»Wir sind doch eigentlich noch gar zu jung,« sagte sie ihm, »laß uns noch eine Zeit lang warten, ich will erst etwas vernünftiger, besser und Deiner würdiger werden.«
So wartete er, sich täglich an ihrem Anblick berauschend, und wirklich schien auch die Zeit der Entscheidung immer näher und näher heranzurücken, als plötzlich, wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel, ein Ereigniß eintrat, das alle Wünsche, Hoffnungen und Pläne in leichte Rauchwolken verwandelte, die im Winde verflogen.
Siebentes Capitel
In jenem Jahre besuchte der Hof Moskau. Feste folgten auf Feste; der gebräuchliche, der kaiserlichen Familie zu Ehren angeordnete Ball im adligen Club rückte heran.
Die Ankündigung desselben in den öffentlichen Blättern gelangte auch in das Haus am Hundeplatze.
Der Erste, den diese in Aufruhr setzte, war der alte Fürst. Er beschloß sogleich den Ball zu besuchen und wünschte Irina durchaus mitzunehmen, weil es ja unverzeihlich wäre, wenn sie diese Gelegenheiten vorüberließen, die kaiserliche Familie und den Hof zu sehen. Mit sonst bei ihm ganz ungewöhnlichem Eifer bestand er dieses Mal auf seinen Vorhaben; die Fürstin, obgleich sie zwar über die dadurch verursachten Ausgaben ächzte und jammerte, war im Ganzen auch nicht dagegen, nur allein in Irina fand dieser Entschluß heftigen Widerstand.
»Es ist nicht nöthig, ich werde nicht mitfuhren,« antwortete sie auf die elterliche Aufforderung.
Ihre Hartnäckigkeit war so groß, daß der alte Fürst sich endlich entschloß, Litwinow zu bitten, er möge sie bereden und ihr vorstellen, daß es sich für ein junges Mädchen nicht schicke, so die Welt zu meiden, und daß sie, ihren Eltern zu gefallen, doch mitkommen möge, da sie ja so schon Niemanden sehe.
Litwinow glaubte dem Fürsten nicht wohl seinen Wunsch abschlagen zu können, und sprach mit ihr.
Irina blickte ihn aufmerksam und prüfend an; so starr blickte sie ihm lange schweigend in’s Auge, daß er verlegen wurde; endlich, mit den Enden ihres Gürtelbandes spielend, fragte sie ihn langsam und gelassen: »Sie wünschen es auch, Sie?«
»Ja,« stotterte Litwinow, »ich glaube – ich meine, Sie sollten dem Wunsche ihrer Eltern nachgeben – ein- mal die Welt sehen – und,« fügte er lächelnd hinzu, »auch sich zeigen.«
»Mich – zeigen-?« wiederholte sie langsam fragend, »Nun wohl, – ich werde mitfahren. – — Nur vergessen Sie nicht, daß Sie es selbst gewünscht haben.«
»Ich? – was eigentlich mich betrifft —,« wollte Litwinow sie unterbrechen.
Sie ließ ihm aber keine Zeit zum Ausreden und fuhr hastig fort:
»Sie haben mich selbst dazu aufgefordert – und, hören Sie, noch eine Bedingung: Sie müssen mir versprechen, den Ball nicht selbst zu besuchen!«
»Warum wünschen Sie aber das?«
»Das ist einmal meine Bedingung, eine weibliche Caprice vielleicht, – genug, ich will es.«
Litwinow verbeugte sich.
»Ich gehorche, – aber ich gestehe, es hätte mir großes Vergnügen gemacht, Sie in Ihrem Triumphe zu sehen, – Zeuge des Eindrucks zu sein, den Sie unfehlbar machen werden – — Wie stolz hätte mich das gemacht!« fügte er seufzend hinzu.
Irina lächelte.
»Die ganze Herrlichkeit wird bei mir in einem weißen Kleide bestehen, und was den Eindruck betrifft – — Nun, kurz und gut, ich will, daß Sie nicht hingehen.«
»Irina, Du scheinst erzürnt?«
Sie lächelte wieder.
