Название: Nichts ist wahr, alles ist erlaubt
Автор: Friedrich Nietzsche
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker der Weltliteratur
isbn: 9783843802970
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Jugend. – Die Jugend ist unangenehm; denn in ihr ist es nicht möglich oder nicht vernünftig, produktiv zu sein, in irgendeinem Sinne.
Die persönlichsten Fragen der Wahrheit. – »Was ist das eigentlich, was ich tue? Und was will gerade ich damit?« – das ist die Frage der Wahrheit, welche bei unserer jetzigen Art Bildung nicht gelehrt und folglich nicht gefragt wird, für sie gibt es keine Zeit. Dagegen mit Kindern von Possen zu reden und nicht von der Wahrheit, mit Frauen, die später Mütter werden sollen, Artigkeiten zu reden und nicht von der Wahrheit, mit Jünglingen von ihrer Zukunft und ihrem Vergnügen zu reden und nicht von der Wahrheit, – dafür ist immer Zeit und Lust da! – Aber was sind auch siebzig Jahre! – Das läuft hin und ist bald zu Ende; es liegt so wenig daran, dass die Welle wisse, wie und wohin sie laufe! Ja, es könnte Klugheit sein, es nicht zu wissen. – »Zugegeben: Aber stolz ist es nicht, auch nicht einmal danach zu fragen; unsere Bildung macht die Menschen nicht stolz.« – Umso besser! – »Wirklich?«
Fortleben der Eltern. – Die unaufgelösten Dissonanzen im Verhältnis von Charakter und Gesinnung der Eltern klingen in dem Wesen des Kindes fort und machen seine innere Leidensgeschichte aus.
Tragödie der Kindheit. – Es kommt vielleicht nicht selten vor, dass edel- und hochstrebende Menschen ihren härtesten Kampf in der Kindheit zu bestehen haben: Etwa dadurch, dass sie ihre Gesinnung gegen einen niedrig denkenden, dem Schein und der Lügnerei ergebenen Vater durchsetzen müssen, oder fortwährend, wie Lord Byron, im Kampfe mit einer kindischen und zornwütigen Mutter leben. Hat man so etwas erlebt, so wird man sein Leben lang es nicht verschmerzen, zu wissen, wer einem eigentlich der größte, der gefährlichste Feind gewesen ist.
Gedanke des Unmutes. – Es ist mit den Menschen wie mit den Kohlenmeilern im Walde. Erst wenn die jungen Menschen ausgeglüht haben und verkohlt sind, gleich jenen, dann werden sie nützlich. Solange sie dampfen und rauchen, sind sie vielleicht interessanter, aber unnütz und gar zu häufig unbequem. – Die Menschheit verwendet schonungslos jeden Einzelnen als Material zum Heizen ihrer großen Maschinen: Aber wozu dann die Maschinen, wenn alle Einzelnen (das heißt die Menschheit) nur dazu nützen, sie zu unterhalten? Maschinen, die sich selbst Zweck sind, – ist das die umana commedia?
Vernünftige Unvernunft. – In der Reife des Lebens und des Verstandes überkommt den Menschen das Gefühl, dass sein Vater Unrecht hatte, ihn zu zeugen.
Trügerisch und doch haltbar. – Wie man, um an einem Abgrund vorbeizugehen oder einen tiefen Bach auf einem Balken zu überschreiten, eines Geländers bedarf, nicht um sich daran festzuhalten, – denn es würde sofort mit einem zusammenbrechen, sondern um die Vorstellung der Sicherheit für das Auge zu erwecken, – so bedarf man als Jüngling solcher Personen, welche uns unbewusst den Dienst jenes Geländers erweisen; es ist wahr, sie würden uns nicht helfen, wenn wir uns wirklich, in großer Gefahr, auf sie stützen wollten, aber sie geben die beruhigende Empfindung des Schutzes in der Nähe (zum Beispiel Väter, Lehrer, Freunde, wie sie, alle drei, gewöhnlich sind).
Mädchen als Gymnasiasten. – Um alles in der Welt nicht noch unsere Gymnasialbildung auf die Mädchen übertragen! Sie, die häufig aus geistreichen, wissbegierigen, feurigen jungen Abbilder ihrer Lehrer macht!
