Название: Kandide oder Die beste aller Welten
Автор: Вольтер
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Kandide war noch ganz verdutzt, konnte gar nicht recht begreifen, wie er so im Hui zum Helden geworden. An einem schönen Frühlingsmorgen fällt's ihm ein, spazierenzugehn. Er schlendert grade vor sich hin, der Meinung: die Menschen hätten sowohl wie die Tiere das Vorrecht, sich ihrer Beine nach Belieben zu bedienen. Kaum hat er zwei Meilen gemacht, wie ein Blitz sind ihm vier andre sechsschuhige Helden auf den Hals, binden ihn und werfen ihn in ein Loch, wohin nicht Sonne nicht Mond kam.
Ein wohllöbliches Kriegsgericht fragte ihn, was er lieber wollte, sechsunddreißigmal Spießrutenlaufen oder sich drei bleierne Kugeln mit eins ins Gehirn jagen lassen. Kandide hatte gut sagen, daß des Menschen Wille frei sei und daß er keins von beiden möchte; das half nichts, er mußte wählen. Sonach entschloß er sich denn, kraft der lieben Gottesgabe, Willensfreiheit genannt, sechsunddreißigmal Spießruten zu laufen.
Zweimal hatte er die Wandrung gemacht, Gaß' auf, Gaß' ab; und weil das Regiment aus zweitausend Mann bestand, hatte er seine viertausend Hiebe richtig weg. Alle Muskeln und Nerven vom Nacken an bis zum Wirbelbein des Rückens herab, lagen ganz blank und bar da. Den dritten Gang machen sollend und nicht könnend, erbat er sichs zur Gnade, erschossen zu werden. Man gestand's ihm zu; verband ihm die Augen, ließ ihn niederknien.
In eben dem Nu reitet der König der Bulgaren vorbei, fragt, was der arme Sünder begangen und nimmt aus allen Umständen ab – denn er war ein großes Genie –, daß Kandide ein junger Metaphysiker sei, dabei noch völlig Neuling in der Welt, und begnadigte ihn mit einer Milde, die Welt und Afterwelt in Journalen und Chroniken preisen wird. Ein braver Kompaniefeldscher kurierte Kandiden binnen drei Wochen mit erweichenden Mitteln nach der Vorschrift des großen Dioskorides. Haut hatte Kandide bereits schon ziemlich, und marschieren könnt' er auch schon, als der König der Bulgaren dem Könige der Abaren ein Treffen lieferte.
Kapitel 3
Wie Kandide den Bulgaren entkam und wie's ihm nachher erging
So flink und flimmernd, so wohlgeordnet, so stattlich hatte man noch nie Armeen gesehn als diese beiden. Trompeten und Pfeifen, Hoboen und Trommeln, Mörser und Kanonen machten ein so vollstimmiges Konzert, als selbst Satanas in der Hölle nicht geben kann.
Zuerst rissen die Kanonen auf jeder Seite so ein sechstausend Mann nieder, alsdann säuberte das Musketenfeuer die beste aller möglichen Welten von so ein neun- bis zehntausend Schurken, die deren Oberfläche angesteckt hatten. Das Bajonett war gleichfalls ein zureichender Grund, daß einige tausend Menschen umkamen. Die ganze Summe mochte sich wohl auf ein dreißigtausend Seelen belaufen.
Kandide, der als echter Philosoph zitterte und bebte, ließ die heroischen Metzger immer fortmetzeln und verbarg sich, so gut er konnte.
Endlich hatte die Fehd' ein Ende; die beiden Könige ließen das Te Deum in ihren Lagern anstimmen. Derweil faßte unser Kandide den Entschluß, in andern Gegenden über Wirkungen und Ursachen zu philosophieren; stieg über die Haufen der Toten und Sterbenden weg und arbeitete sich in einen nahbelegnen Aschenhaufen vom Dorfe herein. Es hatte vor kurzem den Abaren gehört, und die Bulgaren hatten es dem Völkerrechte gemäß abgebrannt.
Greise lagen hier, die Wund' an Wunde hatten und neben sich ihre zermetzelten Weiber mußten hinsterben sehn, an deren blutenden Brüsten ihre Säuglinge zappelten; dort gaben Jungfrauen ihren Geist auf, deren jegliche einem Halbdutzend Helden ihre Naturbedürfnisse hatte stillen müssen und nachher war entbaucht worden; hier schrien andre, deren Leichnam halbverbrannt war: man möcht' ihnen nur den Rest geben. Die ganze Erde war mit Gehirnen übersät und mit Armen und Beinen.
