Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Else räumte die Teller ab und flüsterte dabei meiner Frau irgendeine Küchenfrage zu, durch die Magda veranlasst wurde, aufzustehen und mit Else in die Küche zu gehen, wohl um irgendetwas abzuschmecken oder zu tranchieren. Ich blieb allein im Speisezimmer, auf den Fleischgang wartend. Ich dachte an nichts Besonderes, ich war von einer heiteren Zufriedenheit erfüllt, das Leben gefiel mir. Keine Ahnung hatte ich von dem, was ich nun sofort tun würde.
Plötzlich – mir selbst überraschend – stand ich auf, schlich eilig auf den Zehenspitzen zur Anrichte, öffnete die untere Tür, und richtig – da stand noch die Rotweinflasche, die wir an jenem verhängnisvollen Novemberabend, als unsere Streitereien begannen, angetrunken hatten! Ich hob sie gegen das Licht: Sie war, wie ich es nicht anders erwartet hatte, noch halb gefüllt. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, jeden Augenblick konnte Magda zurückkommen. Mit den Nägeln zog ich den ziemlich weit in den Hals getriebenen Korken heraus, setzte die Flasche an den Mund und trank, trank aus der Flasche wie ein alter Säufer! (Aber was sollte ich tun? Für die Benutzung eines Glases war keine Zeit, ganz abgesehen davon, dass ein benutztes Glas eine verräterische Spur gewesen wäre.) Ich nahm drei, vier sehr kräftige Schlucke, hielt die Flasche wieder gegen das Licht und sah, dass in ihr nur ein schäbiger Rest war. Ich trank auch ihn aus, verkorkte die Flasche wieder, schloss die Anrichtentür ab und schlich an meinen Platz zurück.
In mir wogte es, mein Magen, gereizt durch die plötzliche starke Alkoholzufuhr, machte einige krampfhafte Bewegungen, vor meinen Augen lag eine Art feuriger Nebel, und Stirn und Hände waren schweißnass. Ich hatte gewaltig zu tun, bis zur Rückkehr Magdas einigermaßen wieder meiner Herr zu werden. Dann saß ich mit einem Gefühl angenehmer Hingegebenheit an meinen Rausch zu Tisch, und nur die Notwendigkeit, wenigstens pro forma etwas zu essen, machte mir Schwierigkeiten. Mein Magen schien ein sehr zerbrechliches Ding, dabei jederzeit bereit, sich zu empören; jeden einzelnen Bissen musste ich ihm mit äußerster Vorsicht zuführen und bedauerte dabei, durch diese aus äußeren Rücksichten gebotene Nahrungszufuhr den still wirken wollenden Rausch zu stören.
Daran, dass es vielleicht gut wäre, ein paar Worte mit Magda zu wechseln, dachte ich überhaupt nicht. Dafür beschäftigte mich ein anderes Problem, das mir plötzlich schwere Sorgen bereitete. Wohl stand die Rotweinflasche wieder verkorkt in der Anrichte, aber bei der Genauigkeit, mit der Magda ihren Haushalt führte, musste sie binnen Kurzem ihre Leere merken. Unmöglich konnte ich das zulassen, ich musste rechtzeitig dagegen Vorkehrungen treffen. Aber wie unglaublich schwierig das war!
Die beste Lösung würde sein, gleich heute Nachmittag eine andere Flasche Rotwein zu kaufen, etwa die Hälfte fortzuschütten und sie an die Stelle der ausgetrunkenen zu stellen. Aber wann sollte ich das tun, wie kam ich an das Büfett, da ich doch den Nachmittag über im Geschäft sein musste, und da Magda und ich den Abend stets gemeinsam verbrachten, sie mit einer Handarbeit, ich mit meinen Zeitungen beschäftigt – wann? Und wo blieb ich mit der leeren Flasche? Würde ich denn überhaupt einen Wein gleicher Marke zu kaufen bekommen? Erinnerte sich Magda der Sorte, der Art des Etiketts? Am besten würde es sein, etwa um Mitternacht heimlich aufzustehen, das Etikett der alten Flasche vorsichtig abzulösen und auf die volle aufzukleben! Aber wenn mich Magda dabei überraschte! Und hatten wir überhaupt Leim im Hause? Ich würde in meiner Aktentasche welchen aus dem Büro einschmuggeln müssen!
Je länger ich darüber nachdachte, um so komplizierter wurde die ganze Angelegenheit, eigentlich war sie schon ganz unlösbar. Es war eine sehr einfache Sache gewesen, die Flasche leer zu trinken, aber ich hätte vorher daran denken sollen, wie schwierig es sein würde, den Zustand wie vorher herzustellen. Wenn ich die Flasche einfach zerbräche und vorgäbe, ich hätte sie beim Suchen nach irgendwas umgestoßen? Aber es war kein Wein mehr in ihr, der hätte ausfließen können! Oder konnte ich es wagen, sie einfach halb mit Wasser zu füllen, und die eigentliche Nachfüllung auf einen späteren Tag verschieben?
Es ging immer wirrer in meinem Kopf zu, nicht nur das Essen, auch Magda hatte ich ganz und gar über meinen Gedanken vergessen. So schrak ich völlig zusammen, als sie mich mit echter Besorgnis in der Stimme fragte: »Was ist mit dir, Erwin? Bist du krank? Hast du Fieber – du siehst so rot aus?«
Ich griff gierig nach diesem Rettungsanker und sagte ruhig: »Ja, ich glaube wirklich, ich bin nicht ganz in Ordnung. Ich glaube, ich lege mich am besten einen Augenblick hin. Ich habe – ich habe solchen Blutandrang im Kopf …«
»Ja, Erwin, das tu. Lege dich gleich ins Bett. Soll ich Dr. Mansfeld anrufen?«
»Ach, Unsinn!«, rief ich ärgerlich. »Ich will mich nur eine Viertelstunde auf das Sofa legen, ich werde gleich wieder in Ordnung sein. Ich muss dann auch sofort ins Geschäft.«
Sie geleitete mich wie einen Schwerkranken zum Sofa, half mir, mich hinzulegen, und legte eine Decke über mich. »Hast du Ärger im Geschäft gehabt?«, fragte sie ängstlich. »Sage mir doch, was dich bedrückt, Erwin. Du bist ganz verändert!«
»Nichts, nichts«, sagte ich, plötzlich ärgerlich. »Ich weiß nicht, was du willst. Ein bisschen Schwindel oder Blutandrang – und gleich soll etwas mit dem Geschäft sein! Prima geht es mit dem Geschäft, einfach prima!«
Sie seufzte leise. »Also dann schlaf gut, Erwin!«, sagte sie. »Soll ich dich wecken?«
»Nein, nein, nicht nötig. Ich wache von selbst auf – in einer Viertelstunde oder so …«
Damit war ich endlich allein; ich legte den Kopf zurück, und der Alkohol floss nun in ungehemmter freier Welle ganz durch mich hindurch, mit einer samtenen Schwinge bedeckte er alle meine Sorgen und Kümmernisse, selbst den kleinen, ganz frischen Ärger, dass ich Magda so unnötig einen »prima« Gang der Geschäfte vorgelogen hatte, schwemmte er fort. Ich schlief … Ich schlief? Nein, ich war ausgelöscht. СКАЧАТЬ