Название: Familien- und Erbrecht
Автор: Ute Brenneisen
Издательство: Bookwire
Серия: JURIQ Erfolgstraining
isbn: 9783811491809
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M und F waren 10 Jahre im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten waren sehr angespannt, da der M in den letzten Jahren nur geringe Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt hat. Die Allgemeine Ortskrankenkasse hatte das mit M bestehende Krankenversicherungsverhältnis gekündigt, nachdem er die Krankenkassenbeiträge nicht mehr zahlen konnte. M musste sich nach der Kündigung des Versicherungsverhältnisse wegen eines Bronchialkarzinoms einer Chemotherapie in einer Klinik unterziehen. Vor der Behandlung schloss er als Selbstzahler einen Behandlungsvertrag mit der Klinik K ab, um absolut notwendige Behandlungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Nach Beendigung der Behandlung leistete M die vertraglich vereinbarten Behandlungskosten nicht. Kurze Zeit später verstirbt M und wird von seinen drei Kindern testamentarisch beerbt. Die Klinik K nimmt die F wegen der für den M entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 20 000 € in Anspruch.
(Anmerkung: Dem Sachverhalt liegt die Entscheidung des BGH[62] zugrunde.)
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Lösung
K kann gemäß §§ 611 Abs. 1, 1357 die Behandlungskosten von F als Mitverpflichtete des von M mit K geschlossenen Behandlungsvertrags verlangen.
I. Vertraglicher Anspruch nach § 611
Ein solcher Anspruch setzt zunächst das Bestehen eines Dienstleistungsvertrags zwischen M und K voraus. M schloss mit K einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag in Form eines Dienstvertrages gemäß § 611, durch den K einen Anspruch gegen M auf Leistung der vereinbarten Behandlung erwarb. Durch diesen Vertrag ist nur der M zur Zahlung der Behandlungskosten verpflichtet worden. F ist auch nicht im Rahmen einer Stellvertretung durch M bei dem Abschluss des Behandlungsvertrags vertreten worden, da M den Dienstvertrag im eigenen Namen abgeschlossen hat.
II. Mitverpflichtung der F gemäß § 1357 Abs. 1
F könnte durch den Vertragsschluss zwischen M und K nach § 1357 mit verpflichtet worden sein. Nach dieser Vorschrift kann jeder Ehegatte Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie auch mit Wirkung für den anderen Ehegatten abschließen, wodurch beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet werden, solange sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt.
1. Anwendbarkeit des § 1357 Abs. 1
Die Vorschrift des § 1357 Abs. 1 greift ein, wenn eine wirksame Ehe zwischen F und M im Zeitpunkt des Abschlusses des Behandlungsvertrags bestanden hat und sie nicht getrennt gelebt haben. Für diese Ausschlussgründe bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
2. Geschäft zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs
Der zwischen M und K bestehende Behandlungsvertrag müsste ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs gewesen sein. Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs sind alle Geschäfte, die nach den Verhältnissen der Ehegatten der Deckung ihres Lebensbedarfs dienen. Der Umfang des Lebensbedarfs bestimmt sich in Anlehnung an das Unterhaltsrecht. Dazu zählt nicht nur der gesamte Bedarf der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auch ein eventuell persönlicher Bedarf der Ehegatten und der mit ihnen gemeinsam lebenden unterhaltsberechtigten Kindern.