Die Gefühle der Tiere. Peter Wohlleben
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Gefühle der Tiere - Peter Wohlleben страница 6

Название: Die Gefühle der Tiere

Автор: Peter Wohlleben

Издательство: Автор

Жанр:

Серия:

isbn: 9783895668012

isbn:

СКАЧАТЬ Und nicht jedes Individuum entspricht diesem, wie wir Menschen an unseren Mitbürgern sofort erkennen können. Schönheit ist jedoch ein wichtiges Auswahlkriterium für die Fortpflanzung. Je attraktiver, desto mehr Sex und desto mehr Nachkommen, so sollte der logische Schluss lauten. Dementsprechend müssten Schönheiten bevorzugt Nachwuchs haben, sodass sich die optisch ansprechenden Eigenschaften durchsetzen. Im Laufe der Evolution würden irgendwann alle Individuen einer Art gleich aussehen, nämlich schön. So ist es aber nicht, und das hat einen ganz einfachen Grund: Schönheiten haben Stress, und Stress schadet der Gesundheit. Um attraktive Weibchen buhlen die Männchen ganz besonders heftig, zum Teil wird sich der begehrte Sex einfach mit Gewalt genommen. Zumindest bei Taufliegen konnten dies Forscher der Universität von Kalifornien nachweisen. Wer weniger schön ist, hat weniger Stress und damit eine höhere Chance, zu überleben und die eigenen Gene weiterzugeben.

      Nun gut, der Schönheit der Weibchen sind also Grenzen gesetzt. Wie aber ist es mit den Männchen? Denn in der Regel übernehmen diese den aktiven Part und bauen sich vor begehrten Partnerinnen auf, nicht umgekehrt. Der Auswahlstress wirkt hier eher gegenteilig: Zum Zuge kommen nur besonders imposante Werber, was den Ausstattungswettlauf nur noch anheizt. Und die Männchen staffieren sich tatsächlich bis zur Verkrüppelung aus und machen sich mit allerlei Verrenkungen zum Clown. Ob das große Federrad des Auerhahns, ob aufblasbare Kehlsäcke bei Fröschen und Kröten, ob die ohrenbetäubenden Schreie der Hirsche oder groteske Tänze der Kraniche, einer versucht den anderen zu überbieten. Alle Maßnahmen haben jedoch einen gewaltigen Nachteil. Sie machen Feinde aufmerksam und behindern die Hitzköpfe in ihrer Flucht. Wer als Männchen zu üppig ausstaffiert ist, wird bevorzugt gefressen und kann sich dann logischerweise nicht mehr fortpflanzen. Bei den Weibchen begrenzt das Gerangel der Bewerber die Schönheit, bei den Männchen begrenzen die Raubtiere sie. Die Evolution hin zu mehr Attraktivität dürfte also bei den meisten Arten schon heute am Ende der Fahnenstange angekommen sein – auch wenn einzelne Exemplare immer wieder versuchen, höher zu kommen.

      Nun aber noch einmal: Macht Tieren Sex wirklich Spaß? Es gibt eine Handlung, die abseits aller logischen Schlüsse den direkten Beweis zu liefern scheint: die Masturbation. Sie erfüllt augenscheinlich keinen biologischen Sinn und kostet nur unnötig Energie. Zudem gelten für diese Tätigkeit alle Gefahren steigernden Faktoren wie beim regulären Sex, also eine erhöhte Risikobereitschaft, eine verminderte Aufmerksamkeit und eine gewisse Hilflosigkeit, kurz, Raubtiere können masturbierende Männchen oder Weibchen viel leichter erbeuten. Normalerweise müsste die Evolution derartiges Handeln daher längst ausgemerzt haben, die Frage wäre nur: wie? Denn die Reizung der Geschlechtsorgane soll ja belohnende Gefühle auslösen, und eine Manipulation des Besitzers an diesen empfindlichen Körperteilen muss ebenfalls möglich sein, etwa um sie zu reinigen. Vielleicht ist es aber auch eine Art sexuelles Trainingsprogramm oder dient ganz einfach der Entspannung. Denn nicht immer findet sich ein paarungswilliger Partner, und bevor der Triebstau zu mächtig wird, alles andere überlagert, ist es möglicherweise günstiger, diesen selbst ruckzuck abzubauen und sich wieder den Alltagsgeschäften zu widmen. Aktuell geben je nach Studie rund 80 Prozent der Bevölkerung der Industriestaaten an, zu masturbieren. Wenn Tiere vielfach ähnlich ticken, ähnliche Möglichkeiten haben und höchstes Vergnügen beim Sex empfinden, sollte die Wissenschaft auf breiter Flur fündig werden. Sie wird und nicht nur sie. Wie verstörte Hundebesitzer in Internetforen berichten, verschaffen sich sexuell besonders aktive Rüden hin und wieder Entspannung. Ob mit den Pfoten, durch bloßes In-die-Luft-Stoßen oder mithilfe einer alten Decke, der Beleg des Bemühens landet vor den menschlichen Rudelmitgliedern, denen dabei regelmäßig der Appetit vergeht. Auch unser Ziegenbock namens Vito demonstrierte früher seine Libido fast täglich. Mit seinem erigierten Penis beförderte er Urin und Sperma nicht nur gegen seine vormals weißen Vorderbeine, sondern meist auch noch ins Maul. Der Duft muss unter Ziegen umwerfend sein, denn paarungsbereite Ziegendamen fanden Vito unwiderstehlich (Besucher unseres Anwesens allerdings weniger).

