Название: Das große Jagen
Автор: Ludwig Ganghofer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066111465
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Ein Weib knirschte zwischen den Zähnen: »Ich bin ums Betläuten in der Kuch gesessen und hab Butter gerührt. Da braucht man zwei Händ dazu. Ein Musketier ist gekommen: ‚Weibsbild, warum hast du nit den Rosenkranz in der Hand?‘ Ich sag: ‚Weil ich bloß zwei Händ hab, nit drei.‘ Da hat er mich viermal ins Gesicht geschlagen. Der Unchrist!«
Mühsam erhob sich ein alter Mann: »Mich hat einer angezeigt, ich weiß nit wegen was. Man hat mich ins Loch geschmissen, daß ich nimmer Sonn und Mond gesehen hab. Am neunten Morgen haben sie mich auslassen. Und wie ich gefragt hab, was ich verbrochen hätt, da hat mich der Bußknecht aus dem Stiftshof hinausgestoßen und hat mir nachgebrüllt: Du Schafskopf, bist du neugieriger, als wir sind?«
Mit Tränen in der Stimme sagte eine Frau, die Wittib war: »Am Sonntag hat meine Kuh gekälbert. Drum hab ich die Predigt versäumen müssen. Das hat fünf Gulden gekostet. Sieben Kreuzer sind mir auf Brot für die Kinder geblieben.«
»Mein Nachbar,« sagte einer, »hat dem Pfleger verraten, ich hätt das evangelische Paradiesgärtl bei mir versteckt. Die Soldaten haben umgewühlt in meinem Haus wie die Säu. Einer hat gemeint, ich könnt das Buch unter dem Fußboden haben, und da hat der Schweinkerl in meiner sauberen Stub sein Wasser abgeschlagen, daß es hineingeronnen ist in die Bretterklumsen. Wär das heilige Büchl da versteckt gewesen, so hätt ich dreinschlagen müssen in meinem Zorn und wär ins Eisen gekommen.«
Eine gellende Mädchenstimme, die sich anhörte wie der Aufschrei einer Fieberkranken: »Sie haben in der Weihnächtswoch den Schaitbergischen Sendbrief in meinem Bett gefunden. Bis gestern bin ich im Bußloch gelegen.« Mit zuckenden Händen riß das Mädel am Hals den Latz des Mieders auseinander, daß man die blutunterlaufenen Male der Faustschläge sehen konnte. »Leut! Schauet mein junges Brüstl an! So haben die Soldaten Gottes mich zugerichtet.«
Unter der zornknirschenden Bewegung, die über die weißverhüllten Köpfe hinging, bedeckte der Fürsager mit dem heiligen Buch die mißhandelte Blöße des Mädchens. »Im hohen Lied des Königs Salomo steht: Wie schön sind deine Brüstlen, sie sind wie Elfenbein! – Tu nit schreien, liebe Schwester! Augen, die aufschauen zum Heiland, müssen sein wie Taubenaugen!« Er ging zurück zu seinem Schemel. »Wer muß noch klagen?«
Schrillend rief eine Stimme. »Wär's noch allweil nit genug? Gibt's keinen Helfer auf Erden? Hilft da der deutsche Kaiser nit?«
Ein hartes Mannslachen. »Die Salzburger haben Hilf gesucht beim Kaiser. Da hat er dem Bischof wider die Evangelischen sechstausend Soldaten als Helfer geschickt.«
Wieder jene gellende Mädchenstimme: »Du Kaiser im Untersberg! Steh auf! Laß deinen Bart nit länger wachsen! Ist lang genug! Steh auf und hilf! Es ist so weit, daß die deutsche Welt verzweifelt.«
»Schwester, tu nit die Ruh verlieren!« mahnte der Fürsager. »Uns helfen die Fürsten nit, uns hilft nit das alte Märlein von der guten Zeit, die im Untersberg versunken ist. Uns hilft nur Einer. Der hat mir ein gutes Sprüchl eingegeben:
Ich trau auf Jesu Huld,
So wird sich's finden.
