Название: Zivilprozessrecht
Автор: Irmgard Gleußner
Издательство: Bookwire
Серия: JURIQ Erfolgstraining
isbn: 9783811475212
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4. Keine anderweitige Rechtshängigkeit
137
Der Kläger darf eine Klage nur einmal erheben, nicht aber ein zweites Mal. Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist eine Klage unzulässig, wenn der bei Gericht erhobene Anspruch schon anderweitig rechtshängig ist, d.h. bei einem anderen Gericht (zeitgleich) erhoben worden ist. Das zweite Gericht muss die Klage von Amts wegen als unzulässig abweisen. Dadurch soll vermieden werden, dass sich der Beklagte in derselben Sache in mehreren Verfahren verteidigen muss und dass einander widersprechende Entscheidungen ergehen.[102] Rechtshängig wird eine Klage erst durch deren Zustellung an den Beklagten, nicht schon mit ihrer Einreichung (§§ 253 Abs. 1, 271, 261 Abs. 1 ZPO). Voraussetzung für die Sperrfunktion der Rechtshängigkeit ist, dass „dieselben Parteien“ eine Entscheidung über „dieselbe Streitsache“ begehren.
Beispiel
Die Tante von Mona möchte sich scheiden lassen. Zunächst erhebt sie Scheidungsklage (= Antrag auf Scheidung § 124 FamFG) beim AG Köln, später dann beim AG Nürnberg, in der Meinung, dass bayerische Gerichte schneller entscheiden.
Unabhängig von der Frage der Zuständigkeit des Gerichts (§ 122 FamFG) ist hier problematisch, dass die Tante von Mona zwei Klagen in derselben Sache erheben will. Derartige Parallelprozesse will § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO verhindern. Klärungsbedarf besteht allerdings noch, in welchen Fällen „dieselbe Streitsache“ vorliegt. Diese Frage betrifft den sog. Streitgegenstand. Er ist ein Schlüsselbegriff des Prozessrechts und wird sogleich näher dargestellt (Rn. 139 ff.).
5. Keine entgegenstehende Rechtskraft
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Nach der rechtskräftigen Entscheidung eines Rechtsstreits (§ 322 Abs. 1 ZPO) ist es unzulässig, dieselbe Sache ein zweites Mal vor Gericht zu bringen. Untersagt sind nicht nur parallele Prozesse (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), sondern auch hintereinander geschaltete Prozesse. Voraussetzung ist auch hier, dass Parteiidentität besteht und es beim zweiten Gericht „um dieselbe Streitsache“ geht. Auch hier kommt es maßgeblich auf den Begriff des Streitgegenstands an.
6. Exkurs: Der Streitgegenstand
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Die Frage, worüber im Prozess eigentlich gestritten wird, beschäftigt die Prozessrechtswissenschaft seit jeher.[103] Dreh- und Angelpunkt ist der Begriff des Streitgegenstands. Er taucht in der ZPO allerdings kaum auf. Meist ist vom „erhobenen Anspruch“ oder schlicht vom „Anspruch“ oder von der „Streitsache“ die Rede.[104]
Hinweis
Der Streitgegenstand ist wesentlich für die sachliche Zuständigkeit (§ 23 Nr. 1 GVG), die objektive Klagehäufung (§ 260 ZPO), die Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO), die Klageänderung (§ 263 ZPO), die Rechtskraft (§ 322 ZPO) sowie die Hemmung der Verjährung (§§ 204, 213 BGB[105]).
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Der Streitgegenstand wird durch die Klage bestimmt.[106] Die Klage muss Angaben zum Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Durch diese Eckpunkte wird der „prozessuale Anspruch“ festgelegt. Der Streitgegenstand dieses Prozesses ist damit fest zementiert. Er soll nicht noch einmal bei einem anderen Gericht geltend gemacht (§§ 261 Abs. 3 Nr. 2, 322 ZPO) oder im Laufe des Prozesses einfach geändert (§ 263 ZPO) werden können. Äußerst umstritten ist nun aber, wie der Streitgegenstand der Klage genau ermittelt werden soll. Im Wesentlichen werden zwei Theorien vertreten.
Beispiel
Der Vater von Mona klagt gegen seinen Cousin Carl auf Zahlung von 1000 € aus einem Kaufvertrag. Kurze Zeit später klagt er nochmals gegen Carl. Auch diesmal will er Zahlung von 1000 €, allerdings aus einem Darlehensvertrag. In beiden Fällen lautet der Klageantrag in der Klageschrift: „Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1000 € zu zahlen“. Was ist der Streitgegenstand der Klagen? Liegt Identität des Streitgegenstands vor?
a) Eingliedriger Streitgegenstandsbegriff
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Nach der Theorie des eingliedrigen Streitgegenstandsbegriffs[107] ist der Klageantrag für die Bestimmung des Streitgegenstands entscheidend.
Da es eine unendliche Vielzahl an Klageanträgen gibt (z.B. „Der Beklagte wird verurteilt, den Fernseher mit der Herstellernummer DXY2569 herauszugeben“, „der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 257 € zu zahlen“, „der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2000 € zu zahlen“), lassen sich mit dieser Theorie die meisten Abgrenzungsfragen lösen. Allerdings scheitert die Theorie des eingliedrigen Streitgegenstandsbegriffs bei gleichlautenden Leistungsklagen, wie im obigen Beispiel. Nach der Theorie des eingliedrigen Streitgegenstands würde an sich nur ein Streitgegenstand vorliegen, auch wenn der Klage völlig unterschiedliche Lebenssachverhalte zugrunde liegen. Daher zieht diese Theorie als Auslegungshilfe den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt heran.[108]
b) Zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff
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Die Rechtsprechung geht von einem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff aus.[109] Danach wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt bestimmt.
Folgt man dieser Theorie, liegen im obigen Beispiel zwei verschiedene Streitgegenstände vor. Identisch sind zwar die Klageanträge, nicht aber die zugrunde liegenden Lebenssachverhalte. Daher kann die zweite Klage wirksam erhoben werden. Die Rechtshängigkeit der ersten Klage steht der zweiten Klage nicht entgegen. Wichtig ist, dass sich der Streitgegenstand nach dem Lebenssachverhalt und nicht (!) nach dem materiellen Anspruch (§ 194 BGB) richtet.[110] Relevant wird dies im Fall der sog. Anspruchskonkurrenz, d.h. wenn mehrere Anspruchsgrundlagen einschlägig sind.[111] Wird bei einem Taxiunfall ein Fahrgast verletzt, kann dieser Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB und aus § 823 Abs. 1 BGB verlangen. Es liegt aber nur ein Streitgegenstand vor. Der Kläger kann nicht wegen zwei Anspruchsgrundlagen zwei Prozesse führen. Davon abzugrenzen sind Situationen, in denen die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet sind.[112] Wann das eine, wann das andere vorliegt, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Aufgrund dieser Unsicherheit hat sich eine umfangreiche Kasuistik entwickelt.[113]
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Beispiel
Mehrere Streitgegenstände
Bei Schadensersatzansprüchen bilden materieller Schadensersatz und Schmerzensgeld zwei Streitgegenstände.[114] Gleiches gilt beim Kauf einer mangelhaften Sache für unterschiedliche Sachmängel.[115] Bei dem Anspruch СКАЧАТЬ