      Schaut man sich zwischen den Säugetieren um, so wird man überall fündig. Ob Braunbären oder Wildkatzen, viele wurden schon dabei beobachtet, Pfote und Schnauze einzusetzen oder Baumstämme zur Hilfe zu nehmen. Bereits im Jahre 1902 beschrieb Autor Hermann Rohleder masturbierende Hirsche sowie Pferde. Aber auch andere Klassen von Landwirbeltieren vergnügen sich. Beobachtungen werden bei in Gefangenschaft gehaltenen Vögeln, etwa Wellensittichen, gemacht, die ihre Kloake an der Hand des genervten Besitzers reiben. Von den allermeisten Tierarten fehlen jedoch solche Hinweise. Das kann vielerlei Gründe haben. Zum einen gibt es vielleicht etliche Spezies, die keinen derartigen Drang verspüren. Zudem lässt sich das Phänomen naturbedingt bei Weibchen nicht so gut beobachten. Andererseits ist Masturbation selbst im menschlichen Bereich ein Tabuthema, welches möglicherweise deswegen bei Wissenschaftlern nicht im Brennpunkt von Untersuchungen steht. Davon abgesehen wäre eine Beobachtung sicherlich nicht gerade einfach: Woran etwa sollte man masturbierende Stubenfliegen oder Kreuzspinnen erkennen?

      Zumindest lassen die bisherigen Ergebnisse zum Thema Masturbation den Schluss zu, dass zahlreichen Arten auch Sex mit Partnern Spaß macht – wobei es sich zuweilen um ein sehr einseitiges Vergnügen handeln kann. Das lässt sich auch an weniger erfreulichen Erscheinungen festmachen. So hat das freundliche Bild dümpelnder Stockenten seit einigen Jahren tiefe Kratzer bekommen. Immer wieder wurden Vergewaltigungen beobachtet. Dazu rotten sich Gruppen von Erpeln zusammen und überfallen ahnungslos auf dem Teich paddelnde Weibchen und ertränken diese bei ihren Kopulationsversuchen fast. Ob es allerdings nur die reine Lust ist oder vielleicht ebenso Rang-, Gewalt- und Machtfaktoren eine Rolle spielen, ist unbekannt. Vielleicht spielt auch der Stress auf städtischen Teichen eine Rolle, bei denen die Populationen durch ständige Fütterung unnatürlich angeschwollen sind.

      Es geht aber auch anders. Kraniche finden sich zu Paaren, die oft lebenslang zusammenbleiben. Im Frühjahr wird erst lange und fleißig getanzt. Dabei springen die Partner voreinander in die Luft, flattern mit den Flügeln, recken den Kopf und rufen, um gleich darauf im Kreis zu gehen. Höhepunkt ist die Aufforderung des Weibchens an das Männchen, aufzuspringen und den Akt zu vollziehen. Einfühlsamer und mit ausgeprägterem Hinweis auf absolute Freiwilligkeit geht es nicht mehr. Hier ist die Paarung der stärkste Ausdruck der Zugehörigkeit und Verbundenheit – und des gemeinsamen Spaßes.

      Und wie steht es mit der Liebe?

      Ohne positive Gefühle kein Sex und keine Vermehrung – das sollte auch für viele Tierarten feststehen. Wie aber sieht es mit der »höherwertigen« Emotion aus, die für uns Menschen vielfach dazugehört – der Liebe? Sie ist wie die meisten Gefühle schwer zu definieren. Wikipedia gibt an, es sei die stärkste Zuneigungsform, die ein Mensch für einen anderen oder auch für ein Tier empfinden könne; sie bedürfe keiner Erwiderung und müsse keinen »Nutzen« haben. Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Familie, und Ihr Mann / Ihre Frau würde bedroht. Wären Sie bereit, Ihr Leben für Ihren Partner zu riskieren? Und vorausgesetzt, die Antwort lautete: »Ja!«, wäre das nicht absolut uneigennützig? Man könnte zwar argumentieren, dass der Schutz des Lebensgefährten auch dem Erhalt der eigenen Kinder und damit der eigenen Gene gelte. Somit wäre bedingungslose Liebe ein erfolgreiches Programm der Evolution. Speziell in unserem konstruierten Fall, bei der Wahl also, ob der Partner oder Sie sich opfern sollten, greift es aber nicht. Denn zum Überleben der Kinder ist es völlig egal, welcher Elternteil übrig bleibt. Rein evolutionär müsste eigentlich Ihr Egoismus siegen, denn abhängig von Alter und Geschlecht könnten Sie künftig mit einem neuen Partner erneut Nachwuchs haben.

      Können Tiere so ein uneigennütziges Gefühl ebenfalls haben? Und wenn ja, wie soll man das beweisen? Lassen Sie uns nach Beispielen für die stärkste Zuneigungsform suchen. Wie wäre es mit Mutterliebe? Auch hier hilft mir ein Blick in unseren häuslichen Zoo. Alljährlich im Spätwinter klingt zaghaftes Gemecker aus dem Ziegengehege: Die Lämmchen sind geboren. Die Antwort der Mutterziege fällt um Oktaven tiefer aus, fast schon brummelnd, und scheint zu bedeuten: »Alles in Ordnung, Kleines, ich bin bei Dir!« Übertrieben? In diesem Fall wohl nicht, СКАЧАТЬ