Название: Claus Störtebecker
Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
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Ein wilder, unnatürlicher Schrei der Entfesselung war es, der aus der Kehle des Burschen raste. Selbst Heino Wichmann horchte überrascht auf, als dieses gellend grausame Signal von etwas Neuem, bisher Unerhörtem aus der Brust seines so schwer zu brechenden Zöglings herüberschmetterte. Gleich darauf jedoch schüttelte der Kleine leichtmütig, wie stets, den sich leise regenden Zweifel ab, und sein heller Diskant überschrillte sogar noch das wüste Toben der anderen, als er jetzt vor Begeisterung mit den Füßen auf dem Estrich trommelte, weil er wahrnahm, wie Claus von Glut übersiedet seine Last an den Tisch schleppte. Dort warf er das Mädchen, dessen Arme sich nicht von seinem Halse lösen wollten, mit einem Krach auf die Platte. Ringsum spritzte es aus Kannen und Bechern! Die Becke aber lehnte schnell ihre Wange an die ihres Ritters, versetzte ihm verliebt einen Nasenstüber und flüsterte erregt, jedoch von den anderen ungehört:
»Jetzt nicht. Lieber. Aber bleib hier. Ich zeig dir was.« Damit sprang sie von dem Tisch herab.
Es war ein Bild, wie es später die nordischen Maler aus dunklem Hintergrund herausleuchten ließen, sobald ihnen des Daseins derbe, überschäumende Lust aus keckem Pinsel floß. Aber damals strahlte über der Kunst ein strenger, heiliger Himmel, und auch in der Wirklichkeit versteckten sich solcherlei Begebenheiten noch verstohlen in den finsteren Ecken übel beleumdeter Schlupfwinkel.
Der Magister hatte sich inzwischen in die Höhe gefunden. Jetzt riß er sich die Kappe vom Haupt, daß ihm die langen gelben Haarsträhnen wirr auf die Schulter fielen, und schleuderte die Kopfbedeckung in die Luft.
»Laßt uns das Paar in Wein segnen«, piepste er mit seinem tollen Sperlingsgezwitscher. »Ersäufen wir in der Trauben Blut all die verruchte Plackerei. Riecht ihr es nicht? In Frau Sibbas edlem Haus verbirgt sich die Freiheit. Greift sie, ihr Schindluder, ihr findet sie sonst nirgends.«
»Greift sie«, schrie auch Claus Beckeras besessene Stimme. Flüchtig erschrak der Bube, als er sich selbst hörte, als das Fremde wie mit einer klirrenden Schere in seinen Gedanken herumschnitt, allein gleich darauf stürzte er umnebelt der entwischten Dirne nach. Die schaffte gerade am Herd, als er nach ihr tastete. Bissig schlug sie ihm auf die Rechte, funkelte ihn an, denn dies Gebaren des Gesellen war ihr nicht fremd, und herrschte hochmütig:
»Jetzt nicht, du unflügges Huhn. Ich hab's dir gesagt.«
Und abermals stand Claus behext, horchte verwundert auf und schüttelte das schmale Haupt.
Unwirsch hatte bis jetzt die Wirtin das Treiben der beiden Fremden gelten lassen, jetzt endlich riß ihr die Geduld. Mit einem ärgerlichen Gehüstel erhob sie sich von ihrem Herdsitz, und siehe da, als sie stand, streckte sie sich empor wie ein langer Pfahl, auf dessen oberer Kante schmutziger Schnee liegt. Langen Schrittes fuhr Frau Sibba sodann auf den Magister zu, wobei sie es für angebracht hielt, dem kleinen, scheinbar so ungefährlichen Kerlchen ohne weiteres mit der Knochenhand in den halboffenen Kragen zu greifen. »Wie steht es mit der Zeche?« wollte sie gerade zwischen ihren Zahnlücken liebevoll hervorpfeifen, da pluderte sich ihr Faltenrock kreisrund in die Höhe, und die von ihm bekleideten Glieder flogen, gleichsam geschleudert, auf den Holzhaufen hinter dem Herd zurück. Wie es geschehen, das konnte sich keiner erklären, da alles durcheinanderlärmte, aber sobald man durch den aufgestörten Kienqualm wieder hindurchschauen konnte, da tanzte der Strohblonde wie von Sinnen mitten in der Schenke herum, während er ein abgerissenes Glied seiner Goldkette hoch über dem Gelbkopf schwang. Dazu flötete Heino Wichmann, sich freundlich nach allen Seiten verbeugend, mit seinen süßesten Tönen, ob man ihn vielleicht auch jetzt noch daran hindern wolle, die hier versammelte Hundeheit durch Wein und Liebe von ihren Stricken abzubinden?
»Durch Wein und Liebe«, wiederholte Claus sinnlos und versank völlig in die vor ihm geöffnete Grube von Qualm und Glut. Die Becke wischte an ihm vorüber und küßte ihn anfeuernd auf den Nacken.
