Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke
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Название: Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke

Автор: Rainer Maria Rilke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027211470

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СКАЧАТЬ hülflos leeren Händen fort?

       Legt man nicht leise sein verwelktes Wort

       in alte Bücher, die man selten liest?

       Fließt man nicht wie von einer Wasserscheide

       von seinem Herzen ab zu Lust und Leide?

       Ist uns der Vater denn nicht das, was war;

       vergangne Jahre, welche fremd gedacht,

       veraltete Gebärde, tote Tracht,

       verblühte Hände und verblichnes Haar?

       Und war er selbst für seine Zeit ein Held,

       er ist das Blatt, das, wenn wir wachsen, fällt.

      Und seine Sorgfalt ist uns wie ein Alb,

       und seine Stimme ist uns wie ein Stein, wir

       möchten seiner Rede hörig sein,

       aber wir hören seine Worte halb.

       Das große Drama zwischen ihm und uns

       lärmt viel zu laut, einander zu verstehn,

       wir sehen nur die Formen seines Munds,

       aus denen Silben fallen, die vergehn.

       So sind wir noch viel ferner ihm als fern,

       wenn auch die Liebe uns noch weit verwebt,

       erst wenn er sterben muß auf diesem Stern,

       sehn wir, daß er auf diesem Stern gelebt.

      Das ist der Vater uns. Und ich – ich soll

       dich Vater nennen?

       Das hieße tausendmal mich von dir trennen.

       Du bist mein Sohn. Ich werde dich erkennen,

       wie man sein einzigliebes Kind erkennt, auch dann,

       wenn es ein Mann geworden ist, ein alter Mann.

      Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,

       wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,

       und ohne Füße kann ich zu dir gehn,

       und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.

       Brich mir die Arme ab, ich fasse dich

       mit meinem Herzen wie mit einer Hand,

       halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,

       und wirfst du in mein Hirn den Brand,

       so werd ich dich auf meinem Blute tragen.

      Und meine Seele ist ein Weib vor dir.

       Und ist wie der Naëmi Schnur, wie Ruth.

       Sie geht bei Tag um deiner Garben Hauf

       wie eine Magd, die tiefe Dienste tut.

       Aber am Abend steigt sie in die Flut

       und badet sich und kleidet sich sehr gut

       und kommt zu dir, wenn alles um dich ruht,

       und kommt und deckt zu deinen Füßen auf.

      Und fragst du sie um Mitternacht, sie sagt

       mit tiefer Einfalt: Ich bin Ruth, die Magd.

       Spann deine Flügel über deine Magd.

       Du bist der Erbe …

      Und meine Seele schläft dann bis es tagt

       bei deinen Füßen, warm von deinem Blut.

       Und ist ein Weib vor dir. Und ist wie Ruth.

      Du bist der Erbe.

       Söhne sind die Erben,

       denn Väter sterben.

       Söhne stehn und blühn.

       Du bist der Erbe:

      Und du erbst das Grün

       vergangner Gärten und das stille Blau

       zerfallner Himmel.

       Tau aus tausend Tagen,

       die vielen Sommer, die die Sonnen sagen,

       und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen

       wie viele Briefe einer jungen Frau.

       Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder

       in der Erinnerung von Dichtern liegen,

       und alle Winter, wie verwaiste Länder,

       scheinen sich leise an dich anzuschmiegen.

       Du erbst Venedig und Kasan und Rom,

       Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom,

       die Troïtzka Lawra und das Monastir,

       das unter Kiews Gärten ein Gewirr

       von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, –

       Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, –

       und Klang wird dein sein: Geigen, Hörner, Zungen,

       und jedes Lied, das tief genug erklungen,

       wird an dir glänzen wie ein Edelstein.

      Für dich nur schließen sich die Dichter ein

       und sammeln Bilder, rauschende und reiche,

       und gehn hinaus und reifen durch Vergleiche

       und sind ihr ganzes Leben so allein …

       Und Maler malen ihre Bilder nur,

       damit du unvergänglich die Natur,

       die du vergänglich schufst, zurückempfängst:

       alles wird ewig. Sieh, das Weib ist längst

       in der Madonna Lisa reif wie Wein;

       es müßte nie ein Weib mehr sein,

       denn Neues bringt kein neues Weib hinzu.

       Die, welche bilden, sind wie du.

       Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein,

       sei ewig. Und das heißt: sei dein!

      Und auch, die lieben, sammeln für dich ein:

       Sie sind die Dichter СКАЧАТЬ