Название: Die Seelenlicht Chroniken
Автор: Katrin Gindele
Издательство: Автор
isbn: 9783946843788
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Ich musste mich unbedingt zusammenreißen!
Mit einem Blick in den Spiegel überprüfte ich mein Aussehen. Die kleinen roten Flecken in meinem Gesicht, die langsam verblassten, erschienen immer dann auf meiner Haut, wenn ich nervös oder aufgeregt war. Wie in der Sekunde, als mir bewusst geworden war, dass er vorhatte, mich zu berühren.
Noch einmal betrachtete ich mein Gesicht, die cremeweiße Haut, überzogen mit unzähligen Sommersprossen, meine grünen Augen, meine Haare.
So rot wie das Herbstlaub in Gredonjen? Bei Gelegenheit musste ich ihn fragen, was dieses Gredonjen sein sollte.
Patrizia begrüßte mich überschwänglich, als ich die Haustür öffnete. Sie verteilte Küsschen auf meinen Wangen, eines links und eines rechts, und schloss mich in die Arme.
»Wo ist er?«, flüsterte sie mir dabei ins Ohr.
»In der Wohnküche«, antwortete ich genauso leise.
Francesco und Silvio begrüßten mich mindestens ebenso überschwänglich, als hätten wir uns schon Jahre nicht mehr gesehen. Scheinbar hatte Patrizia bereits geplaudert.
Carlotta kam unmittelbar hinter den beiden Jungs herein. Mit genervtem Blick durchforstete sie ihre Handtasche. »Ciao bella«, sagte sie und küsste mich ebenfalls auf beide Wangen. »Verdammt, ich habe mein Handy vergessen«, fluchte sie kurz darauf, noch immer im Flur stehend, die rechte Hand schon wieder tief in ihrer Handtasche vergraben. »Dabei warte ich auf einen sehr wichtigen Anruf.«
»Lass mich raten«, neckte ich sie. »Ein Anruf von einem deiner Verehrer?«
Carlotta hob den Kopf und grinste ertappt. »Ich habe mich noch nicht entschieden, wer mich am Samstag ausführen darf.« Mit einer gut einstudierten Handbewegung warf sie ihr langes braunes Haar über die Schulter und klimperte mit den braunen, dick geschminkten Augen. »›Genieße dein Leben, solange du jung bist‹, hat meine Nonna immer gesagt.«
Carlotta war weder oberflächlich noch arrogant, auch wenn sie auf den ersten Blick so wirkte. Sie verstand es nur sehr gut, sich in Szene zu setzen, wofür ich sie beneidete, da sie es ohne Probleme schaffte, ihre Vorzüge zu betonen. Meine Vorzüge musste ich erst noch finden.
»Patrizia erzählte etwas von einem fremden Mann in deinem Haus«, kam Carlotta auf den Punkt und spähte neugierig um die Ecke. »Ist er Single?«
Ich warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Wie wäre es, wenn du ihn selbst fragst?«
Ich schlug den Weg zur Wohnküche ein, Carlotta folgte mir. Zu meinem Leidwesen hatte Patrizia Mickal bereits in Beschlag genommen, als wir die Wohnküche erreichten. Zusammen mit Francesco und Silvio, die sich rechts und links von ihr positioniert hatten, stand Patrizia direkt vor ihm. Die Arme locker vor der Brust verschränkt, bombardierte sie ihn mit Fragen.
Mickal antwortete auf Italienisch, mit einem leichten Akzent, der seiner Stimme einen Hauch von Exotik verlieh. Dabei strahlte er eine Geduld aus, die mich unweigerlich an meinen Dad erinnerte.
Dad hatte auch nichts aus der Ruhe bringen können, ganz egal, wie verzwickt die Situation auch gewesen war. Immer hatte er eine Lösung gewusst, hatte sich niemals unterkriegen lassen, genauso wie Tony, der unserem Dad so sehr geähnelt hatte.
Ich vermisste die beiden so sehr.
In Gedanken schalt ich mich und schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Ich musste dringend damit aufhören, ständig in der Vergangenheit herumzuwühlen. Davon würde es auch nicht besser werden.
