Claus Störtebecker. Georg Engel
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Название: Claus Störtebecker

Автор: Georg Engel

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ weit aufgestemmten Armen lag Claus über die Tischplatte geworfen, sein glühend Antlitz hatte er auf beide Fäuste gestützt; und das Klagen und Jammern der Landleute floß in die Adern des Jungen hinein wie zischendes Blei. Es zerstach ihm das Hirn, es zerriß ihm die Augen, so daß vorübergehend sogar das Bild der üppigen Dirne aus ihnen herausstürzte; das unverstandene Drängen und Jagen des Burschen nach vom Himmel strömendem Segen, nach einem Wohlstand, der jedem gleichmäßig die Hand reichte, über welche kümmerliche Scholle er auch schritt, diese gierige Sehnsucht, die sich so ungleiche Schwingen geborgt hatte, die eine von den demütigen Lehren des Pater Franziskus, die andere von den stachelnden Einflüsterungen des kleinen Magisters, jetzt rissen ihn die starken Fittiche über seine irdische Besessenheit hinaus.

      Drinnen in der Kammer walkte die Becke das Bett kräftiger, Claus Beckera jedoch überhörte die aufreizende Hantierung, denn Zorn und Mitleid hatten ihn längst an diese entrechteten Bauern gekettet, deren Plage ihm widersinnig und unmenschlich erschien. Es war eine geschnürte, drohende Unruhe in seiner Stimme, als er sich jetzt flüsternd erkundigte, ob sich denn keiner der Vergewaltigten gegen das schreiende Unrecht zur Wehr gesetzt? Da warfen die Landleute scheue, betretene Blicke auf den unreifen Buben, aber endlich steckten sie die Häupter zusammen und wiesen mit Fingern auf einen untersetzten Mann am Ende der Bank. Der saß in seinem braunen Bauerngewand in sich versunken da, über den violetten Halskragen, der ihm das gefurchte Antlitz zum Teil verhüllte, war noch ein unscheinbarer Tellerhut gedrückt, allein selbst durch diese Vermummung hindurch hatte Claus aufgefangen, wie der Mann, sooft er sich unbeobachtet wähnte, zuweilen schwer vor sich hinseufzte. Bald griff der Einsame tastend nach dem kurzen Schwert an seiner Seite und von dort wieder unsicher nach dem Stiel einer Axt, die er zwischen seine Knie gelehnt hatte. Kaum aber bemerkte der Grübler die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit, als er zusammenschrak und der Wirtin heftig winkte, er wolle seine Zeche bezahlen. »Tummle dich, Weib«, drängte er, indem er sich mißtrauisch in den Ecken umsah, bis sein unsteter Blick endlich auf einem zusammengeduckten Sprenkelbart haftenblieb, auf einem schmutzigen Juden, der in seinem gelben Schandrock und der roten Zwangskappe müde auf einem Holzblock neben dem Eingang hockte, wo er von allen übersehen, gleich einem Stück Niemand, ruhig ein Näpfchen Suppe schlürfte. Der Mann mit der Axt jedoch schrie hämisch auf und schlug sich, wie in nagendem Grimm, den flachen Hut tiefer über das Haupttuch. »Für den da, für den verfluchten Juden bezahle ich mit«, rief er schneidend, während die tiefen Furchen in seinem braunen Sorgenantlitz zuckten. »Komm, Mauschel, bist der richtige Gesell für mich. Leck deine Schüssel leer, und dann fort.«

      »Was ist mit dem Hebraicus?« unterbrach Heino Wichmann von seinem Tischplatz aus spürend. Die feinen Nasenlöcher des Kleinen witterten dabei wie die eines Jagdhundes, und sein ungleiches Augenpaar sprang die beiden Weggenossen so lauernd und zerfleischend an, daß jeder von ihnen unwillkürlich nach seinen Habseligkeiten griff.

      »Was soll sein?« stammelte der Jude, indem er sich mühsam emporraffte. »Ich wandere.«

      »Ja, und ich will dir auch sagen, warum«, kreischte die Sibba und riß ihm die Schale aus der Hand. »In Potthagen, wo du wohnst, da hat das große Sterben schon wieder angehoben. Und was steckt dahinter? Ihr Krummnasen, ihr Herrgottsmörder habt die Brunnen vergiftet. Ist es etwa nicht wahr? Man sollte dich totschlagen, du garstiges Gewürm.«

      Ein einziger, ein heulender Schrei kam von den gereizten Bauern. Geballte Fäuste fuchtelten in der Luft, und ein schwerer Steinkrug flog schmetternd gegen die Brust des Verhaßten. Welch eine Wollust, sein eigenes Leid abwälzen zu können. Stöhnend sank der Jude auf seinem Platz zusammen, und erst nach einer Weile vermochte er hervorzukeuchen:

      »Gestern ist mein eigen Weib und mein Sohn verröchelt. Glaubt ihr –?« Er murmelte etwas Unverständliches.

