Название: Nichts ist wahr, alles ist erlaubt
Автор: Friedrich Nietzsche
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker der Weltliteratur
isbn: 9783843802970
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Vorsicht vor den Systematikern! – Es gibt eine Schauspielerei der Systematiker: Indem sie ein System ausfüllen wollen und den Horizont darum rund machen, müssen sie versuchen, ihre schwächeren Eigenschaften im Stile ihrer stärkeren auftreten zu lassen, – sie wollen vollständige und einartig starke Naturen darstellen.
Wert eines Berufes. – Ein Beruf macht gedankenlos; darin liegt sein größter Segen. Denn er ist eine Schutzwehr, hinter welche man sich, wenn Bedenken und Sorgen allgemeiner Art einen anfallen, erlaubtermaßen zurückziehen kann.
Das sogenannte »Ich«. – Die Sprache und die Vorurteile, auf denen die Sprache aufgebaut ist, sind uns vielfach in der Ergründung innerer Vorgänge und Triebe hinderlich: Zum Beispiel dadurch, dass eigentlich Worte allein für superlativische Grade dieser Vorgänge und Triebe da sind –; nun aber sind wir gewohnt, dort, wo uns Worte fehlen, nicht mehr genau zu beobachten, weil es peinlich ist, dort noch genau zu denken; ja, ehedem schloss man unwillkürlich, wo das Reich der Worte aufhöre, höre auch das Reich des Daseins auf. Zorn, Hass, Liebe, Mitleid, Begehren, Erkennen, Freude, Schmerz, – das sind alles Namen für extreme Zustände: die milderen mittleren und gar die immerwährend spielenden niederen Grade entgehen uns, und doch weben sie gerade das Gespinst unseres Charakters und Schicksals.
Feinde der Wahrheit. – Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.
Die Länge des Tages. – Wenn man viel hineinzustecken hat, so hat ein Tag hundert Taschen.
Das Urteil des Abends. – Wer über sein Tages- und Lebenswerk nachdenkt, wenn er am Ende und müde ist, kommt gewöhnlich zu einer melancholischen Betrachtung: Das liegt aber nicht am Tage und am Leben, sondern an der Müdigkeit. – Mitten im Schaffen nehmen wir uns gewöhnlich keine Zeit zu Urteilen über das Leben und das Dasein, und mitten im Genießen auch nicht: Kommt es aber einmal doch dazu, so geben wir dem nicht mehr Recht, welcher auf den siebenten Tag und die Ruhe wartete, um alles, was da ist, sehr schön zu finden, – er hatte den besseren Augenblick verpasst.
Sich in lauter Lagen begeben, wo man keine Scheintugenden haben darf, wo man vielmehr, wie der Seiltänzer auf seinem Seile, entweder stürzt oder steht – oder davonkommt …
Neid und Eifersucht. – Neid und Eifersucht sind die Schamteile der menschlichen Seele. Die Vergleichung kann vielleicht fortgesetzt werden.
Mittel der Vertierung. – Im Kampf mit der Dummheit werden die billigsten und sanftesten Menschen zuletzt brutal. Sie sind damit vielleicht auf dem rechten Wege der Verteidigung; denn an die dumme Stirn gehört, als Argument, von Rechtswegen die geballte Faust. Aber weil, wie gesagt, ihr Charakter sanft und billig ist, so leiden sie durch diese Mittel der Notwehr mehr als sie Leid zufügen.
Die unbekannte Welt des »Subjekts«. – Das, was den Menschen so schwer zu begreifen fällt, ist ihre Unwissenheit über sich selber, von den ältesten Zeiten bis jetzt! Nicht nur in Bezug auf gut und böse, sondern in Bezug auf viel Wesentlicheres! Noch immer lebt der uralte Wahn, dass man wisse, ganz genau wisse, wie das menschliche Handeln zu Stande komme, in jedem Falle. Nicht nur »Gott, der in‘s Herz sieht«., nicht nur der Täter, der seine Tat überlegt, – nein, auch jeder andere zweifelt nicht, das Wesentliche im Vorgange der Handlung jedes andern zu verstehen. »Ich weiß, was ich will, was ich getan habe, ich bin frei und verantwortlich dafür, ich mache den andern verantwortlich, ich kann alle sittlichen Möglichkeiten und alle inneren Bewegungen, die es vor einer Handlung gibt, beim Namen nennen; ihr mögt handeln, wie ihr wollt, – ich verstehe darin mich und euch Alle!« – so dachte ehemals jeder, so denkt fast noch jeder.
