Автор: Фридрих Дюрренматт
Издательство: КАРО
Жанр: Классические детективы
Серия: Moderne Prosa
isbn: 978-5-9925-0493-4
isbn:
Von Schwendi beugte sich vor und sah Lutz mit seinen rotunterlaufenen, verschwommenen Augen an. „Das erklärt alles“, sagte er, „Schmied spionierte für eine fremde Macht.“
„Wie meinst du das?“ fragte Lutz hilfloser denn je.
„Ich meine“, sagte der Nationalrat, „dass die Polizei vor allem jetzt einmal untersuchen muss, aus was für Gründen[121] Schmied bei Gastmann war.“
„Die Polizei sollte vor allen Dingen[122] zuerst etwas über Gastmann wissen, lieber Oskar“, widersprach Lutz.
„Gastmann ist für die Polizei ganz ungefährlich“, antwortete von Schwendi, „und ich möchte auch nicht, dass du dich mit ihm abgibst[123] oder sonst jemand von der Polizei. Es ist dies sein Wunsch, er ist mein Klient, und ich bin da, um zu sorgen, dass seine Wünsche erfüllt werden.“
Diese unverfrorene Antwort schmetterte Lutz so nieder, dass er zuerst gar nichts zu erwidern vermochte. Er zündete sich eine Zigarette an, ohne in seiner Verwirrung von Schwendi eine anzubieten[124]. Erst dann setzte er sich in seinem Stuhl zurecht und entgegnete:
„Die Tatsache, dass Schmied bei Gastmann war, zwingt leider die Polizei, sich mit deinem Klienten zu befassen[125], lieber Oskar.“
Von Schwendi ließ sich nicht beirren. „Sie zwingt die Polizei vor allem, sich mit mir zu befassen, denn ich bin Gastmanns Anwalt“, sagte er. „Du kannst froh sein, Lutz, dass du an mich geraten bist; ich will ja nicht nur Gastmann helfen, sondern auch dir. Natürlich ist der ganze Fall meinem Klienten unangenehm, aber dir ist er viel peinlicher, denn die Polizei hat bis jetzt noch nichts herausgebracht. Ich zweifle überhaupt daran, dass ihr jemals Licht in diese Angelegenheit bringen werdet.“
„Die Polizei“, antwortete Lutz, „hat beinahe jeden Mord aufgedeckt, das ist statistisch bewiesen. Ich gebe zu, dass wir im Falle Schmied in gewisse Schwierigkeiten geraten sind[126], aber wir haben doch auch schon – er stockte ein wenig – beachtliche Resultate zu verzeichnen. So sind wir von selbst auf Gastmann gekommen, und wir sind denn auch der Grund, warum dich Gastmann zu uns geschickt hat. Die Schwierigkeiten liegen bei Gastmann und nicht bei uns, an ihm ist es, sich über den Fall Schmied zu äußern[127], nicht an uns. Schmied war bei ihm, wenn auch unter falschem Namen; aber gerade diese Tatsache verpflichtet die Polizei, sich mit Gastmann abzugeben, denn das ungewohnte Verhalten des Ermordeten belastet doch wohl zunächst Gastmann. Wir müssen Gastmann einvernehmen und können nur unter der Bedingung davon absehen, dass du uns völlig einwandfrei erklären kannst, warum Schmied bei deinem Klienten unter falschem Namen zu Besuch war, und dies mehrere Male, wie wir festgestellt haben.“
„Gut“, sagte von Schwendi, „reden wir ehrlich miteinander. Du wirst sehen, daß nicht ich eine Erklärung über Gastmann abzugeben habe, sondern dass ihr uns erklären müsst, was Schmied in Lamboing zu suchen hatte. Ihr seid hier die Angeklagten, nicht wir, lieber Lutz.“
Mit diesen Worten zog er einen weißen Bogen hervor, ein großes Papier, das er auseinanderbreitete und auf das Pult des Untersuchungsrichters legte.
