Orbáns Ungarn. Paul Lendvai
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       DER JUNGE KOMET

      Der überraschende Sieg des Fidesz 1998 machte den Weg frei für einen Umbau des Staatsapparates durch die dominierende politische Kraft. In der zweiten Wahlrunde konnte der Fidesz durch die Unterstützung der anderen Rechtsparteien in den Wahlbezirken die Zahl seiner Mandate auf 148 versiebenfachen. Zusammen mit den wiedererstarkten Kleinlandwirten (48 Mandate) und dem geschrumpften MDF (19 Mandate) bildete Viktor Orbán eine rechtskonservative Koalitionsregierung mit einer starken absoluten Mehrheit. Auf die Unterstützung der 14 Abgeordneten der von dem während der Antall-Regierung aus dem MDF ausgeschlossenen rechtsradikalen Schriftsteller István Csurka gegründeten rechtsextremistischen und antisemitischen Partei MIÉP war er nicht angewiesen. Der Biograf des Regierungschefs, József Debreczeni, zitierte einen Ausspruch Orbáns, allerdings noch aus dem Jahr 1992: »Die Kleinlandwirte-Partei ist am weitesten entfernt vom Fidesz … Mit ihnen eine Koalition zu bilden, darf nicht einmal in unseren schlimmsten Träumen geschehen.« Ironisch fügte der enttäuschte Autor hinzu: »Träume werden manchmal wahr.« Wenn man aber die häufigen Richtungswechsel auch bei rechten sowie linken Parteien im Westen in Betracht zieht, bleibt die Schlussfolgerung unvermeidlich, dass es einen politischen Zynismus gibt, der Werte nur so lange respektiert, als sie nicht mit den eigenen Interessen zusammenstoßen.

       Der PR-Profi

      Der entschlossene und zügige Ausbau des Amtes des Ministerpräsidenten als durchsetzungsstarkes Zentrum der Willensbildung bei gleichzeitiger Schwächung der parlamentarischen Kontrollmechanismen kennzeichnete bereits die vier Jahre der ersten Orbán-Regierung. Im Einklang mit der aus den USA übernommenen PR-Rhetorik stand die Person des Regierungschefs im Mittelpunkt der Kommunikation. Mit vielen charakteristischen Einzelheiten beschreibt Biograf Debreczeni den von der Einmannführung dominierten Regierungsstil. Im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern legte zum Beispiel Orbán zwei Tage vor den Ministern den Amtseid als Ministerpräsident ab. Wann immer der 35-jährige Regierungschef den Konferenzsaal vor Beginn der Sitzung des Ministerrates betrat, erhoben sich alle (auch die wesentlich älteren) Minister zur Begrüßung. Es gab in der Regel keine Diskussionen über die vorher im kleinen Kreis um Orbán besprochenen und beschlossenen Vorlagen. Besonders kritisiert wurde die Tatsache, dass über die Sitzungen des Ministerrates weder ein Protokoll angefertigt noch ein Tonband aufgenommen wurde. Nur Zusammenfassungen wurden später verfasst. Diese Praxis war beispiellos, zumal sowohl während der Doppelmonarchie als auch in der Horthy-Ära und sogar während der kommunistischen Parteidiktaturen immer Protokolle über die Kabinettssitzungen aufggenommen worden waren.

      Schon damals löste der Beschluss der Regierung, die Tagesordnung des Parlaments zu ändern, weit verbreitete Kritik aus. Statt wöchentlicher Sitzungen während der ordentlichen oder außerordentlichen Parlamentssessionen wurden nun nur mehr alle drei Wochen Parlamentssitzungen einberufen, dadurch wurde auch das Recht der sofortigen Interpellation eingeschränkt. Beim Ausbau des direkt dem Regierungschef unterstellten Apparates spielte jener István Stumpf, der seinerzeit als Reformkommunist wesentlich zur Gründung des Bibó-Kollegiums und zur Gruppenbildung der Gründungsväter des Fidesz beigetragen hatte, als Staatsminister im Amt des Ministerpräsidenten die zentrale Rolle.

      Die Feierlichkeiten zum Gedenkjahr der Krönung von Stephan dem Heiligen, des ersten Königs von Ungarn, wurden als eine zwei Jahre dauernde, gesamtstaatliche nationale Kampagne inszeniert und die Stephans-Krone wurde nach einer landesweiten Tour aus dem Nationalmuseum ins Parlament überführt.

      Der junge, energisch auftretende, nationalbewusste Ministerpräsident fand im In- und Ausland ein positives Echo. In einem Fernsehinterview im März 2000 gab er zu, dass er vor und während öffentlicher Auftritte immer nervös sei, er betrachte diese als den schwierigsten Teil seiner Aufgaben. Dass er seine Interviews und Reden nachher stets analysiert, um Versprecher oder Fehler in der Zukunft zu vermeiden, hatte er schon am Anfang seiner politischen Karriere erzählt.

