Wilhelm Meisters Wanderjahre — Band 3. Johann Wolfgang von Goethe
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СКАЧАТЬ fort und schafft ihm einen Rock auf den Leib wie angegossen. Doch das wäre nicht möglich, hätte sie nicht auch eine Nähterin herangezogen, Montans Lydie, die nun einmal still geworden ist und still bleibt, aber auch reinlich näht wie keine, Stich für Stich wie Perlen, wie gestickt. Das ist nun, was aus den Menschen werden kann; eigentlich hängt so viel Unnützes um uns herum, aus Gewohnheit, Neigung, Zerstreuung und Willkür, ein Lumpenmantel zusammengespettelt. Was die Natur mit uns gewollt, das Vorzüglichste, was sie in uns gelegt, können wir deshalb weder auffinden noch ausüben."

      Allgemeine Betrachtungen über die Vorteile der geselligen Verbindung, die sich so glücklich zusammengefunden, eröffneten die schönsten Aussichten.

      Als nun Lenardo sich hierauf zu ihnen gesellte, ward er von Wilhelmen ersucht, auch von sich zu sprechen, von dem Lebensgange, den er bisher geführt, von der Art, wie er sich und andere gefördert, freundliche Nachricht zu erteilen.

      "Sie erinnern sich gar wohl, mein Bester", versetzte Lenardo, "in welchem wundersamen, leidenschaftlichen Zustande Sie mich den ersten Augenblick unserer neuen Bekanntschaft getroffen; ich war versunken, verschlungen in das wunderlichste Verlangen, in eine unwiderstehliche Begierde, es konnte damals nur von der nächsten Stunde die Rede sein, vom schweren Leiden, das mir bereitet war, das mir selbst zu schärfen ich mich so emsig erwies. Ich konnte Sie nicht bekannt machen mit meinen früheren Jugendzuständen, wie ich jetzt tun muß, um Sie auf den Weg zu führen, der mich hierher gebracht hat.

      Unter den frühsten meiner Fähigkeiten, die sich nach und nach durch Umstände entwickelten, tat sich ein gewisser Trieb zum Technischen hervor, welcher jeden Tag durch die Ungeduld genährt wurde, die man auf dem Lande fühlt, wenn man bei größeren Bauten, besonders aber bei kleinen Veränderungen, Anlagen und Grillen ein Handwerk ums andere entbehren muß und lieber ungeschickt und pfuscherhaft eingreift, als daß man sich meistermäßig verspäten ließe. Zum Glück wanderte in unserer Gegend ein Tausendkünstler auf und ab, der, weil er bei mir seine Rechnung fand, mich lieber als irgendeinen Nachbar unterstützte; er richtete mir eine Drechselbank ein, deren er sich bei jedem Besuch mehr zu seinem Zwecke als zu meinem Unterricht zu bedienen wußte. So auch schaffte ich Tischlerwerkzeug an, und meine Neigung zu dergleichen ward erhöht und belebt durch die damals laut ausgesprochene überzeugung: es könne niemand sich ins Leben wagen, als wenn er es im Notfall durch Handwerkstätigkeit zu fristen verstehe. Mein Eifer ward von den Erziehern nach ihren eigenen Grundsätzen gebilligt; ich erinnere mich kaum, daß ich je gespielt habe, denn alle freien Stunden wurden verwendet, etwas zu wirken und zu schaffen. Ja ich darf mich rühmen, schon als Knabe einen geschickten Schmied durch meine Anforderungen zum Schlösser, Feilenhauer und Uhrmacher gesteigert zu haben.

      Das alles zu leisten mußten denn freilich auch erst die Werkzeuge erschaffen werden, und wir litten nicht wenig an der Krankheit jener Techniker, welche Mittel und Zweck verwechseln, lieber Zeit auf Vorbereitungen und Anlagen verwenden, als daß sie sich recht ernstlich an die Ausführung hielten. Wo wird uns jedoch praktisch tätig erweisen konnten, war bei Auszierung der Parkanlagen, deren kein Gutsbesitzer mehr entbehren durfte; manche Moos — und Rindenhütte, Knittelbrücken und Bänke zeugten von unserer Emsigkeit, womit wir eine Urbaukunst in ihrer ganzen Roheit mitten in der gebildeten Welt darzustellen eifrig bemüht gewesen.

      Dieser Trieb führte mich bei zunehmenden Jahren auf ernstere Teilnahme an allem, was der Welt so nütze und in ihrer gegenwärtigen Lage so unentbehrlich ist, und gab meinen mehrjährigen Reisen ein eigentlichstes Interesse.

      Da jedoch der Mensch gewöhnlich auf dem Wege, der ihn herangebracht, fortzuwandern pflegt, so war ich dem Maschinenwesen weniger günstig als der unmittelbaren Handarbeit, wo wir Kraft und Gefühl in Verbindung ausüben; deswegen ich mich auch besonders in solchen abgeschlossenen Kreisen gern aufhielt, wo nach Umständen diese oder jene Arbeit zu Hause war. Dergleichen gibt jeder Vereinigung eine besondere Eigentümlichkeit, jeder Familie, einer kleinen, aus mehreren Familien bestehenden Völkerschaft den entschiedensten Charakter; man lebt in dem reinsten Gefühl eines lebendigen Ganzen.

