Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ Teig ge­ba­cken wie un­ser­eins – Büh­nen­blut.«

      Das war’s. Alle stimm­ten dem bei, bis auf den Se­kre­tär, der nach­denk­lich sei­nen gol­de­nen Bart zupf­te. Man trenn­te sich: »Auf Wie­der­se­hen! – Bon­jour! – Habe die Ehre!« Ein je­der woll­te heim; die Sup­pe war­te­te, und ein je­der war froh, Ro­sas Lie­bes­ge­schich­te als hüb­sche Über­ra­schung nach Hau­se brin­gen zu kön­nen. Ja, die­ser Lie­bes­ge­schich­te ge­hör­te der Tag. Sie wur­de nicht nur bei den Mit­tags­ti­schen der gu­ten Ge­sell­schaft mit je­dem neu­en Gang im­mer wie­der neu auf­ge­tra­gen, sie war auch die Gra­tis­zu­ga­be für jede Fla­sche Soda, für je­des Pil­len­schäch­tel­chen, das in der Apo­the­ke ver­ab­reicht ward, für je­des Band, das Herr Pal­tow ver­kauf­te. Na­tür­lich, so et­was war seit Men­schen­ge­den­ken nicht pas­siert! Wenn man sich am hel­len lich­ten Tage hin­ter die Türe ei­ner Tröd­ler­bu­de stellt und sich küsst, wenn man gu­ter Sit­te und alt­her­ge­brach­ter Moral acht­los in das Ge­sicht schlägt, dann kann man nicht er­war­ten, dass die Leu­te ru­hig zu­se­hen und schwei­gen. Man küsst sich in ho­hen Bür­ger­krei­sen bei der Ver­lo­bung und gleich nach der Ver­hei­ra­tung, das muss je­des gu­ter­zo­ge­ne Bür­ger­mäd­chen wis­sen. Wenn aber zwei Kin­der aus gu­ten Häu­sern es un­ter­neh­men, im An­ge­sicht der Fir­ma La­nin einen aben­teu­er­li­chen Ro­man ab­zu­spie­len, dann müs­sen sie sich auch dar­auf ge­fasst ma­chen, dass die Bür­ger­schaft, um die Wür­de des Stan­des zu wah­ren, ernst­lich da­ge­gen Pro­test ein­legt. Den­noch war all die­ses Rosa durch­aus nicht klar. Dass Sal­ly sie be­lauscht hat­te, war lä­cher­lich und wi­der­wär­tig, ge­wiss! Und den­noch war et­was dar­an, das Rosa nicht miss­fiel. Sal­ly, die im­mer so groß­tat, die alle Welt glau­ben ma­chen woll­te, Am­bro­si­us sei in sie ver­liebt – nun hat­te sie eine Nie­der­la­ge er­lit­ten, die ihr wohl zu gön­nen war. Jetzt soll­te Sal­ly ein­mal Rosa be­nei­den, wäh­rend Rosa bis­her im­mer Sal­ly be­nei­det hat­te um Klei­der, Bän­der, Ta­schen­geld, Bon­bons. Wie pro­sa­isch und arm muss­te Sal­ly sich selbst jetzt er­schei­nen. Ihr ent­ge­gen­tre­ten, da­vor scheu­te Rosa noch zu­rück und hat­te sich bei Fräu­lein Schank krank­mel­den las­sen.

      Nach­dem sie den Mor­gen über in ih­rem Zim­mer auf dem Sofa ge­le­gen hat­te, um nach­zu­den­ken, ent­schloss sie sich, um zwölf Uhr aus­zu­ge­hen. Die Zeit des großen Son­nen­scheins war ja ihre Stun­de. Das Lan­in­sche Haus, Wulfs La­den ver­mei­dend, ging sie über den Markt­platz und irr­te in ent­le­ge­nen klei­nen Gas­sen um­her, die heiß und leer zwi­schen nied­ri­gen Holz­häu­sern und Ge­mü­se­gär­ten la­gen. Oft blieb Rosa ste­hen, lehn­te sich an einen Gar­ten­zaun und schau­te die Rei­he der Salat­bee­te ent­lang. Eine Wol­ke wei­ßer Schmet­ter­lin­ge wog­te über den krau­sen Blät­tern. In den Nes­seln am Zaun reg­ten sich zahl­lo­se Hum­meln und sand­ten ihr ei­gen­sin­ni­ges Brum­men zu Rosa em­por. Selt­sam! Die­ses Gärt­chen mit sei­nem gel­ben Son­nen­schein ver­stimm­te Rosa, raub­te ihr das er­war­tungs­vol­le Fest­tags­ge­fühl, dem sie heu­te mor­gen noch nach­ge­träumt hat­te. Am­bro­si­us’ Lie­be war als et­was Neu­es und Hüb­sches in ihr Le­ben hin­ein­ge­kom­men; et­was, das blank wie sein Hut, süß wie der Duft sei­ner Haar­po­ma­de war. Was aber mehr war, die­se Lie­be er­schi­en Rosa wie der An­fang ei­nes bes­se­ren, glück­li­che­ren Le­bens, und da­her die­ses an­ge­neh­me Ge­fühl, wie wir es am Vora­bend ei­nes Fes­tes ha­ben.

