Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte. Marie von Ebner-Eschenbach
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte - Marie von Ebner-Eschenbach страница 3

Название: Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte

Автор: Marie von Ebner-Eschenbach

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066116248

isbn:

СКАЧАТЬ gleich einer ungeheuren, neugeprägten Silbermünze ... Wieviel Gold ließe sich erwerben um solche Münze? Die Keller des viereckigen Doktorhauses hätten nicht Raum, sie zu fassen, die köstlichen Barren, die verehrungswürdigen! Berger und Träger allbezwingender Kräfte, gebundene Zauber, aufgespeicherte Macht. Was läßt sich nicht tauschen um Gold? Unschätzbares erkauft man damit, das weiß der Mann, der denen, die ihn bezahlen, die Gesundheit wiedergibt.

      Der Doktor wurde in seinem Gedankengange plötzlich unterbrochen. Das Gefährt stand dicht am Straßengraben still, und der Kutscher rief:

      „Herr Doktor! Herr Doktor!“ ...

      „Was gibt es, mein Sohn?“

      „Herr Doktor, da liegen zwei Betrunkene.“

      „Steig ab und prügele sie ein wenig durch, damit sie nicht erfrieren.“

      Indes der Kutscher abstieg und die Zügel am Bocke verknotete, hatte Nathanael sich aufgerichtet und vorgebeugt und sah einer der auf dem Boden liegenden Gestalten mit gespannter Aufmerksamkeit in das vom Mondenlicht hell erleuchtete Gesicht. Kein Säufergesicht, wahrlich! sondern eines, das Zeugnis gab von ehrlichem Darben und Dulden bis an die Grenze der menschlichen Kraft.

      Der arme Teufel hatte, in dem Augenblick wenigstens, kein Bewußtsein seines Elends, er schien fest zu schlafen. Als aber der Kutscher ihn packte und emporzerrte, fiel er sofort, steif wie ein Eisblock, in den Schnee zurück. Jener sprach:

      „Der eine ist schon erfroren, Herr Doktor!“

      Rosenzweig sprang mit beiden Füßen aus dem Schlitten und überzeugte sich bald, daß die Behauptung des Dieners richtig sei. Grimm erfüllte ihn. Da war ihm einmal wieder der Tod zuvorgekommen, den er am meisten haßte, der nicht durch Krankheit bedingte, durch das Alter herbeigeführte, der Tod, dem der Zufall in die Hand gearbeitet hat, der Tod, der seine Beute umsonst gewinnt, dem sie dumm und töricht zuteil wird, ohne triftigen Grund.

      „Sehen mir nach dem andern,“ sagte der Doktor zwischen den Zähnen.

      Der andre schlief auch, aber weniger tief.

      Es war ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, dem Toten offenbar nahe verwandt, sein viel jüngerer Bruder oder sein Sohn.

      Mit dem Feuereifer des Berufs begann der Doktor Wiederbelebungsversuche anzustellen, und nach langen Mühen krönte sie ein schwacher Erfolg. Ein kaum spürbares Rieseln war durch des Knaben starre Pulse geglitten, und wenn es auch sofort wieder staute, dennoch erklärte der Doktor voll Siegesgewißheit:

      „Jetzt hab ich ihn!“

      Und er hüllte ihn in seinen Pelz, hob ihn in den Schlitten, brachte ihn heim und legte ihn in sein eigenes Bett, an dem er das Kind des Elends mit derselben Hingebung bewachte, die er der Herrin im Grafenschloß gewidmet hatte. Am Morgen war der Patient außer Lebensgefahr, und Rosenzweig konnte nicht umhin, zu sich selbst zu sagen: Auch der gerettet, zwischen zweimaligem Sonnenaufgang zwei!

      Schmunzelnd streichelte er seinen langen Mosesbart und freute sich seines mächtigen Vermögens.

      Sein Patient aber erhielt noch am selben Tage die Weisung:

      „Steh auf und geh.“

      „Wohin? Gnädiger Herr Doktor, wohin? Wer nimmt mich ohne meinen Bruder?“ antwortete der Knabe verzweifelnd, und nun trat die Frage heran: Was mit ihm beginnen?