Das alles verschwamm vor dem schon Nüchtern-Berauschten und drehte ihn nur noch hilfloser in den kreisenden Wirbel. Was dann geschah, das tanzte vor ihm auf und ab. Bald hochflackernd, bald zusammenstürzend wie die blauen Flammen des Herdes. Er sah sich im engen Drang auf die Bank vor den Tisch geschoben, und aus dem Zinnkrug duftete ihm gärender Met entgegen. Er leerte den Becher mehrmals, und seine Sinne gaukelten fortan wie Schmetterlinge über dem süßen Trunk. Warum konnte er diesen oder jenen Gedanken nicht mehr festhalten? Aufgescheucht versuchte er es, aber es gelang ihm um keinen Preis. Statt dessen mußte er den Gängen der Becke nachspüren, die den Gästen immer von neuem das Trinkgeschirr auffüllte, es zog ihn, in ängstlicher Neugier ihren kurzen Rock zu streifen, ja einmal brüllte er drohend auf, als die Dirne sich verweilend auf die Knie eines alten, kahlköpfigen Mannes niederließ, dessen feiner blauer Bürgerrock keineswegs hierher zu gehören schien.
»Was schiert dich, Bübchen?« hörte er zwar gleich darauf die Aufwärterin lachen. Unhörbar war sie herangeschlichen, jetzt beugte sie sich über den Vernunftberaubten, und ihre Augen funkelten, als sie merkte, wie Reife und Knabenschaft in ihm Würfel spielten. Da umklammerte er erbittert die von Met und Hitze dampfenden Weibsarme, und schwankend zwischen Wut, abgründiger Verachtung und stöhnender Besessenheit bettete er sein Haupt an ihre Brust.
»Dummkopf«, sträubte sich die Eingefangene, »du reißt mir ja das Hemd.« Aber es klang doch keuchend, und nur schwerfällig entzog sie sich.
Entzückt über dieses schwindelhafte Werben hatte sich Heino Wichmann auf den Tisch geschwungen. Hier preßte sich das berauschte Kerlchen, obwohl seine zwiefarbigen Augen noch immer so frostig wie früher blinkten, die Rechte aufs Herz und sang mit seiner bohrenden Stimme einen Kehrreim, welcher zur Zeit der fatalen Münzverhältnisse unter dem zur Verzweiflung getriebenen Volke durch Dorf und Stadt lief:
»Dirn im Arm und Wenzels König Wenzel von Böhmen. Geld –«
Und sofort wieherte der Chor zur Antwort:
»Was ist falscher auf der Welt?«
»Ihr seid ein Spaßvogel, Kleiner«, sagte die Becke durchaus nicht beleidigt.
Der Sänger aber strich ihr gönnerhaft über die Zottelhaare.
»Und du ein schöner, fetter Bissen, Herzlein«, entgegnete er überlegen, »jedennoch, ich gönne dir alles Gute.«
Quirlende Pfiffe, die aus der Ecke schrillten, belohnten jenen anzüglichen Witz. Und wieder tanzten vor Claus die blauen Flämmchen, und die Schmetterlinge über dem Met taumelten schwer und flugtrunken –
Nach einer Weile ging die Becke und schlug in der Nebenkammer, öfter über die Schulter zurückspähend, das zerwühlte Lager zurecht. Diese Pause benützten die bäuerlichen Zecher zu Flüchen und Verwünschungen über die gotteszerrissene Zeit. Da war zuerst der feine blaue Ratsherrnrock. Am Tage hatte der nackenfette, ewig schmunzelnde Glatzkopf die Stadtwaage sowie Recht und Sitte wahrzunehmen. Aber da ihm zu Hause ein zänkisch Weib eignete, das ihn schlug, so verargte es ihm keiner, wenn er abends Frau Sibba und die Becke besuchte. Er galt als Stammgast, und allerlei Vorrechte wurden ihm eingeräumt. Deshalb war er auch der einzige, der zufrieden und stillbehaglich in seinen Krug blinzelte. Ganz anders die Bauern, deren fünf bis sechs in galgenfröhlicher Verbitterung hinter ihren Töpfen lagerten. Zwischen den haarigen Kerlen schwelte es wie die Lust zur Verschwörung. Denn der Conaer Graf hatte, da er mit der Stadt Bergen im Streit lag, einfach die umliegenden Hufen besetzt, und jetzt führte sein Troß Vieh und Getreide des Landmannes fort als Wehrgeld für den Zug gegen die Freibeuter, so hieß es. »Es verstößt gegen das gemeine Huferecht«, stöhnten die Gepfändeten, und drohend schrien sie den Ratsherrn an. »Gibt's denn kein Recht? – Gott verdamm mich, gibt's kein Recht?«
Der Dicke jedoch СКАЧАТЬ