Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte. Marie von Ebner-Eschenbach
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Название: Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte

Автор: Marie von Ebner-Eschenbach

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066116248

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СКАЧАТЬ empfand er den Widerspruch, den er ihr ins Grab nachgerufen, als einen Frevel. Er trat zu ihr, beugte sich über sie, und, was nie geschehen war, so lange sie gelebt hatte, er küßte ihre Hand, küßte ihre Stirn und den für ewig verstummten Mund, den einzigen auf Erden, von dem er sich „mein Kind“ hatte nennen gehört.

       Inhaltsverzeichnis

      Joseph beteiligte sich als Freiwilliger an den Erntearbeiten, und eines Nachmittags sah ihn Rosenzweig, der gleichgültig, als ob die Sache ihn nichts anginge, vorbeischritt, hoch oben stehen auf einem beinahe völlig beladenen Leiterwagen. Behend und kräftig schichtete er die Garben, und dem Doktor fiel es auf, daß der Bursche in der drollig weiten Jacke, die seinem Wohltäter als Rock gedient hatte, und in den viel zu kurzen Hosen doch ein bildschönes Menschenkind sei. Groß, schlank und stark, weiß und rot im Gesicht, den wohlgeformten Kopf umwallt von leicht gelocktem blonden Haar, sein ganzes Wesen Freudigkeit atmend an der Arbeit, an der Mühe, nahm er sich auf seiner stolzen Höhe ganz merkwürdig gut aus.

      Unter den auf dem Felde beschäftigten Weibern und Mädchen befand sich auch die Tochter des Pächters, dem Rosenzweig die Gründe des Pan Theophil von Kamatzki anvertraut hatte. Ein hübsches, lebhaftes Ding, die echte Masurentochter. Rosenzweig bemerkte, daß die braunen, funkelnden Augen des Mädchens und die blauen des Burschen einander gar oft begegneten, und wenn sich dann die braunen verlegen senkten, wurden sie von den blauen hartnäckig verfolgt, so hartnäckig, so kühn, daß sie sich endlich wieder erheben mußten, mit oder ohne ihren Willen.

      Die Geringschätzung, die Rosenzweig für Joseph hegte, erhielt durch diesen kleinen Vorgang neue Nahrung. Ein Mensch, zu ewiger Dienstbarkeit verurteilt durch die elende Beschaffenheit seines Kopfes, befaßt sich damit, den eines Mädchens zu verdrehen? Und in welchem Alter? In dem eines Knaben, in den Jahren, in denen der Sohn des Doktors stände, wenn der Doktor zur rechten Zeit geheiratet hätte. Was er in heroischer Selbstverleugnung so lange zu erringen säumte, bis er die Hoffnung, es zu erringen, versäumte, das Glück der Liebe, danach haschte in gedankenlosem Leichtsinn ein von fremden Gnaden lebender, unreifer Habenichts!

      Am Abend berief ihn Rosenzweig auf sein Zimmer. Das war ein so kahles und ungemütliches Gelaß, daß jeden, der es betrat, fröstelte – sogar in den Hundstagen. Die Einrichtung bestand aus einigen an die Wände gereihten Sesseln, einem riesigen, mit weißer Ölfarbe angestrichenen Schreibtisch und einem gleichfalls weiß angestrichenen, langen und niederen Büchergestell, das, einer Gewölbbudel ähnlich, das Gemach in zwei Teile schied. In dem kleineren, zunächst den Fenstern, hielt sich der Doktor auf, in dem größeren, nächst der Tür, hatten die Patienten, die ihn besuchten, zu warten, bis er zu ihnen trat durch einen schmalen Raum, der zwischen der Wand und dem Büchergestell frei geblieben war. Auf dessen oberstem Brette lagen oder standen allerlei Dinge, mit deren gruselnder Betrachtung die Leute sich die Zeit des Wartens vertrieben. Sonderbare Instrumente, Messer und Zangen und fest verschlossene Gläser, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, in der der galizische Instinkt sofort Weingeist witterte. Nur war leider das gute Getränk verdorben durch höchst unappetitliche Gebilde, die darin schwammen.

