Название: Im Hause des Commerzienrates
Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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„Ja.“
„Er ist so plötzlich gestorben, und Moritz hat mir den Trauerfall in so wenig eingehender Weise angezeigt, daß ich nicht einmal weiß, was die Ursache seines Todes gewesen ist.“
Der Doctor stand so, daß sie nur sein Profil sehen konnte; er war sehr bärtig um Kinn und Lippen; dennoch konnte sie bemerken, wie sich diese Lippen fest aneinander legten, als werde es ihnen schwer, zu antworten. Nach einem augenblicklichen Schweigen wandte er ihr langsam und voll das Gesicht zu und sah sie ernst an. „Man wird Ihnen sagen, er sei an meiner Ungeschicklichkeit im Operiren gestorben,“ sagte er mit einer Stimme, der die innere Bewegung fast allen Klang nahm.
Das junge Mädchen fuhr vor Schrecken und Bestürzung zurück; ihr Auge streifte noch einmal den Mund, der gesprochen hatte, dann suchte es den Boden.
„Einzig und allein um Ihrer eigenen Beruhigung willen möchte ich Ihnen die Versicherung geben, daß das durchaus unwahr ist,“ fuhr er mit sanftem Ernste fort; „aber wie kann ich von Ihnen verlangen, daß Sie mir glauben sollen? … Wir sehen uns heute zum ersten Male und wissen nichts von einander.“
[44] Sie hätte sich mit einer einzigen oberflächlichen Phrase aus dieser peinvollen Lage helfen können, aber das fiel ihr nicht ein. Er hatte Recht – wie konnte sie wissen, ob er schuldlos, und die anklagende öffentliche Meinung im Unrechte sei? Freilich trug seine ganze Erscheinung den Stempel einfacher Geradheit und Wahrhaftigkeit. Sie fühlte sogar heraus, daß es eigentlich seine Art gar nicht sein könne, ungerechten Verdächtigungen gegenüber auch nur ein Wort zu verlieren, ja, daß er sich in diesem Augenblicke mit seiner Versicherung gleichsam herablasse. Dennoch war sie nicht fähig, etwas auszusprechen, für das sie keine innere Rechtfertigung fand.
Er hatte wohl auch keine Antwort erwartet; denn er wandte sich ab, aber mit so viel Würde und stolzer Gelassenheit, daß in Käthe ein Gefühl plötzlicher Beschämung aufstieg und ihre Wangen heiß röthete. „Darf ich die Kranke nun herüber bringen?“ fragte sie mit unsicherer Stimme.
Er bejahte, und sie verließ mit raschen Schritten das Zimmer. Drüben in der Hinterstube wischte sie sich die hervorquellenden Thränen von den Wimpern und ließ sich den erschütternden Vorgang von der Haushälterin erzählen.
„Die Geschichte hat dem Doctor in der Stadt schrecklichen Schaden gebracht,“ sagte Suse schließlich. „Erst gab’s keinen Besseren und er hatte alle Hände voll zu thun, und nun sagen sie auf einmal, er verstände seine Sache nicht. So sind eben die Menschen, Fräulein Käthchen. Und er ist nicht schuld an dem Unglücke. Es war Alles gut; ich hab’s ja mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber da sollte sich der Schloßmüller ganz ruhig verhalten – ja, der und ruhig! Ich weiß am besten, wie er beim kleinsten Aerger gleich kirschbraun wurde. Da darf nur der Franz draußen zu laut gesprochen haben, oder der Wagen ist zu schnell in den Hof gefahren – da hat schon die Wuth in ihm gekocht. So war er. Ich hab’ genug mit ihm ausgestanden, und zum Dank dafür hat er mich auch mit keinem Pfennig bedacht“ – sie lachte scharf und zornig auf – „wenn Sie nicht für mich sorgten, da könnte ich jetzt betteln gehen.“
Käthe hob unwillig warnend und Schweigen gebietend den Zeigefinger.
„Nun meinetwegen auch – ich will still sein,“ grollte die Alte und ließ es still geschehen, daß das junge Mädchen ihren vertrockneten Körper wie ein hülfloses Kind in Decken und Kleider einmummte. „Es thut mir nur leid, daß so ein guter Herr, wie der Doctor, deswegen nun angeschwärzt wird und sein Brod verliert, und seine arme Tante, für die er sorgt und arbeitet, dauert mich auch. Sie hat ihn von ihrem Bischen Vermögen studiren lassen, die alte Frau Diaconus. Sie wohnt bei ihm; er ist immer ihr ganzer Stolz gewesen – und nun muß sie das mit erleben.“ –
Käthe machte der Mittheilung, die sehr in’s Breite zu gehen drohte, ein Ende, indem sie die Kranke vorsichtig aus dem Lehnstuhle hob. Sie war der früheren Heimath zu sehr entfremdet und wurzelte mit ihrem Denken und Empfinden viel zu sehr in ihrem Dresdener Heim, um sich für die Privatverhältnisse dessen so rasch zu erwärmen, der Flora’s Bräutigam war. Allerdings bedauerte sie den Arzt in ihm, dem das Mißlingen einer Cur so plötzlich Existenz und Stellung gefährdete, allein das Weh um den Großvater, der jedenfalls schwer gelitten hatte, überwog bei Weitem auch diesen Antheil.