„Das sind die Namen der Personen, die bei meinem guten Gastmann verkehrt haben[128]“, sagte er. „Die Liste ist vollständig. Ich habe drei Abteilungen gemacht. Die erste scheiden wir aus, die ist nicht interessant, das sind die Künstler. Natürlich kein Wort gegen Kraushaar-Raffaeli, der ist Ausländer; nein, ich meine die inländischen, die von Utzenstorf und Merligen. Entweder schreiben sie Dramen über die Schlacht am Morgarten[129] und Niklaus Manuel[130], oder sie malen nichts als Berge. Die zweite Abteilung sind die Industriellen. Du wirst die Namen sehen, es sind Männer von Klang, Männer, die ich als die besten Exemplare der schweizerischen Gesellschaft ansehe. Ich sage dies ganz offen, obwohl ich durch die Großmutter mütterlicherseits von bäuerlichem Blut abstamme.“
„Und die dritte Abteilung der Besucher Gastmanns?“ fragte Lutz, da der Nationalrat plötzlich schwieg und den Untersuchungsrichter mit seiner Ruhe nervös machte, was natürlich von Schwendis Absicht war.
„Die dritte Abteilung“, fuhr von Schwendi endlich fort, „macht die Angelegenheit Schmied unangenehm, für dich und auch für die Industriellen, wie ich zugebe; denn ich muss nun auf Dinge zu sprechen kommen, die eigentlich vor der Polizei streng geheim gehalten werden müssten. Aber da ihr von der Berner Polizei es nicht unterlassen konntet, Gastmann aufzuspüren, und da es sich nun peinlicherweise herausstellt, dass Schmied in Lamboing war, sehen sich die Industriellen gezwungen, mich zu beauftragen, die Polizei, soweit dies für den Fall Schmied notwendig ist, zu informieren. Das Unangenehme für uns besteht nämlich darin, dass wir politische Vorgänge von eminenter Wichtigkeit aufdecken müssen, und das Unangenehme für euch, dass ihr die Macht, die ihr über die Menschen schweizerischer und nichtschweizerischer Nationalität in diesem Land besitzt, über die dritte Abteilung nicht habt.“
„Ich verstehe kein Wort von dem, was du da sagst“, meinte Lutz.
„Du hast eben auch nie etwas von Politik verstanden, lieber Lucius“, entgegnete von Schwendi. „Es handelt sich bei der dritten Abteilung um Angehörige einer fremden Gesandtschaft, die Wert darauf legt, unter keinen Umständen[131] mit einer gewissen Klasse von Industriellen zusammen genannt zu werden.“
Neuntes Kapitel
Jetzt begriff Lutz den Nationalrat, und es blieb lange still im Zimmer des Untersuchungsrichters. Das Telephon klingelte, doch Lutz nahm es nur ab, um „Konferenz“ hineinzuschreien, worauf er wieder verstummte. Endlich jedoch meinte er: „Soviel ich weiß, wird aber doch mit dieser Macht jetzt offiziell um ein neues Handelsabkommen verhandelt.“
„Gewiß, man verhandelt“, entgegnete der Oberst. „Man verhandelt offiziell, die Diplomaten wollen doch etwas zu tun haben. Aber man verhandelt noch mehr inoffiziell, und in Lamboing wird privat verhandelt. Es gibt schließlich in der modernen Industrie Verhandlungen, in die sich der Staat nicht einzumischen hat, Herr Untersuchungsrichter.“
„Natürlich“, gab Lutz eingeschüchtert zu.
„Natürlich“, wiederholte von Schwendi. „Und diesen geheimen Verhandlungen hat der nun leider erschossene Leutnant der Stadtpolizei Bern, Ulrich Schmied, unter falschem Namen beigewohnt.“
Am neuerlichen betroffenen Schweigen des Untersuchungsrichters erkannte von Schwendi, dass er richtig gerechnet hatte. Lutz war so hilflos geworden, dass der Nationalrat nun mit ihm machen konnte, was er wollte. Wie es bei den meisten etwas einseitigen Naturen der Fall ist, irritierte der unvorhergesehene Ablauf des Mordfalls Ulrich Schmied den Beamten so sehr[132], dass er sich in einer Weise beeinflussen ließ und Zugeständnisse machte, die eine objektive Untersuchung der Mordaffäre in Frage stellen mussten[133].
Zwar СКАЧАТЬ
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133