      Über all diese Sachen hinweg rief Rosenzweig jetzt dem eintretenden Joseph zu:

      „Sag einmal, was hast du mit der kleinen Lubienka des Pächters?“

      Wie gewöhnlich, wenn sein Wohltäter ihn scharf anredete, wurde der Bursche feuerrot, fand auch nicht gleich eine Antwort. Erst nachdem Rosenzweig seine Frage wiederholt hatte, nahm Joseph sich zusammen und entgegnete halblaut, aber bestimmt:

      „Ich hab sie lieb.“

      „Und – sie?“

      „– Sie hat mich auch lieb.“

      Der Doktor lachte bitter und höhnisch:

      „Das bildest du dir ein?“

      „Das weiß ich, gnädiger Herr –“

      „Wohin soll dieses Liebhaben führen?“

      Nun meinte Joseph, der Doktor habe ihn zum besten, wolle ihn nur ein wenig aufziehen, und erwiderte ganz munter:

      „Zu einer Heirat, Herr.“

      „Einer Heirat! Du denkst ans Heiraten?“

      „Ja, Herr! und Lubienka denkt auch daran.“

      „Sie auch!... Was sagt denn ihr Vater dazu?“

      „Dem ist es recht, Panie Kochanku!“[4] rief Joseph mit einem Ausbruch überwallender Empfindung und machte Miene, auf dem jedem andern als dem Doktor verbotenen Weg in das Bereich seines Wohltäters zu stürzen ...

      Der aber erhob sich gebieterisch von seinem Stuhle und bannte den Jüngling mit einem strengen:

      „Bleib, wo du bist!“ an seinen Platz.

      In grausamen Worten hielt er ihm seine Armut und seine Aussichtslosigkeit vor. Ihn empörte der Gedanke, daß dieser Mensch vielleicht auf ihn gerechnet habe, respektive auf seinen Geldbeutel, und er faßte den Entschluß, dem interessierten Schlingel nach beendeter Erntearbeit die Tür zu weisen. Vorläufig wies er ihn aus dem Zimmer und legte sich mit dem Vorsatz zu Bett, den Pächter am folgenden Tage ernstlich zu ermahnen, der Löffelei zwischen seiner Tochter und Joseph ein Ende zu machen.

      Gerade an diesem Tage jedoch ereignete sich etwas, das ihn von jedem unwesentlichen und nebensächlichen Gegenstand ein für allemal abzog.

      Er wurde am frühen Morgen zu dem plötzlich erkrankten Sohn einer benachbarten Gutsfrau berufen, konnte die besorgte Mutter über den Zustand des Patienten beruhigen und wäre am liebsten sogleich wieder nach Hause gefahren. Das gestattete jedoch die landesübliche Gastfreundschaft nicht. Gern oder ungern hieß es an einem reichlichen Frühstück teilnehmen, das im Salon aufgetragen war. Dort hatte sich eine große Anzahl Schloßgäste versammelt, eine Gesellschaft, dem Doktor wohlbekannt und so widerwärtig, als ob sie aus lauter Kurpfuschern bestanden hätte. Anhänger und Anhängerinnen „König“ Adam Czartoryskis, Konspiranten gegen die bestehende gute Ordnung, Schwärmer für die Wiedereinführung der alten polnischen Wirtschaft. Die Frau des Hauses, noch jung, schön, enthusiastisch, seit dem Tode ihres Mannes unumschränkte Herrin der großen Güter, die sie ihm zugebracht hatte, war die Seele der ganzen Partei und ihre mächtige Stütze. Sie unterhielt eine lebhafte Korrespondenz mit der Nationalregierung in Paris, empfing und beherbergte deren Emissäre und verwendete jährlich große Summen für Revolutionszwecke.

      Dieses fanatische Treiben mißfiel dem Doktor und entstellte ihm das Bild der in jeder andern Hinsicht, als gute Mutter, als kluge Verwalterin ihres Vermögens und als humane Herrin ihrer Untertanen verehrungswürdigen Frau.

      Mit verdrießlicher Miene nahm er am Teetische Platz, aß und trank und sprach kein Wort, indes Herren und Damen eifrig politisierten. Ihm war, als sei er von Kindern umgeben, die, statt Soldaten zu spielen, zur Abwechselung einmal Verschwörer spielten.

      Da legte eine weiße Hand sich plötzlich auf die Lehne seines Sessels.

      „Warum so verstimmt, angesichts des schönsten Wunders, mein lieber Doktor?“ sprach Gräfin Aniela W. zu ihrem Lebensretter.

      Rosenzweig erhob und verneigte sich:

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