Halb und halb getragen von den starken Armen des jungen Mädchens, hinkte Suse über den Vorsaal. Die Thür der Eckstube war offen, und am Fuße der herniederführenden Stufen stand Doctor Bruck mit ausgestreckten Händen, um die Leidende in Empfang zu nehmen und ihr herabzuhelfen. … Es war eine charakteristische Gruppe, die der Thürrahmen einen Augenblick umschloß. Käthe hatte sich den gesunden Arm der Kranken um den Nacken gelegt und hielt die knochige braune Hand mit ihren rosigen Fingern auf der linken Achsel fest, während ihr rechter Arm die Hüften Susens umschlang. Ausdrucksvoller konnte die opferwillige Barmherzigkeit nicht verkörpert sein, als in diesem Mädchen, das, seitlich über die gekrümmte Hülflose gebeugt, ihr strahlend junges Gesicht an den grauen Scheitel, die runzelvolle Wange des alten Frauenkopfes legte.
Nach wenigen Minuten saß Suse bequem und weich gebettet in der luftigen Stube. Sie musterte ängstlich die famosen Vorhänge, entsetzte sich über das Bett auf dem „stolzen Kanapee“ und bemühte sich vergeblich, ihre Freude darüber zu verbergen, daß sie nun wieder jeden Sack zählen konnte, der drunten im Hofe auf- und abgeladen wurde.
Die junge Dame sah nach ihrer kleinen goldenen Uhr. „Es wird Zeit, mich in der Villa vorzustellen; sonst gerathe ich möglicher Weise mitten in den stolzen Theezirkel der Frau Präsidentin,“ sagte sie mit der anmuthigen Geste eines leichten Schauders und zog die Handschuhe aus der Tasche. „In einer Stunde komme ich wieder und koche Dir eine Suppe, Suse –“
„Mit den feinen Händen?“
Mit den feinen Händen, versteht sich. Glaubst Du denn, ich lege sie in Dresden in den Schoos? … Hast doch meine Lukas gekannt, Suse – sie ist heute wie damals; da heißt es, Hand und Fuß rühren und die Zeit ausnutzen. Du solltest sie nur einmal sehen! Sie ist eine Frau Doctorin geworden, die ihres Gleichen sucht.“ Damit verließ sie das Zimmer, um sich in Susens Stübchen zum Fortgehen zu rüsten.
4
Auf der Spinnerei schlug es Fünf, als Käthe in Doctor Bruck’s Begleitung wieder in den Hof trat. Es war kälter geworden, und die uralte halbverwischte Sonnenuhr am Giebel, die heute, im goldenen Frühlingslicht neu auflebend, mit scharfem Finger die Stunden bezeichnet hatte, sah wieder trübselig verlassen und verwittert aus.
Das helle Geklingel der Thürschelle lockte Franz wieder heraus auf die kleine Freitreppe, und auch seine Frau folgte ihm neugierig mit langem Halse, um die heimgekehrte junge Herrin zu begucken. Käthe bat sie, während ihrer Abwesenheit fleißig nach der Kranken zu sehen, was auch heilig und theuer versprochen wurde. In diesem Augenblick rauschte es in den Lüften, und gleich darauf stürzte eine schöne Taube herab und blieb hülflos aus dem Steinpflaster liegen.
„Schwerenoth, nehmen denn die Bubenstreiche kein Ende?“ fluchte Franz, indem er die Treppe herabsprang und das Thierchen aufhob – es war flügellahm geschossen. „Da guck’ her, Frau!“ sagte er zu der Müllerin. „’s ist keine von unseren – ich dachte mir’s gleich. ’s ist ein gottheilloses Volk da drüben. Die schießen der armen Dame ihre Prachttauben nur so vor der Nase weg. Na, ich sollte nur der Herr Commerzienrath sein!“ Er schüttelte die Faust.
„Wer ist denn die arme Dame, Franz? Und wer schießt nach ihren Tauben?“ fragte Käthe mit großen Augen.
„Er meint Henriette,“ sagte Doctor Bruck.
„Und СКАЧАТЬ