      Nach seiner schon erwähnten Rede im Wiener IWM-Institut habe ich ihn sechs Jahre später beim internationalen Europa-Forum in Stift Göttweig in Niederösterreich wieder persönlich erlebt. Ich moderierte seit dem Anfang vor rund 25 Jahren diese angesehene Veranstaltung, so auch am 6. Juni 1999, als an diesem Sonntag Viktor Orbán als ranghoher ausländischer Gast seine Rede über Ungarn und seine Europapolitik vor einem internationalen Publikum hielt. Beim Mittagessen gratulierte ich ihm, dass er sich im Gegensatz zu manchen prominenten Rednern zurückgehalten und nur rund 20 Minuten lang gesprochen hatte. Daraufhin erzählte er völlig unbekümmert, dass er den Text mehrmals vorgelesen und notfalls gekürzt hatte, um die von den Organisatoren vorgegebene Länge nicht zu überschreiten. Er war schon damals ein politischer Vollprofi – auch in dieser Hinsicht.

      Im Gegensatz zu den früheren (und älteren) Ministerpräsidenten nützten die Kommunikationsexperten der Regierung die Boulevardblätter und vor allem das Fernsehen zur Popularisierung des jungen Regierungschefs und seiner Familie. Dass Orbán jeden Sonntag in der Mannschaft seines Heimatdorfes Felcsút in der Meisterschaft spielte, wurde natürlich durch TV- und Zeitungsreportagen voll vermarktet, ebenso das Familienleben zu Weihnachten oder auf Sommerurlaub in Kroatien. Am 7. August 2001 spielte sich eine rein zufällige, aber zugleich höchst peinliche Episode in der traditionsreichen nordungarischen Kleinstadt Mezőkövesd ab: Eine alte Frau küsste die Hand des jungen Ministerpräsidenten. In einer Hand einen Blumenstrauß und ein Buch haltend, wollte Orbán mit der anderen die Hand der betagten Frau schütteln und konnte sich nicht wehren, als diese seine Hand plötzlich an sich riss und sie untertänigst küsste. Das Foto über die absurde Szene, bei der der Politiker überhaupt nichts zur Abwehr tun konnte, wurde freilich von der Opposition und von den Medien weidlich ausgenützt. Abgesehen von diesem Fall trugen die wöchentliche Rundfunksendung und der monatliche Fernsehauftritt Orbáns zur Mobilisierung der Anhänger und zur erfolgreichen Verbreitung der politischen Botschaften der Regierung bei.

       Orbáns offensive Politik

      Bereits in dieser ersten Regierungsperiode sorgte die offensive Regierungspolitik auch für die direkte oder indirekte Übernahme von Führungspositionen bei den öffentlich-rechtlichen Medien und die Gründung von neuen Tages- und Wochenzeitungen durch politisch regierungsnahe Persönlichkeiten. Das Ende der Amtszeit politischer Spitzenfunktionäre, etwa des Staatspräsidenten, des Obersten Staatsanwaltes und des Präsidenten der Nationalbank, bot die Chance, diese durch absolut gefolgstreue Persönlichkeiten zu ersetzen. Im Gegensatz zur Festigung der Machtpositionen des Fidesz und der Stärkung der persönlichen Autorität des Regierungschefs entstand in den Medien ein vernichtendes Bild der Regierungsmitglieder der Kleinlandwirte-Partei, des Koalitionspartners in der Orbán-Regierung, ebenso wie der korrupten Praktiken im Umfeld der 1998 abgelösten sozial-liberalen Regierung. Schließlich musste sich der Regierungschef von den wegen Bestechung öffentlich entlarvten Ministern der Koalitionspartei trennen.

      Die undurchsichtigen Transaktionen beim Verkauf der Fidesz-Zentrale 1992/1993 führten indirekt zum Rücktritt des engen Orbán-Freundes Lajos Simicska als Leiter der obersten Steuer- und Aufsichtsbehörde. Am Rande dieser zwielichtigen Affäre wurde 1999 übrigens bekannt, dass Győző Orbán, der Vater Viktor Orbáns, beim Erwerb eines Steinbruches durch manipulierte Kauf- und Verkaufstransaktionen einer von Simicska mitgegründeten Schattengesellschaft sechs Jahre zuvor faktisch mit einem Betrag in der Höhe von 3,55 Millionen Forint begünstigt worden war. Diese Tatsache hat der Ministerpräsident 2002 auf Fragen seines Biografen József Debreczeni ausdrücklich bestätigt.14 Schon damals fügte Debreczeni hinzu: »Im Westen hätte ein ähnlicher Skandal den Sturz15 des Regierungschefs ausgelöst. Er müsste demissionieren. Nicht in Ungarn … Hier muss man nicht zurücktreten …«

      Im Jahr 2001, wohl im Hinblick auf die 2002 fälligen Parlamentswahlen, erfolgte eine radikale Wende von der restriktiven zu einer expansiven Haushaltspolitik. СКАЧАТЬ