Der alte Fürst selbst, vormals ein schöner Mann und großer Stutzer, war jetzt ein träger, energieloser und bornirter Alter geworden, dem man, nicht sowohl aus Achtung vor seinem alten Namen, als aus Aufmerksamkeit gegen seine Frau, die vor Zeiten einmal Hoffräulein gewesen war, einer jener alten Moskauer Sinecuren gegeben hatte, die ihm erlaubte, sich um nichts zu bekümmern, von Morgens bis Abends im Schlafrock zu sitzen, zu rauchen, zu seufzen und zu stöhnen.
Die Fürstin war eine kranke und gegen die Welt und ihre Lage erbitterte Dame, beständig beschäftigt mit den Sorgen des Haushaltes, der Unterbringung der Kinder in Kaiserliche Adelsinstitute und der Unterhaltung ihrer Verbindung mit ihren Petersburger vornehmen Bekannten und Verwandten; sie konnte sich immer noch nicht in ihre jetzige Lage finden und ihre Entfernung vom Hofe vergessen.
Litwinows Vater hatte einst, während seiner Anwesenheit in Moskau, Ossinins Bekanntschaft gemacht, ihnen verschiedene Dienste erwiesen, ihnen sogar einmal dreihundert Rubel geliehen, und sein Sohn, der in Moskau studirte besuchte ihr Haus fleißig, zumal seine Wohnung ganz in der Nähe des fürstlichen Hauses war. Nicht diese Nachbarschaft aber war es, die ihn dorthin zog, noch die kümmerlichen Verhältnisse der Familie, sondern die Gegenwart der ältesten Tochter Irina, in die er sich sterblich verliebt hatte.
Sie war eben siebzehn Jahre alt geworden und hatte gerade das adelige Fräuleinstift verlassen, einer Unannehmlichkeit wegen, die die Fürstin mit der Vorsteherin gehabt hatte.
Diese Unannehmlichkeit war daher entstanden, daß Irina beim öffentlichen Artus französische Verse hatte declamiren sollen, ihr aber die Tochter eines der reichsten Vorsteher der Branntweinpacht ungerechter Weise war vorgezogen worden. Die Fürstin konnte diese Beschimpfung nicht ertragen, ja Irina selbst der Vorsteherin solches nicht verzeihen, um so mehr, da sie schon im Voraus Pläne gemacht hatte auf den Effect, den diese Deklamation, öffentlich, in Gegenwart der vornehmen Welt, machen werde. Und in der That, Moskau würde wahrscheinlich nicht ermangelt haben von ihr zu reden.
Irina war ein schlank gewachsenes junges Mädchen von hohem Wuchse, deren Formen jedoch noch nicht ganz entwickelt waren, weshalb auch die Schultern noch nicht die gehörige Fülle hatten; ihr Teint hatte jene, in diesen Jahren sonst noch selten reine, weiße, matte Marmorfarbe, wie man sie meistens ausschließlich bei Damen der höchsten Aristokratie findet; dabei hatte sie dichte aschblonde Locken. Die Züge ihres Gesichts, von fast antiker Regelmäßigkeit, zeigten nicht jene Sorglosigkeit der ersten Jugend, sondern Nachdenken und Energie; eine gewisse schwört-tierische Müdigkeit ihres dunkeln, glanzvollen Auges mit den kühn gewölbten Brauen, sowie ein kaum merkliches Lächeln, welches beständig ihre feinen verführerischen Lippen umschwebte, schien Leidenschaft, sich und Anderen gefährliche Leidenschaft, vorherzusagen.
Im Institut galt Irina für eine der klügsten und fähigsten Schülerinnen, aber mit unbeständigem, herrschsüchtigem Charakter, und einem Kopfe, der die tollsten Einfälle ausdachte und ausführte; eine Klassendame hatte ihr sogar vorhersagte; »vos passions vous perdront;« wo hingegen eine andere sie für kalt und gefühllos hielt Und sie »une jeune fille sans coeur« nannte.
Irina’s Freundinnen nannten sie stolz und hinterlistig, die Brüder und Schwestern fürchteten sie, die Mutter selbst mißtraute ihr, und dem Vater war nie recht behaglich, wenn sie ihre tiefen, geheimnißvollen Augen auf ihn richtete; beiden aber, Vater und Mutter, flößte sie eine unwillkürliche Achtung ein, nicht ihrer hervorragenden Eigenschaften, wohl aber der Hoffnungen wegen, die sie auf ihre Zukunft setzten.