[63] Auch Aufwendungen, die nur einem Ehegatten zugutekommen, können Teil des Lebensbedarfs der Ehegatten sein. Zu ihrem Lebensbedarf gehört auch die ärztliche Versorgung eines Ehegatten, da die Behandlung im Interesse der gesamten Familie erfolgt. Ärztliche Behandlungen dienen der Gesundheit als dem primären und ursprünglichen Lebensbedarf der gesamten Familie. Dem steht nicht entgegen, dass aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag wegen der Höchstpersönlichkeit der Leistung nur der behandelte Ehegatte berechtigt und der andere Ehegatte nur mit verpflichtet werden kann. Eine Mitverpflichtung der F tritt nach § 1357 Abs. 1 indes nur dann ein, wenn das Geschäft der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs dient. Angemessen ist ein Geschäft, wenn es den wirtschaftlichen Verhältnissen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Familie entspricht. Hierbei kommt es allein auf die tatsächlich verwirklichte Lebensführung der Ehegatten an. Im Hinblick auf die bescheidenen wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der F und des M erscheint es zweifelhaft, ob die Inanspruchnahme von Behandlungsleistungen in Höhe von 20 000 € noch als angemessen beurteilt werden kann. Allerdings können trotz des bescheidenen Lebenszuschnittes der Ehegatten ärztliche Heilbehandlungskosten auch ohne Abstimmung unter den Ehegatten zu dem angemessenen Lebensbedarf gehören, wenn es sich um unaufschiebbare und medizinisch notwendige Maßnahmen handelt. Durch die wegen des Bronchialkarzinoms erforderliche Chemotherapie sollte eine lebensgefährliche Krankheit gelindert werden, so dass eine medizinisch absolut unerlässliche Behandlung vorlag. Solche Aufwendungen zählt die Rechtsprechung[64] zu dem Grundlebensbedarf jedes Ehegatten, die infolgedessen unabhängig von den Einkommens- und Lebensverhältnissen der Familie als angemessen eingestuft werden, auch wenn sich die Ehegatten zuvor nicht darüber abgestimmt haben.
III. Ausschluss der Mithaftung
Aus § 1357 Abs. 1 S. 2 folgt nur dann eine Mitverpflichtung des nicht den Vertrag schließenden Ehegatten, soweit sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt. Das ist der Fall, wenn sich für den Vertragspartner aus dem Vertragsschluss ausdrücklich oder erkennbar der Wille des vertragsschließenden Ehegatten ergibt, nur sich allein verpflichten zu wollen.[65] Im Übrigen nimmt die Rechtsprechung an, dass eine Mithaftung für die den Lebensbedarf deckenden Geschäfte nur insoweit entsteht, wie der mitverpflichtete Ehegatte auch unterhaltsrechtlich zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Daran fehlt es, wenn das Geschäft die Leistungsfähigkeit der Familie überschreitet (sog. „Sonderbedarf“).[66] In diesen Fällen entsteht eine Mithaftung nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit des mithaftenden Ehegatten. Die durch das Bronchialkarzinom erforderlichen Heilbehandlungskosten stellen einen Sonderbedarf dar. Die Mitverpflichtung der F hängt daher von ihrer Leistungsfähigkeit ab, die sich wiederum nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie bestimmt. Da für M kein Krankenversicherungsschutz vorhanden war und die Ehegatten über kein weitergehendes Vermögen verfügten, übersteigt der durch die Heilbehandlung entstandene Sonderbedarf die Leistungsfähigkeit der Familie und damit auch der F. Ihre Mitverpflichtung ist daher gemäß § 1357 Abs. 1 S. 2 ausgeschlossen.
IV. Ergebnis
K hat daher gegen die F keinen Anspruch auf Zahlung der Heilbehandlungskosten in Höhe von 20 000 €.
1. Teil Familienrecht › C. Die Ehe › IV. Haftungserleichterungen nach § 1359
IV. Haftungserleichterungen nach § 1359
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Nach § 1359 ist der Umfang der Sorgfaltspflichtverletzung der Ehegatten auf die Sorgfalt beschränkt, die ein Ehegatte in eigenen Angelegenheiten (diligentia quam in suis) anzuwenden pflegt. Gemäß § 277 ist derjenige, der für eine solche Sorgfalt einzustehen hat, von der Haftung für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz nicht befreit. Der in § 1359 geregelte Haftungsmaßstab bezieht sich nur auf die Erfüllung der Pflichten, die sich aus den ehelichen Lebensverhältnissen ergeben. Er gilt nicht, wenn die Ehegatten sich rechtsgeschäftlich wie beliebige Dritte gegenüberstehen.
Beispiel
Ein Ehegatte ist aufgrund СКАЧАТЬ