      Ob sie heu­te oder mor­gen ei­ni­ge Wi­der­wär­tig­kei­ten zu er­tra­gen hat­te, was lag dar­an, das große Er­eig­nis wür­de auch die be­sei­ti­gen. Nun aber, vor der All­täg­lich­keit des kar­gen Gärt­chens, vor dem gäh­nen­den Frie­den der grau­en Häu­ser, im re­gel­mä­ßi­gen Sum­sen der Mit­tags­stun­de, be­gann sie zu zwei­feln. Wird La­nin der Schank nicht al­les er­zäh­len? Wird es nicht De­mü­ti­gun­gen und Wi­der­wär­tig­kei­ten ge­ben? Und der Va­ter? Was wird er sa­gen? Wird er nicht trau­rig und er­ge­ben die grau­en Haar­bü­schel über den Au­gen em­por­zie­hen, was Rosa im­mer är­ger­te und be­trüb­te? Mor­gen oder über­mor­gen muss­te sie doch wie­der in den ab­ge­stan­de­nen Tin­ten­ge­ruch der Schul­stu­be hin­ein, und nichts – nichts hat­te sich ge­än­dert! Furcht vor Stra­fe und Schel­te stieg in Rosa auf, je­nes lose, un­ge­ord­ne­te und un­si­che­re Ge­fühl klei­ner Mäd­chen, die et­was Un­rech­tes zu ver­ber­gen ha­ben. Wo war denn Am­bro­si­us? Wa­rum schütz­te und trös­te­te er sie nicht? Wa­rum nahm er sie nicht und führ­te sie weit fort? Rosa be­gann zu wei­nen, von der Son­ne an­ge­glüh­te Trä­nen, die ihr auf der Wan­ge brann­ten. Sie sehn­te sich nach Am­bro­si­us. Wäre er nur da mit sei­nen sonn­täg­li­chen Klei­dern, sei­nem hüb­schen, leicht­sin­ni­gen Ge­sicht, sei­nen schö­nen Re­dens­ar­ten, in de­nen im­mer das Wort »Lie­be« vor­kam! »Ja! Lie­be – Lie­be – Lie­be«, sprach Rosa ei­gen­sin­nig vor sich hin und schlug mit der Faust auf die Bret­ter des Zau­nes. Lie­be woll­te sie – sie lieb­te Am­bro­si­us – Am­bro­si­us lieb­te sie – soll­te sie hei­ra­ten, reich und vor­nehm ma­chen – Hoch­zeit und Rei­sen, und gleich jetzt muss­te es ge­sche­hen, ehe die Schank und Sal­ly und La­nin über sie her­fie­len. Ei­lig trat Rosa den Rück­weg an. Wenn sie sich un­be­merkt glaub­te, lief sie – das Ge­sicht glü­hend, Schweiß­trop­fen auf der Stirn und die Au­gen­win­kel noch feucht von Trä­nen.

      Zu Hau­se fand Rosa einen Brief vor.

      »Lieb­chen! Ich lei­de furcht­bar. Wo kann ich Dich spre­chen? Der Pe­ter holt die Ant­wort. Un­se­rem Ver­hält­nis droht Ge­fahr. Schrei­be mir so­gleich. Mit schwe­rem, aber Dir ewig treu­em Her­zen A. v. T. 28. Au­gust.« –

      »Lie­ber Amby!« ant­wor­te­te Rosa. »Kom­me heu­te um acht Uhr zum Fluss hin­ab. Hin­ter der Hüt­te des al­ten Rau­te er­war­te ich Dich. Ich habe auch große Sehn­sucht, Dich zu se­hen. Lebe wohl. Ei­nen Kuss von dei­ner R. 28. Au­gust.«

      Vierzehntes Kapitel

      Die Hüt­te des al­ten Rau­te lag hart am Fluss, halb in die stei­len Sand­mas­sen des Ufers hin­ein­ge­baut. Sie be­stand aus grau­en, moos­be­wach­se­nen Bret­tern, be­saß nur ein ganz klei­nes Fens­ter und eine mor­sche Türe, die an ei­ner An­gel hing. Auf ei­ni­gen Hand­voll Gar­ten­er­de ne­ben der Hüt­te ge­die­hen Lev­ko­jen, Ge­or­gi­nen und wohl­rie­chen­de Erb­sen. Oben, auf dem Dach, un­ter dem Schutz der Sand­leh­ne, mach­te sich ein Ho­lun­der­strauch breit und klopf­te mit sei­nen blau-schwar­zen Frucht­trod­deln an das Fens­ter. Vor der Hüt­te, auf dem Fluss, lag das lan­ge Boot für die Über­fahrt, in dem der alte Rau­te einen je­den, der über das Was­ser woll­te, an ei­nem von ei­nem Ufer zum an­de­ren ge­spann­ten Seil hin­über­schob. Au­ßer dem Ge­wer­be des städ­ti­schen Fähr­manns be­saß Rau­te als Ein­nahms­quel­le noch zwei klei­ne Käh­ne, die er ver­mie­te­te, und all die­ses muss­te ihm ein be­hag­li­ches Le­ben dort un­ter sei­nem Ho­lun­der­strauch si­chern, denn er zeig­te ein zu­frie­de­nes braun­ro­tes Ge­sicht un­ter den kurz­ge­schnit­te­nen Haa­ren, und die grün­li­chen Au­gen hat­ten den kla­ren Blick der Leu­te, die ge­wohnt sind, auf wei­ter Flä­che in einen frei­en Ho­ri­zont hin­ab­zu­ge­hen. Er lehn­te am Tür­pfos­ten sei­ner Hüt­te und rauch­te. Vor ihm, auf ei­nem großen Stein, saß Rosa. Sie hat­te sich heu­te abend schön ge­macht und trug ih­ren neu­en Stroh­hut, einen run­den Kna­ben­hut mit schwar­zen Bän­dern. Die Füße in den aus­ge­schnit­te­nen СКАЧАТЬ