»Du sollst sehen, wir werden noch erleben,« sagte einst der alte Fürst zu seiner Frau, sein langes türkisches Pfeifenrohr aus dem Munde nehmend, »daß unsere Irina uns einmal aus aller Noth herausreißen wird.«
Die Fürstin wurde böse und antwortete ihrem Manne, »er habe immer des expressions insuppartables;« nach einigem Nachdenken aber brummte sie zwischen den Zähnen: »Ja, ja . . . Zeit wär’s wohl einmal dazu.«
Irina genoß eine fast unbeschränkte Freiheit im elterlichen Hause; man verwöhnte sie zwar nicht, war sogar ziemlich kalt gegen sie, aber man handelte ihr auch nicht entgegen; das gerade war es, was sie wollte, wie sie sich überhaupt ziemlich sonderbar hielt.
Wenn z. B. irgend ein Krämer eine alte Schuld einzufordern kam und sich Unartigkeiten erlaubte, weil man ihm wieder nichts bezahlen konnte, oder irgend Einer der Dienerschaft, mit dem Essen unzufrieden, Aeußerungen laut werden ließ, wie: »was das für ein Fürst sei, der selbst nichts zu essen habe, und bei dem die Leute hungern müßten,« – so saß Irina, ohne eine Miene zu verziehen oder ein Wort zu sagen, mit bösem, verächtlichem Lächeln im finstern Gesichte, bewegungslos da, während den Eltern dieses Lächeln ein schlimmerer Vorwurf war, als das Geschrei der Gläubiger oder die Unzufriedenheit der Dienerschaft, als ob ihre Tochter das Recht auf Reichthum und Luxus, den sie ihr nicht geben konnten; von Geburt an habe.
Litwinow hatte sich in Irina verliebt vom ersten Male an, daß er sie gesehen hatte (er war im Ganzen nur drei Jahre älter als sie); lange aber dauerte es, ehe es ihm gelang, Gegenliebe, ja sogar nur Aufmerksamkeit gegen ihn bei ihr hervorzubringen. In ihrem Betragen lag sogar etwas Feindliches, als ob er ihr etwas Böses zugefügt habe und sie die Beleidigung zwar verbergen, aber nicht vergeben könne.
Er war in jener Zeit zu jung und bescheiden, um zu begreifen, was eigentlich unter dieser feindlichem fast verächtlichen Härte verborgen sein könne. Zuweilen geschah es, daß er, Studien und Bücher vergessend, im wenig lustigen Gastzimmer des Ossinin‘schen Hauses saß und heimlich Irina betrachtete. Wehmüthig und traurig war ihm dann zu Muthe, während sie, böse, oder wie gelangweilt, bald aufstand, bald ab und zu ging, auf ihn aber so wenig achtete, als ob er ein Stuhl oder ein Tisch wäre, und den ganzen Abend kein Wort mit ihm redete. Tief verletzt, versuchte er endlich dem Zauberkreise, in welchem er wie ein Vogel in der Schlinge flatterte, zu entweichen, indem er sich eine Woche von Moskau entfernte.
Dieser Versuch aber bekam ihm noch übler; von Sehnsucht gefoltert, kehrte er abgehärmt und krank zu Ossinins zurück.
Sonderbar! Auch Irina hatte sichtlich während dieser Zeit abgenommen, ihr Gesicht eine leidende, gelbliche Farbe bekommen – ihre Kälte gegen ihn war jedoch dieselbe geblieben, eine gewisse Schadenfreude, Geringschätzung sogar, schienen ihre Züge auszudrücken, gerade als ob die heimliche Beleidigung, die er ihr zugefügt, sich noch vergrößert habe.
Auf diese Weise quälte sie ihn zwei Monate lang. Dann aber erschien ein Tag, an welchem sich dies Alles mit einem Male änderte. Wie eine plötzlich hellauflodernde Feuersbrunst, wie der Blitz aus einer Gewitterwolke, brach lang zurückgehaltene Liebe, heftige, leidenschaftliche Liebe plötzlich bei ihr hervor.
Eines Tages – lange noch blieb derselbe seinem Gedächtniß gegenwärtig – saß Litwinow wieder im Ossinin’schen Gastzimmer und blickte stumm und betrübt auf die Straße hinaus, innerlich sich selbst zürnend, daß er nicht die Kraft besitze, sich loszureißen. Wenn ein Fluß unter dem Fenster vorbeigeflossen wäre, die Verzweiflung würde ihn vielleicht hineingetrieben haben, seiner unerträglichen Qual ein Ende zu machen.
Irina hatte sich in einiger Entfernung von ihm, ohne ein Wort zu reden oder sich zu bewegen, niedergesetzt. Seit ein paar Tagen schon hatte sie weder mit ihm, noch überhaupt mit sonst Jemandem gesprochen.
Dieses kalte Schweigen länger zu ertragen, schien ihm nicht mehr möglich; seine Kraft war erschöpft, und er stand auf und fing an, ohne ein Wort des Abschieds СКАЧАТЬ