Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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»Hast Du gut geschlafen, Meister?« fragte Addrich, und ein zweideutiges, schadenfrohes Lächeln zog über die harten Gesichtszüge hin.
»Ich kann es nicht rühmen, Addrich,« antwortete Wirri, »denn nun kenne ich Dich. Was habe ich Dir je Leides gethan, daß Du mich gestern getäuscht und diese Nacht gefangen gehalten hast?«
»Narr!« antwortete der Alte. »Es ist Dir doch nicht übel ergangen. Trage künftig keine Uriasbriefe und stecke die Nase nicht in fremden Handel. Ich würde Dich laufen lassen, wenn Dein Maul hier im Moos bleiben würde.«
»Laß mich in Frieden ziehen, Addrich. Mein eigenes Hemd soll es nicht erfahren, daß ich bei Dir gewesen bin. Durch Schaden wird man klug.«
»Wenn Du drei Tage geschwiegen hast, Meister, will ich Dir am vierten glauben und den Weiher über die Eier setzen. Mache Dich jetzt auf, Du hast so weit nicht zur Morgensuppe, meine Leute hier begleiten Dich.«
»Wohin?«
»Über die Bampf hinab, längs den Seen, gen Hochdorf,« antwortete Addrich, indem er den Spielmann aus dem Gemach und durch mehrere Zimmer wieder zur Hausthür führte. »Im Aargau bist Du keine Stunde sicher. Wer Dich findet und kennt, schlägt Dich wie einen Kain tot. Alles ist wider Bern im Aufstande, der um sich greift wie ein Waldfeuer und wie ein angeschwollener Strom über die alten Ufer bricht. Behüte Dich Gott! Über den bereiften Boden ist frisch wandern. Denke nicht an's Entweichen, oder Schreien: Du rufst Dir auf der Stelle zwei Messer zwischen die Rippen. Fort, Ihr Leute!«
Mit diesen Worten schob der Alte den Spielmann aus dem Hause; die Bauern nahmen denselben rechts und links in ihre Mitte und nötigten ihn, das kleine Wiesenthal aufwärts gegen den Bergrücken zu steigen. Addrich sah ihnen nach, bis die Wanderer auf der Höhe seinem Blicke verschwanden. Dann kehrte er ins Haus zurück, blieb eine Zeit lang unschlüssig an der hölzernen Treppe stehen, stieg dann hinauf, und öffnete oben leise die Thür eines Zimmers.
10.
Die Gäste.
Auf den Zehen, kaum hörbar, flog ihm Änneli entgegen, den Zeigefinger der linken Hand auf den Mund gelegt, die rechte warnend emporgehoben
»Leise, leise! Deine Tochter schlummert!« flüsterte sie ihm ins Ohr, und schwebte dabei auf den Fußspitze zur Seite. »Auch Fania, welche die ganze Nacht an Loreli's Bett gewacht hat, ruht seit zwei Stunden erst.« Sie deutete bei den letzten Worten mit den Fingern auf eine Nebenthür des Zimmers.
Addrich aber gab dem Mädchen einen flüchtigen Wink. Es verstand ihn wohl und entfernte sich. Dann trat er langsam vor das Bett seines kranken Kindes, so vorsichtig, daß dabei kein Sandkorn unter seinen Sohlen knirschte. Schweigend betrachtete er die Jungfrau. Sie lag mit ihrem blassen Antlitz da, in dessen Marmorzügen noch die Spuren ehemaliger Holdseligkeit zu sehen waren, und mit den über das Bettuch lang ausgestreckten Armen, wie zum Einsargen bereit. Ein paar unter der Haube hervortretende flachgedrückte Haarlocken, schwarzglänzend wie Ebenholz, einst kein geringer Schmuck dieses jungfräulichen Hauptes, vermehrten nur den traurigen Eindruck des Ganzen. Sie ringelten sich an der wachsbleichen Stirn und Wange hin, gleichsam um anzudeuten, daß das Leben des Leichnams erloschen sei. Die Gruft war ohne Bewegung, über die entfärbten Lippen ging kein wahrnehmbarer Atem; die tief eingesunkenen Augen schienen dem Lichte der Welt auf ewig verschlossen zu sein.
