Название: Münchhausen
Автор: Karl Immermann
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Es war um die Zeit, als nach der glücklichen Herstellung der alten Verhältnisse Kurfürst Wilhelm in die Hallen seiner Väter zurückgekehrt war, und unter mehreren früheren bewährten Einrichtungen auch jene Verlängerung des Haarwuchses wieder eingeführt hatte, welche man im Deutschen mit dem Namen Zopf zu belegen pflegt. Auch diese Zeit ist längst vorüber, die Kunde von ihr klingt fast wie die Mär von dem versunkenen Eilande Atlantis; der historischen Dichtung aber ziemt es, nichts in der Geschichte verlorengehen zu lassen, nicht einmal den ehemaligen kurhessischen Zopf.
Es war spät abends und Kassels Bewohner schliefen schon, oder legten sich zu Bett. Auf dem Schlosse aber war es im Kabinett des Fürsten noch hell. Die Soirée war zwar geendigt, jedoch hielt der alte würdige Herrscher noch einige seiner Auserwählten um sich versammelt. Man hatte sich auf die gewohnte Weise von der Zwischenregierung und von dem wunderbaren Umschwunge der Dinge unterhalten. Der Kurfürst, welcher seine Gardeuniform, Klappenweste und steife Stiefeln trug, stand fest auf das spanische Rohr mit goldnem Knopfe gestützt, und sagte: »Es bleibet dabei, Ich agnosziere nichts von dem, was Mein Verwalter Jérôme inzwischen angeordnet hat. Wer darunter leidet, mag sich an Meinen Verwalter halten, dem Wir nicht die Macht gegeben hatten, auf seinen Kopf neue Sachen einzuführen, und der mithin bei derartigen Tathandlungen Mandatum exzedieret hat. Wir wissen wohl, daß Wir dieserwegen der Zensur etlicher unruhiger Köpfe unterliegen, aber das läßt Uns völlig unangefochten in Unsrem Gewissen, und Wir vertrauen hierinnen gänzlich der göttlichen Providenz, die Uns nach kurzer Überwältigung in Unsre Erbstaaten zurückgeführet, und deutsche Treue und Redlichkeit auf Unsrem Territorio retablieret hat. Habt Ihr das Edikt verfasset, wodurch den Domänen-Ankäufern alle und jegliche Hoffnung, sich in ihrem unrechtfertigen Besitze zu maintenieren, entzogen wird?«
»Das ließ ich meine eiligste Sorge sein«, versetzte der Angeredete, der Geheime Rat Vellejus Paterculus. »Es war in der Tat hohe Zeit, daß deutsche Treue und Redlichkeit bei uns retabliert wurde.«
»Man kennet Mich noch nicht gehörig«, fuhr der alte kräftige Fürst mit erhobener Stimme fort. »Ich habe schon einmal die Gassenkehrer zur Korrektion der Weichlinge und Schwelger in neumodischen französischen Kleidern die Straßen fegen lassen, und es dürfte passieren, daß sich gleiches oder ähnliches abermalen ereignete, wenn man Uns zuviel Ärgernis gibt. Dieses Kassel war unter der Wirtschaft Meines Verwalters ein liederlicher Ort geworden, und alle Zucht und Sitte hatte Abschied genommen.«
Eine Dame näherte sich dem Fürsten, und sagte mit schmeichelndem Tone: »Ereifre dich nicht, Väterchen, du hast ja beides, Zucht und Sitte, hier wieder eingeführt.«
Sie und der Geheime Rat Vellejus Paterculus wurden hierauf entlassen. Nur der Baron von Rothschild verblieb noch bei dem Fürsten. Er war nach Kassel gekommen, um mit seinem erlauchten Geschäftsfreunde Abrechnung zu halten, und hatte jetzt zu vernehmen, daß der Kurfürst die in des Barons Händen beruhenden Fonds ihm nicht länger zu sieben Prozent lassen könne, sondern auf dem achten fortan bestehen müsse.
Der Baron von Rothschild war durch diese Nachricht und Eröffnung im tiefsten erschüttert. Er schwor bei dem Gotte Abrahams, Isaaks und Jakobs, daß ihn eine solche Maßregel in das Verderben stürze, da aber sein hoher Gläubiger fest darauf bestand, und ihn für den Fall des Weigerns mit der Kündigung bedrohte, so gab der Baron endlich mit blutendem Herzen nach und erwog zu seinem Troste im stillen, daß in seiner Bank das Pfund mit zwanzig Prozent wuchre, ihm sonach allerdings zwölf noch übrig verblieben.
