Das Erbe der Macht - Band 32: Sigilschwingen. Andreas Suchanek
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Читать онлайн книгу Das Erbe der Macht - Band 32: Sigilschwingen - Andreas Suchanek страница 6

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      »Eine Kirche«, vollendete Jason.

      Sie standen in Schottland vor einem Gotteshaus. Die Szene wirkte, wie einem Historienfilm entsprungen. Gewölbte Bögen und Buntglasfenster, Erker und ein Dach, von dem sich die eine oder andere Schindel bereits gelöst hatte.

      Da der Wind inzwischen Nieselregen mit sich brachte, machte Annora eine auffordernde Handbewegung. »Folgen wir der magischen Spur.«

      In der Luft schimmerte eine Essenzlinie, die jedoch kurz vor dem Verblassen stand.

      Zu dieser Tageszeit war das Kirchenportal nicht verschlossen, sie konnten problemlos eintreten. Die Scharniere quietschten. Ein überlautes Geräusch in dem sonst stillen Gotteshaus. Ein paar aufgestellte Kerzen flackerten.

      »So was schaue ich mir am liebsten von einer gemütlichen Couch aus an«, kommentierte Jason.

      »Das letzte Mal hast du mir ins Ohr gebrüllt, als wir etwas Gruseliges geschaut haben.« Alfie rieb sich instinktiv das Ohr.

      »Alter, das waren steinerne Engel, die auf einem Friedhof standen«, sagte Jason. »Und jedes Mal, wenn dieser Arzt die Augen geschlossen und dann wieder hingesehen hat, kamen sie näher.«

      »Doctor«, erklärte Alfie mit Nachdruck. »Das habe ich dir jetzt schon tausend Mal gesagt. Er ist der Doctor.«

      »Und er telefoniert gerne«, neckte Madison. »Weil Telefonzelle und so.«

      »Das ist keine …« Alfie ballte die Hände und stapfte grummelnd in die Kirche.

      Hinter seinem Rücken gaben sich Madison und Jason ein High Five.

      »Funktioniert immer wieder«, sagte sie leise.

      »Aber dafür werden wir beim nächsten Mal auf der Couch bitter bezahlen müssen«, ergänzte Jason.

      Annora schmunzelte. Die drei zu beobachten, die Nähe und Vertrautheit, mit der sie zueinanderstanden, ließ sie hoffen. Auf eine Zukunft der Versöhnung.

      »Die Spur endet hinter dem Altar!«, rief Alfie mit donnernder Stimme.

      »Zurücktreten«, bat Annora.

      Sie zeichnete mit ihrem Essenzstab das notwendige Symbol in die Luft und rezitierte: »Revelio Porta.«

      Das typische Essenzecho, an das sie sich nach ihrer Rückkehr aus dem Immortalis-Kerker erst gewöhnen musste, manifestierte sich. In der Luft lag der Geruch von Wintertee. Das Gefühl von Beständigkeit vermischte sich mit dem Geräusch von Eichenholz, das jemand polierte.

      Der Altar zerbrach und gab den Blick auf ein Weihwasserbecken frei.

      »Wenn das jedes Mal auf diese Art funktioniert, ist es ein ziemlicher Verschleiß«, sagte Madison. »Oder müssen wir das wieder reparieren, sobald wir zurückkehren?«

      »Sie hat den Stab.« Jason deutete auf Annora. »Ist doch ein Klacks.«

      Alfie schüttelte den Kopf. »Spürt ihr es nicht? Dieser Nachhall.«

      »Essenzecho genannt, Baby Kent.«

      Wieder schüttelte er den Kopf. »Da ist etwas anderes.«

      »Alfie hat recht«, bestätigte Annora. »Da ist eine Präsenz, die in der Magie gebündelt war. Der Zauber ist bereits fort, doch der Nachhall deutet auf ein Siegel hin. Wir konnten es leicht zerstören, weil es schon länger nicht erneuert wurde. Andernfalls hätte es uns einiges an Mühe gekostet. Ohne Essenzstab wäre es selbst jetzt noch unmöglich gewesen.«

      »Bedeutet es, dass jemand Moriarty aussperren wollte?«, fragte Madison.

      Alfie ballte die Hand um seinen eigenen Essenzstab fester. Er hatte längst begriffen, dass hier Gefahr drohte. Annora betrachtete das Artefakt in seinen Händen. Es war natürlich kein echter Essenzstab. lediglich eine von Agnus Blanc geschaffene Krücke, mit der auch ein Nimag Magie wirken konnte.

      Jason trat an das Weihwasserbecken. »Das ist kein Weihwasser.« Er tauchte seine Finger in das schwarze Pulver und zerrieb es. »Asche.«

      »Ich sollte besser allein …«, begann Annora.

      »Kommt nicht infrage«, stoppte Alfie sie sofort.

      Natürlich hatte sie ihm von dem Traum erzählt. Ihre Idee dahinter war gewesen, dass er keinesfalls kopfüber in das Abenteuer springen sollte. Bedauerlicherweise interpretierte der Bruder von Alexander Kent die Sache ein wenig anders. Schließlich könnte man den Essenzstab der Macht ganz eindeutig nur mit ihm gemeinsam erbeuten. Deshalb müsse er quasi mit.

      Waren Kevin und Chris auch so schlimm gewesen, als sie noch Teenager waren? Sie gab sich selbst die Antwort. Schlimmer.

      »Ich habe ja nicht viel für Religion übrig«, kommentierte Jason. »Meine Eltern waren da anders.« Ein Schatten zog über sein Gesicht.

      Madison legte ihm die Hand auf die Schulter.

      Annora konnte sich denken, dass die Jugend von Jason nicht die beste gewesen war. In einer konservativen Familie aufzuwachsen, die alles außerhalb des religiösen Korsetts ablehnte, konnte einen Menschen zerstören.

      Alfie trat ebenfalls hinzu. Er und Madison küssten Jason nacheinander sanft auf die Lippen, darüber hinaus fiel kein Wort.

      »Also, ich erkläre dir, wie es normalerweise geht.« Alfie ging zum Weihwasserbecken, tauchte die Finger hinein und machte dann drei Kreuze. Eines auf seiner Stirn, eines auf dem Kinn und eines auf der Brust. Was natürlich entsprechende Aschekreuze hinterließ. »Wobei das ja nicht bei allen gleich ist.«

      Wie Nebel, der vom Wind vertrieben wurde, verschwand Alfie. Einfach so.

      »Der Eingang!«, schaltete Madison sofort.

      Bevor Annora reagieren konnte, hatten sie und Jason ihre Finger in die Asche getaucht und machten es Alfie nach. Auch sie verschwanden.

      »Wunderbar. So viel zu wohl überlegtem Vorgehen.« Annora fluchte lauthals, was sich als Echo wirklich unangenehm anhörte.

      Sie tauchte ihre Finger in die Asche und machte die drei Kreuze ebenfalls.

      Die Umgebung verwischte.

      Annora fand sich direkt neben Alfie, Jason und Madison wieder. Beide starrten auf die Regalbretter und Tische, die überall um sie herum zu finden waren.

      »Okay«, sagte Alfie. »Das hätte ich jetzt nicht erwartet.«

      Dem konnte Annora nur beipflichten.

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