      Dabei hatte ich mir angewöhnt, alles aufzuzeichnen, es mit Figuren auszustatten und so, nicht ohne Aussicht auf künftige Anwendung, meine Zeit löblich und erfreulich zuzubringen.

      Diese Neigung, diese ausgebildete Gabe benutzt' ich nun aufs beste bei dem wichtigen Auftrag, den mir die Gesellschaft gab, den Zustand der Gebirgsbewohner zu untersuchen und die brauchbaren Wanderlustigen mit in unsern Zug aufzunehmen. Mögen Sie nun den schönen Abend, wo mich mannigfaltige Geschäfte drängen, mit Durchlesung eines Teils meines Tagebuchs zubringen? Ich will nicht behaupten, daß es gerade angenehm zu lesen sei; mir schien es immer unterhaltend und gewissermaßen unterrichtend. Doch wir bespiegeln ja uns immer selbst in allem, was wir hervorbrachten."

      Fünftes Kapitel

      Lenardos Tagebuch

      Montag, den 15.

      Tief in der Nacht war ich nach mühsam erstiegener halber Gebirgshöhe eingetroffen in einer leidlichen Herberge und ward schon vor Tagesanbruch aus erquicklichem Schlaf durch ein andauerndes Schellen — und Glockengeläute zu meinem großen Verdruß aufgeweckt. Eine große Reihe Saumrosse zog vorbei, eh' ich mich hätte ankleiden und ihnen zuvoreilen können. Nun erfuhr ich auch, meinen Weg antretend, gar bald, wie unangenehm und verdrießlich solche Gesellschaft sei. Das monotone Geläute betäubt die Ohren; das zu beiden Seiten weit über die Tiere hinausreichende Gepäck (sie trugen diesmal große Säcke Baumwolle) streift bald einerseits an die Felsen, und wenn das Tier, um dieses zu vermeiden, sich gegen die andere Seite zieht, so schwebt die Last über dem Abgrund, dem Zuschauer Sorge und Schwindel erregend, und, was das Schlimmste ist, in beiden Fällen bleibt man gehindert, an ihnen vorbeizuschleichen und den Vortritt zu gewinnen.

      Endlich gelangt' ich an der Seite auf einen freien Felsen, wo St. Christoph, der mein Gepäck kräftig einhertrug, einen Mann begrüßte, welcher stille dastehend den vorbeiziehenden Zug zu mustern schien. Es war auch wirklich der Anführer; nicht nur gehörte ihm eine beträchtliche Zahl der lasttragenden Tiere, andere hatte er nebst ihren Treibern gemietet, sondern er war auch Eigentümer eines geringern Teils der Ware; vornehmlich aber bestand sein Geschäft darin, für größere Kaufleute den Transport der ihrigen treulich zu besorgen. Im Gespräch erfuhr ich von ihm, daß dieses Baumwolle sei, welche aus Mazedonien und Cypern über Triest komme und vom Fuße des Berges auf Maultieren und Saumrossen zu diesen Höhen und weiter bis jenseits des Gebirgs gebracht werde, wo Spinner und Weber in Unzahl durch Täler und Schluchten einen großen Vertrieb gesuchter Waren ins Ausland vorbereiteten. Die Ballen waren bequemeren Ladens wegen teils anderthalb, teils drei Zentner schwer, welches letztere die volle Last eines Saumtiers ausmacht. Der Mann lobte die Qualität der auf diesem Wege ankommenden Baumwolle, verglich sie mit der von Ost — und Westindien, besonders mit der von Cayenne, als der bekanntesten; er schien von seinem Geschäft sehr gut unterrichtet, und da es mir auch nicht ganz unbekannt geblieben war, so gab es eine angenehme und nützliche Unterhaltung. Indessen war der ganze Zug vor uns vorüber, und ich erblickte nur mit Widerwillen auf dem in die Höhe sich schlängelnden Felsweg die unabsehliche Reihe dieser bepackten Geschöpfe, hinter denen her man schleichen und in der herankommenden Sonne zwischen Felsen braten sollte. Indem ich mich nun gegen meinen Boten darüber beschwerte, trat ein untersetzter, munterer Mann zu uns heran, der auf einem ziemlich großen Reff eine verhältnismäßig leichte Bürde zu tragen schien. Man begrüßte sich, und es war gar bald am derben Händeschütteln zu sehen, daß St. Christoph und dieser Ankömmling einander wohl bekannt seien; da erfuhr ich denn sogleich über ihn folgendes. Für die entfernteren Gegenden im Gebirge, woher zu Markte zu gehen für jeden einzelnen Arbeiter zu weit wäre, gibt es eine Art von untergeordnetem Handelsmann oder Sammler, welcher Garnträger genannt wird. Dieser steigt nämlich durch alle Täler und Winkel, betritt Haus für Haus, bringt den Spinnern Baumwolle in kleinen Partien, tauscht dagegen Garn ein oder kauft es, von welcher Qualität es auch sein möge, und überläßt es dann wieder mit einigem Profit im größern an die СКАЧАТЬ