Addrich starrte mit gefalteten Händen und gebeugtem Haupte lange die schöne Leiche an: dann erhob er leise seufzend die Augen, senkte sie wieder auf die gefühllose Schläferin und sagte kaum hörbar: »O mein Kind, o mein armes Kind! O mein einziges Leben! Warum kann Dich niemand aus der unbarmherzigen Gewalt des Schicksals erretten?«
Ein unendlich tiefer Schmerz durchdrang sein Innerstes, daß ihm Brust und Atem zitterten. Er richtete das Antlitz himmelwärts, mit jammernder, stummflehender Geberde, und die krampfhaft zusammengeschlossenen Hände inbrünstig an sein Herz drückend. Thränen an Thränen entströmten seinen Augen. Ein leises, schnelles Schluchzen blieb die einzige Sprache seiner Seele. Als sich die Heftigkeit des Schmerzes gelöst oder erschöpft zu haben schien, bebten noch seine Lippen im Gespräche mit dem unerforschlichen Lenker der Verhängnisse. Die kräftige, hohe Greisengestalt Addrichs glich, wie sie gebeugt dastand, einer ehemals stolzen und unempfindlichen Eiche, die, vom Wetter gebrochen, nun ihr welkes Laub bei jedem Lüftchen erzittern läßt, und die Röte seiner entzündeten Augen schien eine finstere Glut zu sein, aus welcher der Brand hervorzubrechen droht, das Innere zu verzehren. Von Zeit zu Zeit stieß er kurze, unzusammenhängende Worte aus, die den Selbstgesprächen des Wahnsinns ähnlich klangen, im Grunde aber nur hervortretende Punkte waren, an welchen man die Verbindung seiner Gedanken und seines Schmerzes erkannte, wie man den Zug weit entfernter Gebirge aus einzelnen Gipfeln erkennt.
»O Du süßer Raub des Todes,« sagte er, »mußtest Du dazu von Deiner Mutter geboren werden? . . . Ich erkenne Dich wohl, mit Entsetzen, Du herzloses Ungeheuer, das seine eigenen Eingeweide verschlingt und wieder erzeugt, um neuen Fraß zu haben. . . . Es kann aber nicht sein. Ist das ein totes Uhrwerk, das von sich nichts begreift und weiß, so ist die wildeste Bestie mehr wert als die Welt, und der Mensch ist der Gott . . . Ach, Du arme, schöne Alpenrose, die ungekannt und ungeliebt in der großen Einöde vergeht, warum mußtest Du blühen? . . . Gütig, sagt man, gerecht auch! Ich möchte es ja gern glauben, aber diese blasse Leiche sagt: Nein! . . . Es ist nichts Entsetzlicheres vorhanden, als das Gefühl neben einem bewußtlosen Felsen, als das Leben bei der stummen Vernichtung. Die Liebe ist das, was im Reiche der Dinge einzig ohne Zusammenhang mit der Welt steht. Sonst paßt das alles zusammen . . . O Du frommes, heiliges Kind, warum wurde Dir das süße Dasein zu kosten gegeben, wenn es Dir mit Schmerzen wieder entrissen sein muß? Was hast Du verbrochen, daß sich die Natur das Verbrechen erlauben darf, Dich zu zerstören? . . . Frevel, Frevel! Weiche von mir, Satan! . . . Es kann nicht aufhören. Es kann nicht! Die Welt hat das Bewußtsein ihrer Ewigkeit in sich . . . Scheidest Du von mir, so eile ich Dir nach, Engel! Wir trennen uns nicht!«
Hier verstummte er im abermaligen Schluchzen, kniete mit leisem Wimmern so lange nieder, bis ihm die Thränen versiegten. Dann stand er auf, warf noch einen kläglichen Blick gen Himmel und sagte: »Dein Wille geschehe!« Er trocknete seine Augen, legte eine Flaumfeder auf die Oberlippe der Schlummernden, sah mit schmerzlichem Vergnügen die Spuren des Lebens noch im Wehen des Flaumes, beugte sich über das Bett, küßte sanft das Gewand der Tochter, und ging mit leisem Schritte aus dem Gemache hinweg. »Bis Fania erwacht, verlaß Leonoren nicht!« sagte er zum Änneli, welches ihm auf der Treppe entgegenschwebte. »Ich begebe mich zu den Gästen, und werde meine Tochter heute wenig sehen. Bringe ihr meinen Morgengruß.«
Nach diesem eilte er mit großen Schritten am Herde vorüber, durch zwei aneinanderhängende Stuben, hinab in ein letztes, inneres Zimmer. Hier saßen die Leute, welche Meister Wirri vorher gesehen hatte. Gideon und Schybi von Eschlismatt neben einem alten, doch rüstigen Manne, dem das silberweiße Haar des Bartes und Hauptes ein recht ehrwürdiges Ansehen verlieh. Sie waren in lebhaftem Gespräche.
»Auf Ehre!« rief Gideon. »Nicht zwanzig Dublonen wären mir zu viel, wenn ich erfahren könnte, was seine Absicht gewesen wäre. Er führte die Klinge meisterlich, und trieb mich gleich beim ersten Angriff zur Verteidigung; doch indem er dabei langsam hinter sich zurückschritt, um seinen wohlberechneten Rückzug ins Gebüsch zu nehmen.«
Christian Schybi schüttelte bedenklich den Kopf und sprach: »Ich СКАЧАТЬ