»O nein! Ich zürne nicht, – Du nur mit Deiner – —« Wieder heftete sie starr ihren Blick auf ihn, nie hatte sie ihn noch mit einem so sonderbaren Ausdruck angesehen. »Doch wer weiß, vielleicht ist es so Bestimmung,« fügte sie leise hinzu.
»Irina, liebst Du mich auch?«
»So wahr ich lebe und athme,« antwortete sie feierlich, ergriff seine Hand und drückte sie fest, fast männlich.
Die folgenden Tage vergingen unter verschiedenen Vorbereitungen zum Balle.
Am Tage vor dem Balle fühlte sich Irina unwohl, hatte nirgends Ruhe, weinte mehrere Male heimlich, suchte jedoch in Litwinow‘s Gegenwart heiter zu scheinen und war überaus mild und hingebend gegen ihn, wenn gleich etwas zerstreut und oft sich im Spiegel besehend. Am Balltage selbst war sie schweigend, bleich, aber gefaßt.
Gegen neun Uhr des Abends erschien Litwinow, um sie zu bewundern.
Als Irina aus ihrem Zimmer trat, in einem weißen Tüllkleide, einen kleinen blauen Kornblumenkranz im leicht nach oben gekämmtem dichten, vollen Haar, entwand sich ein Ruf der Bewunderung seiner Brust; so majestätisch schön erschien sie ihm, daß sie ihm um vieles älter vorkam.
»Sie scheint seit heute Morgen gewachsen zu sein,« dachte er, »und welch ein Anstand! Was hohe Geburt doch macht!«
Irina stand vor ihm, ungeziert, ohne Lächeln, den Blick fest, doch nicht auf ihn, sondern wie in eine unbestimmte Ferne gerichtet.
»Wie die Königin im Märchen-»sagte endlich Litwinow, »oder besser: wie der Feldherr vor der siegreichen Schlacht . . . Sie haben mir zwar nicht erlaubt, Sie zu begleiten,« fuhr er fort, während sie äußerlich unbeweglich zwar, aber innerlich mit irgend einem andern Gegenstande lebhaft beschäftigt schien, »aber Sie werden mir wohl die Annahme dieser Blumen nicht verweigern?« Und damit reichte er ihr ein Bouquet Heliotropblüthen.
Einen raschen Blick auf Litwinow werfend, erhob sie die Hand und ergriff den Kranz, der ihr Haar schmückte:
»Willst Du? noch ist es Zeit; sage ein Wort, dieser Kranz fällt – und ich bleibe zu Hause.«
Freudig erbebte Litwinow’s Herz, schon fing Irina’s Hand an den Kranz zu lösen.
»Nein, nein, wozu das?« stieß er, ohne zu denken, in einer plötzlichen edlen Anwallung von Vertrauen und ritterlichem Edelmuth hervor, »ich bin kein solcher Egoist; wie sollte ich Dir diese Zerstreuung mißgönnen, da ich ja weiß, daß Dein Herz . . .
»Nun, dann aber kommen Sie mir nicht zu nahe,« unterbrach sie ihn hastig. »Sie bringen mein Kleid in Unordnung.«
Litwinow wurde wieder verlegen.
»Und mein Bouquet? Nehmen Sie es?«
»Sicher! Es ist wunderhübsch, und Sie wissen, ich liebe diesen Geruch. Morei! . . . Ich behalte es zum Andenken . . .«
»An Ihre erste Ausfahrt,« fügte Litwinow hinzu, »an Ihren ersten Triumph!«
Irina blickte über die Schulter in den Spiegel, leicht den Kopf zurückbiegend.
»Bin ich denn wirklich hübsch? Sind Sie nicht vielleicht nur parteiisch?«
Litwinow ergoß sich in Complimenten, auf welche Irina kaum hörte, sondern das Bouquet dicht vor’s Gesicht haltend, ihren inneren Blick in ferne unbekannte Regionen СКАЧАТЬ