Stillhalten und Geduld
Kann alls verwinden.«
Da konnte Leupolt nicht länger schweigen. »Fürsager, du redest, wie's den Müden um die Seel ist. Wir Jungen spüren es anders. Geduld ist ein heiligs Wörtl. Aber Stillhalten ist ein unmännliches Ding. Mit Stillhalten findet kein Menschenfuß zu gutem Weg, mit Stillhalten geht der beste Wagen nit fürwärts, mit Stillhalten bringen wir die unsichtbare Kirch der Freiheit nit entgegen. Es muß einmal ein End haben mit dem Ducken und Schweigen, das dem Glauben an Gottes Wahrheit zuwider ist.« Viele Stimmen, mit Beifall oder Abwehr, fuhren ihm in die Rede. Er reckte sich im weißen Schneekleid, und immer wärmer klangen seine Worte: »Leut! Mit unserem mutigen Glauben ist die mutlose Furcht gemenget, wie im Müllersieb das Mehl mit den Kleien. Muß nit bald der Schüttler kommen, daß die Kleien im Sieb bleiben und das Mehl in den Kasten fallt? Hat nit jeder von uns Unsichtbaren schon gespürt in seiner Seel, daß er Unrecht tut? Den Rosenkranz um die Hand wickeln, die Faust in den Weihbrunnkessel tunken, unredlich im Beichtstuhl reden, sich begnügen mit Christi Leib und sein heilig Blut entbehren, niederfallen vor einem hölzernen Bildstöckl, das uns nit heilig ist – alles, was wir tun, um die Seel vor Musketier und Kaplan zu verstecken – ist das ehrlich und evangelisch, Leut? Ich mag da nimmer mittun. Ich bin dafür, daß sich die Unsichtbaren sichtbar machen. Die Wahrheit ist ein grüner Stecken, an dem ein jeder sich aufrichten kann. Und in der letzten Neumondnacht hat uns der Fürsager auf dem Toten Mann das Heilandswort gelesen: Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.«
Tiefe Erregung erfaßte die Herzen der anderen. Unter lärmendem Wortgewirre drängten alle Weißverhüllten gegen den einen hin, der so geredet hatte.
»Es ist nit so, daß ich euch was einreden möcht,« sprach Leupolt weiter, »ich sag halt, was ich mir denk. Ich kann's nimmer mitmachen. Jetzt geht es ins vierte Jahr, daß die Unsichtbaren leiden unter der Seelenprob, die der römische Bischof Benedikt erfunden hat. Grüßen muß man: Gelobt sei Jesus Christus und die heilige Mutter Marie! Und sagen muß man drauf: Von nun an bis in Ewigkeit Amen.«
Einer lachte zornig: »Jesus Christus, die Heilandsmutter und das ewige Leben? Sind das nit heilige Wörtlen? Warum soll man söllene Wörtlen nit sagen können?«
»Weil der römische Bischof einen Sündenablaß auf seinen Scheidwassergruß gesetzt hat: daß jeder, der so grüßt, um 30 Wochen früher aus dem Fegfeuer käm! Das geht wider unseren Glauben. Ein Fegfeuer gibt's nit. Jeder von uns, der so grüßt, befleckt seine redliche Seel mit einer gottswidrigen Lug. Und es ist nit das allein. Der Gruß ist ein Grausen worden für jeden Rechtschaffenen. Das ist ein Gruß, der Tag für Tag geschändt und verschumpfen wird. Kommt ein Kartenbruder ins Leuthaus: Gelobt sei Jesus Christus! Jeder Besoffene hebt seinen Krug mit dem Wörtl: Gelobt sei Jesus Christus! Packt ein Schmierfink ein Mädel bei der Kittelfalten, so tut er's mit Gelobt sei Jesus Christus!«
Jene gellende Mädchenstimme: »Jedes Blutmal auf meinem Brüstl ist ein Gelobt sei Jesuchrist gewesen!«
In dem schweratmenden Schweigen, das diesem Zornschrei eines gemarterten Lebens folgte, sprach der Jäger mit ernster Ruhe: »Schon seit dem Sommer hat das Gewissen in mir geredet. Ich kann nimmer lügen. Es geht mir gegen den Herzfrieden. Soll's kommen, wie's mag. Glück oder Elend, von heut an will ich den Gruß nimmer sagen, und grüßt mich einer, so geb ich die Antwort nit.« Leupolt legte die rechte Hand auf das heilige Buch. »Ich tu's geloben.«
Viele weiße Arme streckten sich nach ihm. Ein Verhüllter schrie dazwischen: »Nit, nit, ums Himmels willen, ihr Leut! So haben's vor dritthalb Jahr die Salzburger angehoben. Dreißigtausend hat der Bischof aus seinem Ländl hinausgeschmissen. Das beste Höfl, das drei, vier Tausend wert ist, hat man aufgeschrieben mit fünf, sechs Hundert, eine milchende Kuh mit vierthalb Gulden, ein jähriges Kalb mit 40 Kreuzer. So hat man die evangelischen Wanderleut betrogen um Gut und Blut, hat zwischen Mann und Weib eine Mauer geschoben, hat dem Vater oder der Mutter die Kinder von der Seel gerissen!« Mit beiden Fäusten packte der Aufgeregte seine Brust. »Mein gutes Weibl ist römisch blieben, man tät mir die Kinder nehmen. Die laß ich nit. Mein Haus und Acker ist mir als wie mein Herzfleck. Müßt ich hinunter zum luthrischen Sand und tät keinen Berg mehr sehen, ich wüßt nimmer, wie ich noch schnaufen könnt. Es geht nit, Leut! Fürsichtig bleiben ist besser.«
Leupolt legte ihm die Hand auf die Schulter. »Meinst du, das wär schlechter: sich aufrecken zur Redlichkeit?«
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