Auch der Mutigste von uns hat nur selten den Mut zu dem, was er eigentlich weiß …
Aus der Kriegsschule des Lebens. – Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.
Hilf dir selber: dann hilft dir noch Jedermann. Prinzip der Nächstenliebe.
Warum das »Ich« verdoppeln! – Unsere eigenen Erlebnisse mit dem Auge ansehen, mit dem wir sie anzusehen pflegen, wenn es die Erlebnisse anderer sind, – dies beruhigt sehr und ist eine ratsame Medizin.
Kann ein Esel tragisch sein? – Dass man unter einer Last zu Grunde geht, die man weder tragen, noch abwerfen kann? … Der Fall des Philosophen.
Hat man sein »warum?« des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem »wie?« – Der Mensch strebt nicht nach Glück; nur der Engländer tut das.
Die freie Natur. – Wir sind so gern in der freien Natur, weil diese keine Meinung über uns hat.
Vom Wetter. – Ein sehr ungewöhnliches und unberechenbares Wetter macht die Menschen auch gegen einander misstrauisch; sie werden dabei neuerungssüchtig, denn sie müssen von ihren Gewohnheiten abgehen. Deshalb lieben die Despoten alle Länderstriche, wo das Wetter moralisch ist.
Der Wille, einen Affekt zu überwinden, ist zuletzt doch nur der Wille eines anderen oder mehrerer anderer Affekte.
Charaktervoll. – Charaktervoll erscheint ein Mensch weit häufiger, weil er immer seinem Temperamente, als weil er immer seinen Prinzipien folgt.
Seine Umstände kennen. – Unsere Kräfte können wir abschätzen, aber nicht unsere Kraft. Die Umstände verbergen und zeigen uns dieselbe nicht nur, – nein! Sie vergrößern und verkleinern sie. Man soll sich für eine variable Größe halten, deren Leistungsfähigkeit unter Umständen der Begünstigung vielleicht der allerhöchsten gleichkommen kann: Man soll also über die Umstände nachdenken und keinen Fleiß in deren Beobachtung scheuen.
Was? Du suchst? Du möchtest dich verzehnfachen, verhundertfachen? Du suchst Anhänger? – Suche Nullen! –
Posthume Menschen – ich zum Beispiel – werden schlechter verstanden als zeitgemäße, aber besser gehört. Strenger: wir werden nie verstanden – und daher unsre Autorität …
Der Weise als Astronom. – So lange du noch die Sterne fühlst als ein »Über-dir«, fehlt dir noch der Blick des Erkennenden.
Der starke, gute Charakter. – Die Gebundenheit der Ansichten, durch Gewöhnung zum Instinkt geworden, führt zu dem, was man Charakterstärke nennt. Wenn jemand aus wenigen, aber immer aus den gleichen Motiven handelt, so erlangen seine Handlungen eine große Energie; stehen diese Handlungen im Einklange mit den Grundsätzen der gebundenen Geister, so werden sie anerkannt und erzeugen nebenbei in dem, der sie tut, die Empfindung des guten Gewissens. Wenige Motive, energisches Handeln und gutes Gewissen machen das aus, was man Charakterstärke nennt. Dem Charakterstarken fehlt die Kenntnis der vielen Möglichkeiten und Richtungen des Handelns; sein Intellekt ist unfrei, gebunden, weil er ihm in einem gegebenen Falle vielleicht nur zwei Möglichkeiten zeigt; zwischen diesen muss er jetzt gemäß seiner ganzen Natur mit Notwendigkeit wählen, und er tut dies leicht und schnell, weil er nicht zwischen fünfzig Möglichkeiten zu wählen hat.
Wenn der Entschluss einmal gefasst ist, das Ohr auch für den besten Gegengrund zu schließen: Zeichen des starken Charakters. Also ein gelegentlicher Wille zur Dummheit.
Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen.
Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter.
Miterklingen. – Alle stärkeren Stimmungen bringen ein Miterklingen verwandter Empfindungen und Stimmungen mit sich; sie wühlen gleichsam das Gedächtnis auf. Es erinnert sich bei ihnen etwas in uns und wird СКАЧАТЬ