      Die Papiere, die der Verstorbene bei sich gehabt hatte, wiesen ihn aus als den Maschinenschlosser Julian Mierski, der viele Jahre hindurch als Werkführer in einer Fabrik in Lemberg gedient hatte. In seinem Zeugnisse hieß es, der vorzügliche Arbeiter habe, zum Bedauern seines Dienstherrn, infolge schwerer Erkrankung entlassen werden müssen. Seitdem konnte er nichts mehr verdienen, sein Bruder aber, den er nach dem Tode der Eltern – arme Häusler in einem Dorfe bei Lemberg – zu sich genommen, nur gar wenig. So gingen, erzählte der Knabe, in Monaten die Ersparnisse von Jahren hin und wurden aufgezehrt bis auf einige Gulden, deren Anzahl er genau angab, und die sich auch richtig im Ranzen des Verunglückten vorgefunden hatten.

      Die Großmutter hörte dem unter Tränen erstatteten Berichte aufmerksam zu.

      „Horch, Nathanael, mein Kind,“ sagte sie. „Es ist nicht recht gewesen von dem Goj in Lemberg, zu verlassen den Mann in seiner Krankheit, der ihm in Gesundheit gedient hat viele Jahre.“

      „Eine Fabrik ist keine Versorgungsanstalt,“ erwiderte Rosenzweig und befahl seinem Geretteten: „Sprich weiter.“

      Dieser fuhr fort:

      „Vor acht Tagen ist ein Bekannter von meinem Bruder gekommen und hat erzählt, daß es in Krakau eine Fabrik gibt, wie die unsre, und daß sie uns dort gewiß nehmen werden. Mein Bruder war sehr froh: ‚Komm, Joseph, wir wandern‘, hat er gesagt und hat auf der Reise immer gemeint, der lange Müßiggang ist es gewesen, der ihn nicht hat gesund werden lassen, beim Marschieren wird ihm besser. Auf einmal hat er aber nicht weiter gekonnt und hat sich in den Schnee gelegt, um ein wenig zu schlafen.“

      „Und du hast das zugegeben?“ schrie der Doktor ihn an. „Weißt du nicht, was einem geschieht, wenn man sich bei solchem Frost in den Schnee legt?“

      Der Knabe senkte seine großen Augen, aus denen unaufhörlich Tränen flossen, und schwieg.

      „Was soll man anfangen mit einem solchen Chamer[3]?“ fragte Rosenzweig die Großmutter.

      Die Greisin entgegnete:

      „Laß ihn heute noch ruhen unter deinem Dache. Sei ihm barmherzig. Er ist eine Waise wie du.“

      Am nächsten Tage lautete ihr Rat:

      „Behalte ihn. Unsre Magd wird ohnehin alt und wackelig und kann eine Hilfe brauchen. Behalte ihn und richte ihn ab zu deinem Dienst. Wer wird es verargen einem großen Mann wie dir, wenn er tut sich halten einen Famulus?“

      So wurde der Findling ein Genosse des Doktorhauses und zwar, obwohl Rosenzweig das nicht gelten ließ, ein ungemein nützlicher. In den Augen seines Herrn blieb Joseph ein „Chamer“, der aus Büchern nichts lernte, nichts zu lernen vermochte. Mit achtzehn Jahren noch las er nicht ohne Schwierigkeit die einfachsten Kindergeschichten. Ihn zur Schule zu zwingen, hatte der Doktor schon nach den ersten Monaten aufgegeben, weil er nur mit Schlägen dahin zu bringen war, und weil sein Wohltäter nicht immer Muße hatte, ihm die zu spenden. Seine mechanischen Fertigkeiten hingegen waren groß und groß der Fleiß, mit dem er sie ausübte. Auch er pfuschte in jedes Handwerk, aber mit besserem Erfolg als dereinst der Doktor.

      In allem, was er unternahm, offenbarte sich ein Schick, eine Leichtigkeit, ja sogar ein Geschmack, der den Pillenschächtelchen des Doktors ebensosehr zugute kam, wie den Blumenbeeten im Gärtlein vor dem Hause. Immer nur mit Verdruß hörte Nathanael ihn loben, „den Tagedieb, der nichts kann und nie etwas andres können wird als spielen.“

      Er hatte einmal wieder diesen Vorwurf ausgesprochen, da entgegnete Joseph:

      „Wenn du dich entschließen könntest, deine Felder in deine eigene Verwaltung zu nehmen, würde ich dir beweisen, daß ich kein Tagedieb bin.“

      Der Doktor fuhr fort:

      „Was sprichst du von meinen Feldern? СКАЧАТЬ