Ich gab mir einen Ruck, verdrängte die trüben Gedanken und versuchte, mich auf den Abend zu freuen, denn immerhin waren fast alle Menschen versammelt, die mir am Herzen lagen. Also schnappte ich mir ein Glas, schenkte mir Wein ein und stellte mich anschließend neben Patrizia, nur für den Fall, dass sie doch noch auf den Gedanken kommen sollte, Mickal an die Gurgel zu springen.
Doch meine Sorge war völlig unbegründet. Binnen einer halben Stunde hatte Mickal es geschafft, meine Freundin samt Gefolge um den kleinen Finger zu wickeln. Ihr Lächeln wirkte nun viel freundlicher und offener. Francesco und Silvio entspannten sich immer mehr.
Carlotta stellte sich hinter mich, mit einem Glas Wein in der Hand. »Hannah, der Typ ist Sex pur«, flüsterte sie mir in einem unbeobachteten Moment ins Ohr.
»Psst«, machte ich grinsend und boxte ihr in die Seite. »Benimm dich, Carlotta. Du bist hier nicht auf der Jagd.«
Sie kicherte. »Was nicht ist, kann ja noch werden.« Dann zog sie mich ein Stück nach hinten, außer Hörweite der anderen, und musterte mich mit ernster Miene. »Oder hast du selbst Interesse an diesem muskelbepackten Prachtstück?«
Ich presste die Lippen zusammen, weil ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte. Hatte ich denn Interesse?
Unsere Clique folgte einem unausgesprochenen Kodex: Niemals im Revier des anderen wildern. Carlotta war zwar ein kleines männermordendes Wesen, die nichts anbrennen ließ, doch sie würde sich niemals an einem Mann vergreifen, wenn sie wusste, dass er mir auch gefiel. Darauf basierte unser aller Freundschaft.
Unsicher zuckte ich mit den Schultern, was Carlotta dazu veranlasste, verschwörerisch zu grinsen. »Alles klar«, hauchte sie, ihre Augen funkelten voller Vorfreude. »Das wurde aber auch langsam mal Zeit, Süße.«
Ich lief knallrot an, die blöden roten Flecken waren sicher auch wieder da.
Ohne Mickal eines Blickes zu würdigen, was mir unheimlich schwerfiel, weil ich ihn am liebsten den ganzen Tag lang beobachtet hätte, schlängelte ich mich an Carlotta vorbei und schnappte mir den Teller mit Antipasti, um ihn nach draußen auf die Terrasse zu bringen.
Der Abend verlief ohne Zwischenfälle. Wir standen oder saßen auf der Terrasse, ließen uns das Essen schmecken, schlürften Cocktails und unterhielten uns über dies und das. Doch immer, wenn sich unsere Blicke zufällig trafen, schaute ich Mickal fragend an, denn ich wollte unbedingt wissen, wie er es geschafft hatte, meine misstrauische Freundin so schnell auf seine Seite zu ziehen. Doch jedes Mal lächelte er nur und zuckte mit den Schultern, als könnte er kein Wässerchen trüben, was ich ihm jedoch nicht eine einzige Minute lang abkaufte. Später, wenn wir allein wären, wollte ich ihn danach fragen, das nahm ich mir fest vor. Und dann würde er mir verraten müssen, was er mit meiner Freundin angestellt hatte, darauf würde ich bestehen.
Mitten in der Nacht wurde ich von einem markerschütternden Schrei geweckt.
Sofort war ich hellwach.
Mom!
In letzter Zeit litt sie unter Albträumen, die so furchtbar sein mussten, dass sie davon schreiend aufwachte. Wahrscheinlich ging es um Dad und meinen Bruder. Um den schrecklichen Unfall, der alles verändert hatte. Zumindest war das bei mir am Anfang der Grund dafür gewesen, warum ich jede Nacht schweißgebadet aufgewacht war.
Schlaftrunken rappelte ich mich auf. Mein Kopf dröhnte von den Cocktails, die etwas stärker gewesen waren als üblich.
Ohne das Licht einzuschalten, tastete ich mich zur Tür und schlurfte hinaus in den Flur. Beinahe hatte ich Moms Schlafzimmer erreicht, als eine dunkle Gestalt die Treppe hinaufgestürmt kam.
Barfuß СКАЧАТЬ