, was ihr nie­mand zu­trau­te – fand ich spä­ter noch die man­nig­fachs­ten phi­lo­so­phi­schen Lehr­mei­nun­gen zwi­schen die Zah­len ein­ge­streut. – Schlimm wur­de es nur, wenn eine län­ge­re Un­päss­lich­keit sie zwang das Bett zu hü­ten; ich konn­te dann si­cher sein, dass nie­mand sie pfleg­te und mit Nah­rung ver­sorg­te und dass sie auch nie­mand um eine Dienst­leis­tung bat. Ed­gar mach­te ihr zwar die auf­merk­sams­ten Kran­ken­be­su­che, aber dass sie nichts zu es­sen hat­te, ent­deck­te er nicht. Er hol­te sie wohl ge­le­gent­lich an sei­nen Mit­tags­tisch; da wur­den ihr nur die Fleisch­spei­sen an­ge­bo­ten, vor de­nen sie von klein auf einen töd­li­chen Ab­scheu hat­te, Mehl­spei­sen, die sie lieb­te, wur­den ihr zu rei­chen ver­säumt; der Sohn saß da­bei in sei­nen Ge­dan­ken und sah nichts. Eine Zeit lang kam ich, wäh­rend sie zu Bet­te lag, täg­lich von der Höhe des Pog­gio Im­pe­ria­le, wo ich nach lan­ger Uns­te­te zu­letzt einen Dau­er­sitz ge­fun­den hat­te, zu Fuß mit ei­nem Körb­chen her­un­ter, um sie zu ät­zen. Sie hat­te in Tü­bin­gen mei­nem Va­ter, als er die Mit­ta­ge auf der Schloss­bi­blio­thek ver­brach­te, jah­re­lang das glei­che ge­tan. Nur war kein Ver­gleich zwi­schen den Weg­stre­cken des einen und des an­dern Fal­les, und sie ließ auch auf ih­rem Tisch kein Ma­nu­skript zu­rück, das wie ein Kind nach ih­rer Heim­kehr wein­te. Nach­träg­lich wun­de­re ich mich, warum nicht eine gute Frau aus der Nach­bar­schaft ihr den klei­nen Dienst leis­ten konn­te; aber frei­lich war es so, dass für ihre Be­die­nung kein Pfen­nig drauf­ge­hen durf­te. Unend­lich grö­ße­re Wer­te an Zeit, Schaf­fens- und Ju­gend­kraft ka­men da­ge­gen nicht in Be­tracht, die wa­ren in Fül­le da, man brauch­te sie nicht zu spa­ren.

      Ich war ihr aber auch eine Ver­gü­tung schul­dig, weil ein Mann von Geist und Per­sön­lich­keit, der Na­men und Stel­lung in der Welt be­saß und das Müt­ter­lein auf den Hän­den zu tra­gen ver­sprach, seit län­ge­rer Zeit zart und stand­haft um mich warb. Es war wie­der ei­ner der Fäl­le, wo sich ohne al­les Be­sin­nen ein so ka­te­go­ri­sches Nein aus mei­nem In­nern er­hob, dass die sehr er­heb­li­chen welt­li­chen Vor­tei­le gar kei­ne Ver­su­chung be­deu­ten konn­ten. Für sie war es ein Schmerz, denn sie ver­stand sich be­son­ders gut mit die­sem Man­ne, und ich zweifle nicht, dass er sein Wort ge­hal­ten СКАЧАТЬ