Die Vernunft in der Schule. – Die Schule hat keine wichtigere Aufgabe, als strenges Denken, vorsichtiges Urteilen, konsequentes Schließen zu lehren: Deshalb hat sie von allen Dingen abzusehen, die nicht für diese Operationen tauglich sind, zum Beispiel von der Religion. Sie kann ja darauf rechnen, dass menschliche Unklarheit, Gewöhnung und Bedürfnis später doch wieder den Bogen des allzu straffen Denkens abspannen. Aber solange ihr Einfluss reicht, soll sie das erzwingen, was das Wesentliche und Auszeichnende am Menschen ist- »Vernunft und Wissenschaft des Menschen allerhöchste Kraft« – wie wenigstens Goethe urteilt. Die Vernunft in der Schule hat Europa zu Europa gemacht: Im Mittelalter war es auf dem Wege, wieder zu einem Stück und Anhängsel Asiens zu werden, – also den wissenschaftlichen Sinn, welchen es den Griechen verdankte, einzubüßen.
Zum Erziehungswesen. – In Deutschland fehlt dem höheren Menschen ein großes Erziehungsmittel: Das Gelächter höherer Menschen; diese lachen nicht in Deutschland.
Nicht zu vergessen, dass militärische Privilegien den Zuviel-Besuch der höheren Schulen, das heißt ihren Untergang, förmlich erzwingen. – Es steht niemandem mehr frei, im jetzigen Deutschland seinen Kindern eine vornehme Erziehung zu geben: Unsre »höheren« Schulen sind allesamt auf die zweideutigste Mittelmäßigkeit eingerichtet, mit Lehrern, mit Lehrplänen, mit Lehrzielen. Und überall herrscht eine unanständige Hast, wie als ob etwas versäumt wäre, wenn der junge Mann mit 23 Jahren noch nicht »fertig« ist, noch nicht Antwort weiß auf die »Hauptfrage«: welchen Beruf? – Eine höhere Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht »Berufe«, genau deshalb, weil sie sich berufen weiß … Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit, sie denkt gar nicht daran, »fertig« zu werden, – mit dreißig Jahren ist man, im Sinne hoher Kultur, ein Anfänger, ein Kind. – Unsre überfüllten Gymnasien, unsre überhäuften, stupid gemachten Gymnasiallehrer sind ein Skandal: Um diese Zustände in Schutz zu nehmen, wie es jüngst die Professoren von Heidelberg getan haben, dazu hat man vielleicht Ursachen, – Gründe dafür gibt es nicht.
Die Erfahrung des Sokrates. – Ist man in einer Sache Meister geworden, so ist man gewöhnlich eben dadurch in den meisten andern Sachen ein völliger Stümper geblieben; aber man urteilt gerade umgekehrt, wie dies schon Sokrates erfuhr. Dies ist der Übelstand, welcher den Umgang mit Meistern unangenehm macht.
Ein Mensch mit Genie ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens noch zweierlei dazu besitzt: Dankbarkeit und Reinlichkeit.
Zunahme des Interessanten. – Im Verlaufe der höheren Bildung wird dem Menschen alles interessant, er weiß die belehrende Seite einer Sache rasch zu finden und den Punkt anzugeben, wo eine Lücke seines Denkens mit ihr ausgefüllt oder ein Gedanke durch sie bestätigt werden kann. Dabei verschwindet immer mehr die Langeweile, dabei auch die übermäßige Erregbarkeit des Gemütes. Er geht zuletzt wie ein Naturforscher unter Pflanzen, so unter Menschen herum und nimmt sich selber als ein Phänomen wahr, welches nur seinen erkennenden Trieb stark anregt.
Talent. – Das Talent manches Menschen erscheint geringer als es ist, weil er sich immer zu große Aufgaben gestellt hat.
Begabung. – In einer so hoch entwickelten Menschheit, wie die jetzige ist, bekommt von Natur jeder den Zugang zu vielen Talenten mit. Jeder hat angeborenes Talent, aber nur wenigen ist der Grad von Zähigkeit, Ausdauer, Energie angeboren und anerzogen, so dass er wirklich ein Talent wird, also wird, was er ist, das heißt: es in Werken und Handlungen entladet.
Lieben lernen. – Man muss lieben lernen, gütig sein lernen, und dies von Jugend auf; wenn Erziehung und Zufall uns keine Gelegenheit zur Übung dieser Empfindungen geben, so wird unsere Seele trocken und selbst zu einem Verständnisse jener zarten Erfindungen liebevoller Menschen ungeeignet. Ebenso muss der Hass gelernt und genährt werden, wenn einer ein tüchtiger Hasser werden will: sonst wird auch der Keim dazu allmählich absterben.
Aus einer Doktor–Promotion. – »Was ist die Aufgabe alles höheren Schulwesens?« – Aus dem Menschen eine Maschine zu machen, – »Was ist das Mittel dazu?« – Er muss lernen, sich langweilen. – »Wie erreicht man das?« – Durch den Begriff der Pflicht. – »Wer ist sein Vorbild dafür?« СКАЧАТЬ