Kandide floh in voller Hast in ein ander Dorf. Es gehörte den Bulgaren, und die Helden unter den Abaren hatten ihnen kein Haar besser mitgespielt. Noch immer mußte der arme Flüchtling über zuckende Glieder gehn und über Schutt und Graus. Endlich sah' er sich außerhalb des Kriegstheaters; in seinem Schnappsack etwas weniges Mundproviant habend und in seinem Herzen die ihm unvergeßliche Baroneß Gundchen. Als er in Holland ankam, war er mit seinem Proviant zu Rande; da er aber gehört hatte, hier sei jedermann reich und Christ, so dacht' er, es würd' ihm hier so gut gehn als im Schlosse des Herrn Barons, bevor er aus selbigem Baroneß Gundchens schöner blauer Augen halber war gejagt worden. Er sprach viele gravitätsche Allongenperücken, die sich bei ihm vorbeischoben, um einen Zehrpfennig an und viele ehrbare alte Hauspostillen, die bei ihm wegtrippelten; allein diese sowohl wie jene rückten mit nichts hervor als mit der Ermahnung: diese Lebensart fahren zu lassen, sonst würde man ihn im Zuchthause unterbringen.
Hierauf wandt' er sich an einen Mann, der eine Stunde lang ganz allein in einer großen Versammlung über christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit gesprochen. Dieser Redner sah' ihn über die Schulter an und sagte: Freund, warum seid Ihr hieher kommen? Um Euch zu dem kleinen Häuflein der Gerechten und Stillen im Lande zu gesellen? Oder waserlei ist die Ursach?
Jegliche Wirkung, hub Kandide in bescheidnem Tone an, hat ihre Grundursach; jegliche Begebenheit unsers Lebens ist ein notwendiges Glied in der Kette der Dinge; ist selbiger aufs geschickteste, beste eingepaßt. Ich mußte von Baroneß Kunegunden fortgejagt werden, mußte Spießruten laufen und muß so lange mein Brot betteln gehn, bis ich welches verdienen kann; das alles konnte nicht anders kommen.
Glaubt Ihr denn, mein Freund, sagte der Redner zu ihm, daß der Papst der Antichrist sei? Davon hab' ich noch nie gehört, antwortete jener, auch gilt's mir ganz gleich, sei er's oder sei er's nicht; hätt' ich nur Brot. Auch nicht der Brosämlein einen verdienst du, heilloser Bube, die von der Herren Tische fallen, sagte der Schwarzrock. Heb' dich aus meinen Augen, du Schalk du! du Belialsbrut!
Des Redners Frau, die den Kopf zum Fenster hinausgesteckt und vernommen hatte, daß es einen Menschen gab, der an der Antichristheit des Papsts zweifelte, leerte über sein Haupt einen vollgerüttelten und geschüttelten Nachttopf. Gott, wie weit geht der Religionseifer bei den Damen!
Ein niegetauftes Geschöpf, ein wackrer Wiedertäufer, namens Jakob Schwezinger, sähe, wie hartherzig, wie schmählich man einem seiner Brüder begegnete, einem zweifüßigen, federlosen Geschöpf, das doch eine Seele hatte; und es jammerte ihn sein, und er führte ihn hinab in sein Haus und säuberte ihn und gab ihm Brot zu essen und Bier zu trinken, und schenkte ihm zwei Gulden; auch wollt' er ihn sogar in seiner Fabrik arbeiten lehren, woselbst mitten in Holland persische Stoffe verfertigt wurden.
Kandide wollte sich ihm zu Füßen werfen und schrie: Er hat wohl recht, der gute Herr Magister! Diese Welt ist die beste! Ihr außerordentlicher Edelmut macht tiefern Eindruck auf mich als die Hartherzigkeit des Herrn Schwarzmantels und seiner Frau Gemahlin.
Den folgenden Tag stieß er beim Spazierengehn auf eine wahre Lazarusfigur von Bettler. Über und über mit Schwären bedeckt war sein Aug erloschen, die Nasenspitze weggefressen, der Mund ganz verzogen, die Zähne kohlschwarz. Er gurgelte und hustete jedes Wort hervor; und sein Husten war so heftig, daß er jedesmal einen Zahn ausspie.
Kapitel 4
Wie Kandide seinen alten Lehrmeister in der Philosophie, den Magister Panglos, wiederfand und was weiter geschahe
Kandide, der mehr Mitleid als Entsetzen bei diesem Anblick empfand, gab dem Scheusal von Bettler die zwei Gulden, die ihm der biederherzige Wiedertäufer Jakob gegeben hatte. Diese Jammergestalt sah' ihn starr an, Tränen rannten von ihren Wangen, und sie fiel Kandiden um den Hals, der vor Schreck zurückbebte.
Und Ihr kennt Euren lieben Panglos nicht mehr? sagte der eine Unglückliche zum andern Unglücklichen. "Was hör' ich? Sie sind's, СКАЧАТЬ