Der Fürst hatte bei der ganzen Verhandlung seine Haltung unerschütterlich bewahrt. Jetzt stieß er das Fenster auf, sah in die sternenklare Nacht und sagte: »Wenn Ich consideriere, daß Ich wieder hier im Palais bin, und welche Interessen Mir die englischen Gelder, die Ich dazumal für das amerikanische Corps erhielt, in Seinen Händen getragen haben, Rothschild, so muß Ich sprechen: Der alte Gott lebet noch und lässet nicht zuschanden werden.«
Der Baron erwiderte etwas verstimmt: »Warum soll nicht leben der alte Gott, da noch leben Eur‘ Hoheit? Wie kann man werden zuschanden mit acht Prozent?«
Während sich diese Begebenheiten im Innern des Schlosses zutrugen, erzählten unten in der Wachtstube die sechs Gebrüder Piepmeyer ihren Kameraden Gespenstergeschichten. Die sechs Gebrüder Piepmeyer waren die sechs Söhne des Kastellans Piepmeyer auf der Löwenburg. Dieser Mann hatte, wie es bei solchen Aufsehern herrschaftlicher Schlösser der Fall zu sein pflegt, die loyalsten Gesinnungen, und in denselben auch seine Söhne erzogen. Man konnte daher von dieser Familie behaupten, daß in sieben Individuen nur ein und dasselbe hessische Herz schlage. Vater Piepmeyer war derjenige gewesen, welcher sich bei dem Einzuge des Kurfürsten auf einen Eckstein gestellt, jubelnd seinen durch alle Verführungen der Fremdherrschaft hindurch geretteten Zopf geschwungen und gerufen hatte: »Durchlaucht! Durchlaucht! meiner sitzt noch!« was dem alten Herrn die erste wahre Regentenfreude in seinen Staaten bereitet haben soll. Sobald nun die sechs Söhne Piepmeyer, welche zwei Paar Drillinge waren, die Mutter Piepmeyer in zwei nacheinanderfolgenden Jahren ihrem Gatten geschenkt hatte, in das Soldatenalter traten, ließ Vater Piepmeyer alle sechs an einem und demselben Tage in die kurfürstliche Zopf- und Stiefeletten-Garde eintreten. Sie hatten alle sechs dasselbe Maß, nämlich sechs Fuß, drei Striche; hielten auf die völlige Identität ihrer Stiefeletten und Zöpfe, und sahen einander überhaupt zum Verwechseln gleich, so daß der Kommandeur sie mit verschiedenfarbigen Strichen über der Nase bezeichnen lassen mußte, um sie im Dienst unterscheiden zu können. Karl Piepmeyer bekam einen gelben, Heinrich Piepmeyer einen blauen, Ferdinand Piepmeyer einen roten, Guido Piepmeyer einen orangefarbnen, Christian Piepmeyer einen grünen, Romeo Piepmeyer einen silbergrauen und Peter Piepmeyer einen schwarzen Strich über der Nase. Aber außer dem Dienste, wo sie sich als Menschen fühlten, wischten sie die Striche ab.
Diese sechs Brüder von der Löwenburg erzählten den andern hessischen Wachtmannschaften folgende Geschichte: »Ihr mögt es nun glauben oder nicht, aber so ist der alte Herr alle Jahre, während er in der Fremde war, an seinem Geburtstage jedesmal droben auf der Burg gewesen. An diesem Tage war es von frühmorgens an schon immer unruhig droben, es tat sich ein Schwirren in den seidnen Gardinen hervor, die Gardinenbetten knackten, die Harnische in der Rüstkammer rasselten, der Wetterhahn auf dem Turme hat unaufhörlich mit den Flügeln geschlagen. Schon als Knaben bemerkten wir alles dieses und noch mehreres, aber wir achteten dessen nicht, bis uns der Vater, nachdem wir fünfzehn Jahre alt und konfirmiert worden waren, beiseite nahm und uns das Burggeheimnis entdeckte, welches in nichts anderem bestand, als daß der Kurfürst, wiewohl weit entfernt im böhmischen Lande, dennoch auf seiner Burg seinen Geburtstag feire. Er komme nämlich um sechs Uhr abends gerade zur Stunde, wo vor Zeiten an der Ständetafel die Gesundheit ausgebracht worden sei, und man die Kanonen vor der Aue gelöst habe, in das gelbe Kommodenzimmer, worin der alte Fritz als kleiner Junge abgemalt hängt, gegangen, und verlustiere sich dort eine halbe Stunde lang.
Das nächste Jahr gab uns der Vater die Sache zu schauen. Nämlich, wir steckten uns mit ihm sacht hinter den grünen Vorhang im gelben Kommodenzimmer. Was geschieht? Wie die Glocke auf dem Schloßturm sechs schlägt, hören wir auf dem langen Rittergange, der zum Zimmer führt, Türe nach Türe aufklappen, endlich springt auch die vom gelben Kommodenzimmer auf, und herein tritt der Herr, wie er leibt und lebt, steife Stiefeln, gekollerte Hosen, Montierung, dreieckichter Hut, Klebelocken, kurz alles und jedes. Setzt sich an das Fenster, was nach dem Garten sieht, macht sich eine Pfeife Tabak an, raucht, daß der Dampf davon geht, kuckt unterweilen in den Garten, klopft, wie die Pfeife zu Ende geraucht ist, dieselbe aus, daß wir nachmals noch die Asche auf dem Getäfel gefunden haben, erhebt sich dann, geht still aus dem gelben Kommodenzimmer und so weiter, wo wir denn die Türen im langen Rittergange nacheinander wieder zuklappen hören. Das ganze gelbe Kommodenzimmer war voll Rauch, Varinas linker Hand oben, wir haben alle sieben, wir sechs Brüder und unser Vater, deutlich die Sorte gerochen.«
Als die Gebrüder Piepmeyer diese Geschichte ihren Kameraden erzählt hatten, erhob sich in der Wachtstube ein hitziger Streit; denn...«
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