      Doch der Abscheu der Landleute tobte weiter.

      »Stoßt ihn ins Feuer, den Mauschel, soll er uns vielleicht den schwarzen Gevatter an den Hals Hetzen?«

      Polternd sprangen die Männer hinter dem Tisch in die Höhe, ein fluchendes Getümmel umzüngelte alsbald das Opfer ihrer Wut, und der Angehörige eines aus den Reihen der Menschheit verwiesenen Stammes ließ seine schwarzen Augen ungläubig und doch bereits auf alles gefaßt von einem der Bedränger zum anderen rollen. Allein nirgends erspähte er Gnade, überall nur sinnlose Fremdheit und schäumenden Haß. Da – beinahe im letzten Augenblick –, was war das? Da setzte etwas Wirbliges, Zappelndes, Strohblondes mit einem katzenhaften Sprung von dem Tisch bis dicht vor den Angegriffenen hin, ein helles Gelächter wurde aufgeschlagen, und merkwürdig, die kleine Kinderfigur schien plötzlich biegsam, wuchtig, stahlhart wie eine gute Klinge, die sich zum Hieb erhoben. Im gleichen Moment freilich war auch Claus Beckera in das Gewühl geschossen. Ihn leitete kein besonderes Mitgefühl für diesen umstellten Juden, nur das stürmische Weh für alle Unterdrückten äußerte sich rückhaltlos auch hier. Es war eine wundervolle Bewegung, als sich jetzt die überragende Gestalt schutzbereit vorwarf, halb geschmeidig, halb gebieterisch. Dazu flammten die schwarzen Augen in einem dunklen, bannenden Feuer, und die metallische Stimme füllte das ganze Haus mit solch fortreißenden Wirbeln einer geschlagenen Trommel, daß selbst die Becke, die neugierig am Pfosten der Kammer lehnte, ihren Nacken von einem eigenartigen Schauder überkräuselt fühlte. »Weh dem Armen«, schleuderte der zum erstenmal in eine wache Geisterwelt Entrückte seinen Angreifern entgegen, »weh dem Armen, der einen anderen Elenden entheiligt.«

      Die Bauern sahen sich an, verstanden nicht und wichen vor der drohend gereckten Faust zurück. Eine Stille, ein Verstummen fiel in den Tumult, um gleich darauf durch ein quirlendes, sich überschlagendes Gelächter abgelöst zu werden.

      »Hört – hört den Bußprediger«, schüttelte sich Heino Wichmann, und sein Lachen legte sich wie ein Wall vor den Juden. »Aber nun verstattet auch mir ein Wörtlein, ihr Heufresser.«

      »Was sagt er?« murmelten die Bauern, die es nicht begriffen, wie ein Zwerg es wagen könnte, sie zu beschimpfen.

      »Ich sage«, fuhr der Kleine in ungetrübter Ruhe fort, während er gelassen vor dem Hebräer auf und ab wanderte, »daß ihr ein Querholz vor der Stirn tragt und Ochsen seid.«

      Die Bauern rührten sich nicht und horchten. Selbst die Becke, die nur das Bild des glühenden Knaben verschlang, beugte sich vor.

      »Ich dachte, ihr wolltet Edelwild jagen?« sprach der Magister schneidend weiter, und in seinen Augen funkelte eine aufreizende Flamme von Bosheit und verführerischem Aufruhr. »Ein Kesseltreiben gegen den zweibeinigen Schädling!? Oder meint ihr, diejenige Meute sei die beste, die sich selbst zerfleischt?«

      Noch nie hatte Claus die aufwühlende Gewalt des Kleinen auf eine erregte Schar verzweifelter Männer überspringen sehen, jetzt fühlte er selbst, wie die glühende Aufreizung ihm den Atem stocken ließ und daß er im Moment nichts anderes war als ein zitterndes Blatt an einem Strauch, den der Wind zaust. Blätter, bewußtlos vom Sturm geschüttelt, raunende Blätter wurden auch die übrigen. Die Brüste dehnten sich, die wilden Augen richteten sich starr auf den einen, von dem eine unbegreifliche Losung auszugehen schien, selbst der Jude vergaß die ihm nahe Gefahr, denn taumelnd richtete er sich auf und ergriff seinen Ranzen.

      »Wohin gehst du?« forschte Heino Wichmann unvermittelt wieder mit seiner weichen Mädchenstimme.

      »Ich wandere«, versetzte der Gefragte hartnäckig.

      »Ja, wir wandern«, wiederholte nun auch der Mann mit der Axt, der bisher wie im Traum gelauscht hatte. »Komm, Bruder.«

      Allein ehe die beiden sich noch aus dem erstarrten Kreise lösen konnten, stand der Kleine plötzlich zwischen ihnen, und leise und doch mit unentrinnbarer Eindringlichkeit sagte er:

      »Den einzigen, der dir die Flecken von der Axt fortwaschen kann, den findest du jetzt nicht. Der ist weit.«

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