Die Kirchen der anderen Regionen Brasiliens ignorierten Amazonien. Bewusst oder unbewusst. Erst ab 1972 schien sich eine neue Ära anzubahnen, als die Vorsitzenden der Brasilianischen Bischofskonferenz den Diözesen und Territorialprälaturen Amazoniens das erste Mal in der Geschichte einen Besuch abstatteten und die Realität wenigstens ein bisschen aus der Nähe kennenlernen konnten. Als Folge dieses Besuches rief die Bischofskonferenz ein Projekt ins Leben, das den Namen Igrejas Irmãs (Schwesterkirchen) erhielt. Besser situierte Diözesen in anderen Regionen Brasiliens sollten die Prälaturen Amazoniens finanziell und mit Priestern, Ordensleuten, auch Laienmitarbeiterinnen und Laienmitarbeitern unterstützen.
Dieses Projekt auf interdiözesaner Ebene hat jedoch, mit einigen rühmlichen Ausnahmen, nie richtig gegriffen. Entweder waren die Diözesen nicht bereit, beherzte Priester mit pastoralem Eifer nach Amazonien zu senden, oder die kulturellen Unterschiede zwischen Süden und Norden machten vielen zu schaffen, sodass sie oft nach kurzer Zeit aufgaben und in die heimatlichen Gefilde zurückkehrten. Das Projekt Igrejas Irmãs funktionierte am meisten und besten bei den Ordensgemeinschaften, die Amazonien als neues Wirkungsfeld für ihr Charisma entdeckten und bis heute wertvolle seelsorgliche Arbeit leisten.
Die Distanzen zwischen den einzelnen Bischofssitzen sind immens und bis vor ein paar Jahrzehnten fehlten Telefonnetze und -verbindungen. Daher fühlten sich die Bischöfe oft allein auf weiter Flur, allein mit ihren Problemen und Herausforderungen, allein angesichts des eklatanten Mangels an Priestern und Ordensleuten und dazu noch ohne die nötigen Finanzmittel. Die Prälaturen waren von Rom durch eine feierliche päpstliche Bulle errichtet, einem Orden oder einer Kongregation überantwortet worden, aber damit schien Rom seinen Teil geleistet zu haben.
Die brasilianische Regierung unter Präsident Getúlio Vargas hatte sich gegen eine Klassifikation Amazoniens als „Missionsland“ gewehrt. Das politische Brasilien wollte auf keinen Fall mit Ländern Afrikas oder Asiens verglichen werden. Damit war aber auch mit keiner finanziellen Hilfe seitens der damaligen Propaganda fide (vollständig Congregatio ad propagandam Romanae Sedis fidem, kurz Propaganda fide, heute: Congregatio pro gentium evangelizatione) zu rechnen, die das Resultat der alljährlich im Oktober von den Päpstlichen Missionswerken in allen Ländern durchgeführten Sammlungen an die „Missionsländer“ aufteilte und weiterleitete. Die Prälaturen im Amazonasgebiet gingen leer aus und hingen vom Wohlwollen der einzelnen Ordensgemeinschaften ab.
Der Ordinarius loci war zunächst meist nur ein Praelatus nullius und Apostolischer Administrator ohne Bischofsweihe. Er wurde vom Orden oder von der Kongregation vorgeschlagen und war ziemlich machtlos, weil auch die Devise „Wer zahlt, schafft an“ an der Kirche nie spurlos vorübergegangen ist. Der Prälat befand sich im direkten Abhängigkeitsverhältnis von seiner Ordensgemeinschaft, die in Rom ihr Generalat hatte. Die Prälaturen wurden Vikariate europäischer Ordensprovinzen. Der Orden oder die Kongregation hatte die Priester bereitzustellen und trug die Verantwortung für den Unterhalt des Klerus, während der Praelatus nullius für pastorale Leitlinien und die Überwachung und Ausführung kirchenrechtlicher Bestimmungen zuständig war.
Während des Pontifikates von Papst Pius XII. (1939–1958) nahm diese eigenartige Situation eines Ordinarius sine caractere mit der Bischofsweihe des jeweiligen Praelatus nullius und Apostolischen Administrators ein Ende, aber das Abhängigkeitsverhältnis der nunmehrigen Bischöfe änderte sich nicht. Sie hatten nun den bischöflichen Charakter, aber in einer für uns exotisch anmutenden kirchenrechtlichen Form. Sie blieben weiterhin Prälaten Nullius, wurden jetzt aber gleichzeitig Titularbischöfe irgendeiner untergegangenen Diözese in Nordafrika oder sonstwo im Mittelmeerraum.
Die Realität der Prälaturen änderte sich nicht mit den Bischofsweihen. Die Isolation der einzelnen und die erdrückende Last der pastoralen und sozialen Herausforderungen wogen schwer auf den Schultern eines jeden Bischofs. Jeder war auf sich allein gestellt. Das konnte so nicht weiter gehen. Es musste ein gemeinsamer Weg für die Evangelisierung, die pastorale Arbeit und die Lösung der sozialen Probleme in Amazonien gefunden werden, insbesondere seit die Regierung im Begriffe war, einen Integrations- und Valorisierungsplan für diese Makroregion zu entwerfen und diesbezügliche Projekte zu erarbeiten. Die Bischöfe fühlten sich plötzlich aufgefordert, hier mitzureden und ihre Stimme zu erheben, da sie ja die Probleme Amazoniens weit, weit besser kannten als alle Politiker, Abgeordneten, Minister und Regierungsmitglieder. Das war denn auch der Anstoß zur ersten Versammlung der Bischöfe Amazoniens vom 2. bis 6. Juni 1952 in Manaus. Es war wohl überhaupt die erste Bischofsversammlung einer Makroregion in Brasilien, noch bevor es die Brasilianische Bischofskonferenz gab, die erst einige Monate später, am 14. Oktober 1952, gegründet wurde.
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